US-Truppenabzug aus dem IrakNach dem Abzug der US-Truppen Ende 2011 haben die USA grünes Licht für ihre Pläne zur Demontage dieses Landes gegeben. Die Frage bestand lediglich darin, wann, in wie viele und welche Teile das Land zu teilen sei. Klar war eines – unter Berücksichtigung der geographischen Lage des Irak sollte sich seine Demontage maximal auf der Linie der langfristigen Absichten in der amerikanischen Nahost-Politik befinden. Das betrifft natürlich vordergründig die Kontrolle über die Ölvorkommen des Landes und die Einflussnahme auf die Nachbarländer hinsichtlich deren Verhältnisses zum neuen Irak. Einen Trigger für diesen Prozess kann man auch schon erkennen – das wäre die Unabhängigkeitserklärung des südlichen (also irakischen) Kurdistan. Allerdings ist Segregation eine einmalige Sache, die man möglichst effektiv ausnutzen muss, um danach nicht der entgangenen Chance nachzutrauern. Es könnte keine zweite geben, denn die Resultate einer solchen Teilung leben dann selbständig ihr eigenes Leben.

Der ursprünglich auf den 21. März 2012 für die Unabhängigkeitserklärung Kurdistans festgesetzte Termin, bereits von den Medien aufgegriffen, wurde von der Führung der kurdischen Autonomie abgesagt. Es sieht ganz nach einer plötzlichen Absage bei der letzten möglichen Gelegenheit aus. Möglicherweise hatte man von den syrischen Kurden analoge Maßnahmen und eine offene Opposition zur syrischen Regierung erwartet, stattdessen kam just in diesem Augenblick die Nachricht, dass „ganz Kurdistan“ sich einer Einmischung der Türkei in Syrien verweigert und das als Kriegserklärung betrachten würde. Der schnellen Erledigung des Regime Change in Syrien haben sich die Kurden also verweigert. Das Haupt der kurdischen Autonomie im Irak, Masud Barzani, spricht jedoch davon, dass die Unabhängigkeitserklärung lediglich aufgeschoben, darüber hinaus aber eine entschiedene Sache sei.

Jetzt, wo die USA sich bestimmten Schwierigkeiten bei der Erreichung eines Regime Change in Syrien (und eine Ausschaltung des Iran) gegenübersehen, ist es mit der Föderalisierung des Irak nicht nur an der Zeit, sondern das ist inzwischen regelrecht unabdingbar.

Wie man an der Karte der Ethnien im Irak erkennen kann, zeichnen sich drei potentielle territoriale Neubildungen ab: Kurdistan, der sunnitische Irak und der schiitische Irak.

1. Allgemeine Ziele durch eine Aufteilung des Irak

a) Die Herbeiführung einer (wenn nötig, militärischen) Konfrontation zwischen den Interessen der Golfmonarchien, des Iran und der Türkei auf dem Territorium der neuen, aus dem Irak hervorgegangenen Gebilde. Dadurch die Gewinnung von gewissen Hebeln hinsichtlich jeder der genannten Parteien (insbesondere über Südkurdistan und das südirakische Öl der Region Basra).

b) Hierzu Kontrolle (pro-)amerikanischer Konzerne über die wichtigsten Ölquellen des Irak; bei den übrigen (wie z.B. um Basra) Schaffung von Schwierigkeiten bei der Ölförderung, dessen Absatz und generell Instabilität.

c) Der Sturz von Baschar al-Assad, die Umorganisation Syriens im Interesse der sunnitisch-arabischen Mehrheit (sprich: derselben Golfmonarchien) und endgültige Beendigung eines jedweden iranischen Einflusses westlich von seinem Territorium.

d) Die Bindung der Aufmerksamkeit und der Präsenz des Iran an dessen Westgrenze, damit die Lähmung seiner Entwicklung durch ständige Bedrohung und auch Übergriffe seitens von sunnitischen Radikalen.

