Der “Jahresrückblick 2013″ zu Saudi-Arabien ist fast schon überraschend neutral bis konstruktiv geschrieben und geht, für das Format wahrscheinlich normal, bei manchen Dingen nicht allzu sehr in die Tiefe. Der Text ergibt alles in allem einen guten Überblick über die Startbedingungen des Königreichs für das Jahr 2014. Beim Lesen nicht vergessen: er ist aus russischer Perspektive verfaßt, “wir”, “uns” usw. sind aus dieser Perspektive zu verstehen. Quelle: itar-tass.com

Das vergangene Jahr 2013 ergibt für Saudi-Arabien ein recht uneindeutiges Gesamtbild. Den nicht enden wollenden Krieg in Syrien kann man für das Königreich nicht als Enttäuschung werten – gerade für Araber ist eine solche Methode der Kriegführung, bei der der Gegner allmählich zermürbt wird, viel eher charakteristisch als der “europäische” Blitzkrieg. Selbst ein verlorener Krieg stellt für einen Araber noch keinen Grund zur Sorge dar; die Zauberformel “Inschallah!” ist genügende Antwort auf alle Fragen. Schließlich ist selbst Saudi-Arabien erst beim dritten Versuch entstanden; es gibt also keinen Grund zur Eile.

Im Großen und Ganzen hat das Königreich lediglich zwei Schlüsselprobleme – Modernisierung und Sicherheit. Mit dem Rest kommt es durchaus gut klar, und wo es nicht selbst zurechtkommt, da helfen seine schier endlosen Finanzen.

Die Modernisierung wird durch die Ideologie ausgebremst, welche es dabei gestattet hat, dieses große arabische Staatswesen zusammenzuzimmern und die deswegen eine Grundlage für seine gesamte Existenz bildet.

Praktisch alle Lebensbereiche stehen unter der Aufmerksamkeit und Fürsorge der Wahhabiten-Muftis

Der Wahhabismus als extrem konservative und fundamentalistische Lehre begegnet einer jeglichen Neuerung, egal in welchem Lebensbereich, höchst ablehnend. Die zur Ideologie erhobene Theokratie, welche Saudi-Arabien immer noch ist, wird sowohl von einer säkularen, als auch von geistlichen Macht gesteuert. Denn obwohl der König weltlicher wie geistlicher Führer des Königreichs ist, ist die Macht der Nachkommen des Muhammad ibn ʿAbd al-Wahhāb – des Clans Al ash-Shaykh – bedeutend.

Schon der Gründer der jetzigen Version Saudi-Arabiens und sein erster König, Abd al-Aziz ibn Saud, geriet seinerzeit mit den Glaubenseiferern und Fanatikern, den Ichwān, in Konflikt; diese waren aber auch seine Stoßkraft. Die Ichwān forderten eine Verbreitung des einzig wahren Glaubens auch außerhalb der Arabischen Halbinsel, was für das Königreich unvermeidlich zur Katastrophe geworden wäre. Mit einiger Mühe gelang es dem pragmatischen Abd al-Aziz, sie zu bezwingen, wonach er die Balance zwischen geistlicher und weltlicher Macht zugunsten letzterer zu verschieben begann. Dieser Prozess lief ständig über die ganze Zeit der Existenz des Staates der Dynastie Al-Saud, jedoch sind die ideologischen Beschränkungen auch heute noch die große Bremse einer Modernisierung des Landes.

Praktisch alle Lebensbereiche stehen unter der Aufmerksamkeit und Fürsorge der Wahhabiten-Muftis, angefangen von der Verweigerung eines Führerscheins für Frauen und bis hin zu solch wichtigen Bereichen wie der Bildung. Um Konflikte zu vermeiden, hat die säkulare Staatsmacht die Ausbildung ihrer Jugend im Ausland auf organisierte Schienen gebracht. Das ist eine Erfordernis des Lebens, denn das Land braucht eben nicht nur Fachleute im exakten Zitieren der heiligen Schriften. Allerdings bringt auch das ein Problem mit sich: nach einer Ausbildung in Amerika oder Europa eignen sich die jungen Leute, abgesehen von Wissensschätzen, auch Angewohnheiten an, die für einen Rechtgläubigen als untragbar gelten. Sie bringen diese mit ins Land und stecken andere damit an.

