(Fortsetzung von hier)

*Kurzes Vorwort zu Teil 3: Durch die jüngeren Ereignisse und Konstellationen entwickelt sich dieser Textblock immer mehr zu einer Retrospektive, die wahrscheinlich aber immerhin zu einem Ding gut sein mag – sie kann die Vorgänge zusammenfassen, die schon sehr lange Zeit darauf hingedeutet haben, was der Welt hernach als „Durchbruch“ in den Atomverhandlungen mit dem Iran verkauft wurde. Es sind also nicht ganz aktuelle Vorgänge, die hier zur Sprache kommen (zumal der Text in Grundzügen schon seit Wochen steht), nichtsdestotrotz braucht die Sache einen vorläufigen logischen Abschluss. Und der wurde vorgestern auch durch die aktuellen Ereignisse gezogen – die Moslembrüder wurden in Ägypten als „Terrororganisation“ eingestuft und verboten.

Im Orient mag man es nicht, sofort zur Sache zu kommen. Der eher uns Europäern eigene Stil, gleich bei einer Tasse Kaffee Verträge zu unterzeichnen, ist den gemächlichen Scheichs ein Graus. Sie lieben geradezu Andeutungen und Fingerzeige und kennen sich mit dieser Art Kommunikation auch bestens aus.

Im September 2011 gab es in den Medien ein sehr rätselhaftes Attentat auf den Emir des Katar, Hamad bin Khalifa. Sein Autokonvoi wurde in Doha beschossen, als er unterwegs war, um sich mit dem russischen Botschafter zu treffen. Lassen wir die Frage, aus welchem kühlen Grunde ein Staatsoberhaupt sich zu irgendwelchen Botschaftern auf die Socken machen muss und nicht andersherum, einmal beiseite. Und auch, aus welchem Grund man ausgerechnet den russischen Botschafter in dieser Meldung anführte.

Ob’s dieses Attentat gegeben hat oder nicht, wird wahrscheinlich nie jemand erfahren, hingegen kann es keinen Zweifel daran geben, dass jemand dem Emir einen heißen Gruß bestellt hat – auf diese für uns eigenartige Weise. Derselbe russische Botschafter wurde übrigens zweieinhalb Monate später im Flughafen von Doha durch Zoll- und Polizeibeamte „verprügelt“. Der Emir hat die Andeutung in diesem Sinne also sehr gut verstanden.

Exakt ein Jahr später wurde ein ebenso heißer Gruß jemandem mit deutlich höherem Rang überbracht – dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Irgendwelche, wer weiß woher gekommenen Halunken brachten den US-amerikanischen Botschafter Stevens im libyschen Bengasi um. Die Einzelheiten, die an die Öffentlichkeit drangen, zeugen recht eindeutig davon, dass dieser Mord insgesamt wie ein bestens geplanter und ausgeführter Sondereinsatz ausgeführt worden ist. Es gab bei dieser ganzen Aktion indes wirklich keinen ernstzunehmenden Anlass, lediglich von einer spontanen Unmutsbekundung des Volkes zu sprechen.

Diese Andeutung nun hat Obama sofort verstanden und verinnerlicht. Die außer Kontrolle geratene Al-Kaida begann, für eine andere Mannschaft zu spielen, und Obamas Moslembrüder hatten keine Chance gegen sie. Folglich galt es, Pläne und Kalkulationen zu korrigieren.

Für die Tragödie von Bengasi musste zweifelsohne die US-Außenministerin Clinton verantwortlich gemacht werden, man hat sie aber davor bewahrt, indem man den CIA-Chef Petraeus demonstrativ kreuzigen ließ. Möglich, dass ihr Ehemann für sie ein Wort eingelegt hat, oder dass es der Miss Clinton noch bevorsteht, irgendwann im Jahre 2016, gestrafft und poliert, noch einmal auf der Bildfläche zu erscheinen – dafür müsste sie makellos aussehen. Wie dem auch sei, die Pläne Obamas erfuhren hiernach deutlich und für alle erkennbar eine Kurskorrektur. Der gesamte außenpolitische Block (Verteidigungsminister, CIA-Chef, Secretary of State) wurde durch ausgesprochene Nahost-Fachleute besetzt, und das vielleicht wichtigste an den neuen drei - jeder von ihnen besaß persönliche Beziehungen nach Iran. Parallel dazu begann Obama damit, regelmäßig Verlautbarungen zu äußern, die man nur so interpretieren konnte: Er machte dem Iran ein Angebot.

Einer der ersten, der diese Wendung begriff oder zumindest Lunte roch, war scheinbar der israelische Premier. Ein paar Wochen nach den Ereignissen in Bengasi machte er sich mit einer vollkommen idiotischen Warnung an den Iran lächerlich und erntete für seine naiven Filzstiftzeichnungen weltweit sarkastisches Grinsen. Freilich ist Netanjahu alles Mögliche, vor allem aber gerissen und in der Lage, sich neu bildende Umstände schnell zu erfassen. Die Drehung Obamas Richtung Iran wurde unvermeidlich, für die israelische Rechte nun, welche bekanntermaßen beste Verbindungen mit dem US-amerikanischen „imperialen“ Establishment unterhält, wurden die Bemühungen Obamas in dieser Richtung zu einem roten Tuch.