2. Neubildungen auf dem Gebiet des Irak und deren Rolle innerhalb der Nahostpolitik der USA

Südkurdistan

a) Kontrolle über die wesentlichen nordirakischen Ölvorkommen in Kirkuk und Mossul, Ausbeutung durch ExxonMobil (es gab dazu schon eine Vereinbarung mit der kurdischen Autonomie, die aber aufgrund von Ärger mit der Regierung in Bagdad auf Eis gelegt worden ist; dabei die klare Ansage, dass Bagdad „in ein paar Tagen womöglich seine Meinung ändert“). Unterstützung der Provinz Diyala in ihrer Opposition zu Bagdad bezüglich der Kontrolle über die Ölvorkommen von Chanaqin. Nötigenfalls kann man ein Referendum in Diyala darüber durchführen lassen, ob dieses Gebiet nicht zu Kurdistan gehören will.

b) Die Möglichkeit einer Autonomie des westlichen, nördlichen und östlichen Kurdistan droht Syrien, der Türkei und Iran. Dabei hätten die USA direkten Zugriff auf Südkurdistan und könnten die Diplomatie insofern nutzen, als dass sie sich verbal und mit Versprechen für eine Vereinigung der kurdischen Gebiete und deren Unabhängigkeit einsetzen, die Sache in Wahrheit aber mit allen Mitteln behindern. Dieser Stimulus garantierte die Loyalität Arbils gegenüber Washington inmitten von feindseligen Gebieten.

Der sunnitische Irak

a) Ausgangspunkt und Zentrum ist die Provinz al-Anbar, vereint Leute aus der ehemaligen Machtbasis von Saddam Hussein und sunnitische Araber, die im „sunnitischen Dreieck“ des Irak leben.

b) Begrenzt den Einflussbereich der Schiiten und schneidet Syrien von ihnen ab.

c) Appelliert im Konfliktfall mit dem schiitischen Bagdad an die Golfmonarchien und/oder an die Türkei, dadurch Schaffung von Pufferzonen an der Grenze zu Syrien.

Eine Konfrontation mit Südkurdistan wäre auch in den irakischen Provinzen Salah-ad-Ding und Ninive möglich. Doch unter Berücksichtigung der guten Organisation und Ausbildung der kurdischen Peschmerga haben die irakischen Sunniten dort kaum Chancen. Außerdem sind die ansässigen Assyrer und Turkmenen im Zweifelsfall eher auf der Seite der Kurden.

Der schiitische Irak

Könnte von vornherein gespalten sein und zwei Zentren haben: einen nördlichen Teil mit Bagdad als Machtpol und einen südlichen in der Provinz Basra, kontrolliert von der Mahdi-Armee.

Mahdi-Armee in BasraDer Vorteil des südlicheren Teils wären die Ölvorkommen und der Zugang zum Persischen Golf. Der Nachteil selbstredend der radikale Islam in der Führungsschicht und die Iran-Orientierung, was beides die Weltöffentlichkeit abschreckt.

Der Vorteil des nördlicheren Teils läge in der Rechtsnachfolge der internationalen Stellung des Irak und der weniger radikal ausgeprägten Religiosität der Führungsebene. Nachteile sind die wirtschaftliche Schwäche v.a. aufgrund des Verlusts des Zugangs zu den Ölquellen.

Das ist gleichzeitig auch der anzunehmende Hauptkatalysator der Spannungen auf dem Gebiet des demontierten Irak, denn es ist davon auszugehen, dass Bagdad sich mit allen möglichen und unmöglichen Mitteln den Zugang zum Öl sichern will, zumindest, was die Ölvorkommen im Süden um Basra angeht.

3. Schätzungsweise Fristen des Zerfalls

Es kann gut sein, dass die für den 23. Mai 2012 geplanten Gespräche der „Sechsergruppe“ zur Regulierung der Meinungsverschiedenheiten um das iranische Atomprogramm zum letzten größeren internationalen Ereignis im Irak innerhalb seiner jetzigen Grenzen werden.

Die Hauptforderung des Westens an Teheran wird augenscheinlich die Schließung der Atomanlage in Fordo sein, denn diese ist das einzige Objekt des Iran, an dessen Zerstörung sich die USA, selbst mit den schwersten Bunker-Bustern, die Zähne ausbeißen dürften.

Die Reaktion des Iran auf diese Forderung und die Situation in Syrien zu diesem Zeitpunkt wird die grundlegende Richtung und die Fristen des Schicksals des Irak bestimmen.

Dabei sind sicher auch die US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen zu berücksichtigen und dass Obama offenkundig nicht den Wunsch hat, die USA vor diesen Wahlen in noch einen Konflikt hineinzuziehen und dann wahrscheinlich langsam mal wirklich um seinen Friedensnobelpreis fürchten müsste.