Wohl oder übel muss man da wohl die Zähne zusammenbeißen und eigene säkulare Hochschulen aufbauen. Der Kampf um die Köpfe findet ständig statt, und erst unlängst hat König Abdullah einen neuen Bildungsminister benannt, der genau diese Aufgabe hat, nämlich qualitativ neue Herangehensweisen an ein Bildungssystem zu finden und eine annehmbare Balance zwischen dem Wissen, das das Land braucht, und der wahhabitischen Frömmigkeit zu finden.

Natürlich beschränkt sich Modernisierung nicht auf Bildungsfragen, sie sind aber ein recht guter Marker, anhand dessen man die Erfolge von Modernisierungsprozessen in Saudi-Arabien messen könnte. Im Land herrschen ohnehin extreme klimatische Bedingungen, die auch den Aufbau einer modernen Wirtschaft verhindern, dabei muss die Führung die Grundlagen für ein normales Leben “nach dem Erdöl” legen. Die Schaffung einer modernen und erfolgreichen Wirtschaft, die nicht auf Erdöl basiert, stellt sich der Herrscherdynastie als Frage des eigenen Überlebens in Zukunft. Ohne die entsprechend ausgebildeten Leute ist das nicht zu machen. Das Beispiel Libyens, das es nicht zuwege brachte, sein eigenes Atomprogramm ausschließlich unter Heranziehung ausländischer Fachkräfte zu realisieren, ist dabei mehr als nur ein Fingerzeig, was geht und was nicht. In Saudi-Arabien will man diesen Fehler natürlich nicht wiederholen.

Im Jahr 2013 erfolgte im Königreich eine äußerlich unbedeutende, aber doch wichtige Entscheidung zugunsten der Verlegung der Feiertage von Donnerstag/Freitag auf Freitag/Samstag. Das scheint eine Lappalie, doch auf diese Weise synchronisiert Saudi-Arabien seine Werktage mit seinen Wirtschaftspartnern und vermeidet dabei die mit der Nichtübereinstimmung der Arbeitszeit mit den Kollegen zusammenhängenden Verluste. Solche kleinen und auf den ersten Blick unscheinbaren Probleme gibt es im Königreich noch und nöcher.

Das alles ist, nichtsdestotrotz, alles in der Perspektive. Die jetzigen wirtschaftlichen Gegebenheiten in Saudi-Arabien basieren praktisch vollständig auf dem Erdöl. Das Königreich hat die von den USA und Europa gegen den Iran verhängten Sanktionen mit großem Gewinn für sich zu nutzen gewusst, indem es die iranischen Anteile fast vollständig durch sein Erdöl ersetzte. Für saudische Maßstäbe waren das natürlich Peanuts, aber doch sehr behagliche. Doppelt behaglich, weil dem Erzfeind in der Region dadurch Probleme bereitet worden sind.

Saudi-Arabien braucht einen sehr festen Stand, um dem vereinten Andrang seiner schiitischen Gegner zu begegnen

Die Genfer Vereinbarungen haben jetzt aber die iranischen Möglichkeiten wieder “freigeschaltet”, und während der letzten OPEC-Sitzung hat der iranische Ölminister die Versammlung wenn nicht ins Koma gestürzt, so doch zumindest schweres Grübeln veranlasst, indem er ankündigte, dass sein Land in absehbarer Zukunft wieder bis zu 4 Millionen Barrel pro Tag fördern wird, selbst wenn das dazu führen sollte, dass der Erdölpreis auf diese Weise auf 20 USD pro Barrel fällt. Es ist natürlich allen klar, dass daran ziemlich viel Bluff ist, aber eine Feinheit gibt es doch. Die iranische Strategie beim Erdölabsatz zielte immer auf ein Maximum der gehandelten Erdölmenge, während die saudische immer bestrebt ist, die Marge zu maximieren. Die diffizile Balance zwischen diesen beiden Strategien wird durch die OPEC geregelt.