Doch Obama hatte keine andere Wahl mehr – er musste die immer wahrscheinlicher werdende Möglichkeit in Betracht ziehen, dass der Wetteinsatz auf die Moslembrüder verloren war. Das würde aber nicht nur bedeuten, dass die Pläne des Aushängeschilds einer der Elitegruppierungen in den USA, das Obama ist, gefährdet wurden, sondern auch seine ganz eigenen Pläne als US-amerikanischer Präsident. Eine Korrektur wurde also unvermeidlich.

Die “Brüder” haben es praktisch nirgends zuwege gebracht, die ihnen gestellten Aufgaben zu lösen. Im Gegenteil, es regte sich in allen Ländern der Region Widerstand gegen sie, ihre Gegner hatten sich inzwischen schon vom Schock erholt und gingen methodisch zum Kampf gegen sie über.

Für Obama ist die Neuorientierung Richtung Iran als auf einen Staat, der dazu imstande wäre, die Lage in der Region unter seine Fittiche zu nehmen, durchaus etwas weniger vorzuziehen – der Iran ist ein sehr schwieriger Partner. Man kann ihn nicht kontrollieren, man kann ihm nicht trauen, und die Perser selbst werden den Amerikanern keinen Zoll weit vertrauen. Man kann sich nur mit ihm absprechen. Trotzdem ist und bleibt der Iran einziger Gegner des Hauptverbündeten der Republikaner / Imperialen im Nahen Osten – Saudi-Arabiens. Wenn es auch nicht vollends gelingen mag, sie aus der Region zu verdrängen, so kann und muss er wenigstens versuchen, ein Patt zu schaffen. In gleichem Zuge könnten die USA die Region (Achtung: “Geschichte”) bis auf punktuelle Präsenz verlassen und sie der Konkurrenz der zwei großen regionalen Player überlassen.

Die Schwierigkeiten dieses Vorhabens sind offenbar. Eine solche Entwicklung ist für Israel nicht hinnehmbar. Ein erstarkter Iran bedeutet eine ebenso erstarkte Hisbollah, und auch die verwaiste Hamas beginnt einen zaghaften Driftkurs in Richtung Ayatollahs, denn die Alternative dazu wäre mittelfristig ihr Ende als Struktur.

Netanjahu holt denn auch den vollkommen uninteressanten iranischen Brutreaktor in Arak aus seiner Trickkiste und erklärt, dass er sinistre Pläne aufgedeckt habe, denen zufolge dieser bei der Herstellung von waffenfähigem Plutonium eingesetzt werden würde. Theoretisch wäre das möglich – der Reaktor IR-40 ist dazu bestimmt, Isotope für die Bedarfe der Medizin, der Landwirtschaft und für Baustoffe herzustellen. Er könnte auch zur Herstellung von Plutonium dienen. Die Nuance besteht allerdings darin, dass er unter durchaus wirksamer Kontrolle der IAEA steht und die Perser eine Herstellung von waffenfähigem Plutonium nicht einfach insgeheim angehen können. Aber Netanjahus Andeutung ist klar erkennbar.

Denn während die Drohungen, die Zentrifugen in Natanz und Fordo zu bombardieren, nicht allzu glaubwürdig klingen – es reicht ja nicht, überhaupt erstmal bis dahin geflogen zu kommen, sondern man müsste sich noch durch dutzende von Metern an Felsschicht bomben, ehe man die Anlagen gefährden kann – so ist die Drohung, den Reaktor in Arak zu zerstören, sicherlich bei Bedarf in die Tat umzusetzen. Dieser Reaktor ist oberirdisch gelegen und wird von Winden aus allen Richtungen durchweht. Ein Angriff auf diesen Reaktor durch Israel wäre die Reißleine, die Netanjahu hätte, sollte ihm die “Partnerschaft” zwischen den USA und dem Iran zu innig werden. Die Antwort Irans auf einen solchen Angriff wäre hart – vielleicht sogar militärisch. Egal, was man gerade verhandelte, es wäre nichtig. Für Netanjahu gäbe es bei einer solchen Aktion wohl ein Risiko, aber es wiegt weit weniger schwer als das, was käme, wenn er einfach weiter zuschaut, wie sich die Dinge entwickeln.

Deshalb sah die Sache für Obama ziemlich alternativlos aus. Es gibt nicht mehr allzu viele Verbündete für ihn in der Region, die genauso beide Problemkreise angehen wollen wie er selbst. Selbst eingefleischte Euro-Atlantisten springen ab, wie etwa die periodisch übergeschnappten François Hollande und dessen Außenminister Fabius, die drauf und dran waren, für die Sache mit den “Chemiewaffen” in Ostghouta ein paar Völker humanitär durchzugenozidieren und die auch hinter dem einstweiligen Scheitern der 5+1-Gespräche standen. Dabei sieht Hollande zumindest mit seinen Experimenten im Bereich der Familienpolitik auf keinen Fall wie ein Verbündeter der Republikaner aus – ideologisch ist er eher ein Mann Obamas und dessen Mannschaft. Will alles in allem heißen, der Iran ist das Pferd, auf das nun ganz logischerweise gesetzt ist.

In Ägypten nun, so scheint es, gibt es für Obama nichts mehr zu holen. Saudi-Arabien, Israel und die ägyptischen Generäle sind eine viel zu starke Allianz für die ausgebluteten, zerstreuten und inzwischen auch als “Terrororganisation” verbotenen Moslembrüder. Ägypten ist für Obama also weitgehend verloren, und auch wenn das ihn und seine Politik natürlich nicht gleich zu Fall bringt, so sind es doch solche Tropfen, die stet den Stein höhlen.

Empfohlene Lektüre: “Das Lied von Eis und Feuer” von George R. R. Martin