Der Iran und der Irak haben ihre Pläne, die zusammengelegte Fördermenge zum Jahr 2020 auf schwindelerregende 12 Millionen Barrel pro Tag zu bringen, bereits offengelegt. Den größten Teil dieser Menge will der Irak liefern, und seine Pläne sehen nicht allzu realistisch aus; allerdings steht es realistisch gesehen durchaus in den Möglichkeiten des Irak und des Iran, die zusammengelegte Fördermenge bis 2020 auf 7-8 Millionen Barrel pro Tag zu erhöhen. Dabei kann der Iran seinen Anteil an dem Wachstum bereits innerhalb der kommenden 5 Jahre erreichen. Vom Gesichtspunkt der iranischen Strategie wäre eine solche Lage durchaus annehmbar, vom Gesichtspunkt der saudischen dagegen eine Katastrophe. Im Grunde geht es hier um eine Umgestaltung aller Quotenvereinbarungen der OPEC, und Saudi-Arabien braucht einen sehr festen Stand, um dem vereinten Andrang seiner schiitischen Gegner zu begegnen.

Was diesen Stand angeht, so wurde es im Jahr 2013 damit für Saudi-Arabien schlechter. Sehr viel schlechter.

Die Fortführung der US-Strategie, Saudi-Arabien vor unvorhergesehenen Unannehmlichkeiten “abzuschirmen”, wird ineffizient, aufwendig und überflüssig

Als Hauptverbündeter der USA in der arabischen Welt hat Saudi-Arabien eine Sicherheitspolitik verfolgt, die auf dem “Schutzschirm” beruhte, durch den die Vereinigten Staaten es vor allen Unannehmlichkeiten bewahrt haben. Diese Position der USA ist vollkommen verständlich – als größter Erdölimporteur muss man auf dem gesamten Lieferweg seine Interessen durchsetzen können.

Die Interessen der USA haben noch 2006 den damaligen Präsidenten Bush dazu veranlasst, ein schrittweises Loskommen der Vereinigten Staaten vom Erdölimport anzugehen. Diese Aufgabe ist man auch tatsächlich angegangen – während 2005 60% des Energiebedarfs durch Ressourcenimporte gesichert wurden, so waren es 2010 schon nur noch 45%, 2013 fiel der Anteil weiter auf 40%. Im Jahre 2011 wurden die USA zum Netto-Exporteur von Erdölprodukten. Im Jahr 2014 werden die USA Russland in den exportierten Erdölmengen überrunden und geben Platz 1 bei den Erdölimporten an China ab.

Unter solchen Bedingungen wird eine Fortführung der US-Strategie, Saudi-Arabien vor unvorhergesehenen Unannehmlichkeiten “abzuschirmen”, ineffizient, aufwendig und überflüssig. Eine Normalisierung der Beziehungen zwischen dem Iran und den USA kann überdies eine weitere Reduzierung des Aufkommens für die Kontrolle der Region mit sich bringen, was die sorgfältigen Amerikaner, die ihr Geld sicher ganz gut zählen können, denn auch durchziehen.

Natürlich ist der Durchbruch in den Beziehungen zwischen dem Iran und den USA im vergangenen Jahr nicht nur von solch merkantilen Faktoren bedingt gewesen. Diese schwierige politische wie wirtschaftspolitische Aufgabe war durch die Notwendigkeit einer Umorientierung der USA auf den Asiatisch-Pazifischen Raum bedingt, ebenso auch durch das Scheitern der Obama-Politik bei seinem Bauen auf den gemäßigten politischen Islam, desweiteren durch die Notwendigkeit, den Einfluß der pro-israelischen und der pro-saudischen Lobby in den Machtkorridoren in Washington zu verringern.

Mordor Riad

Einen nicht unbedeutenden Platz in der US-Strategie nimmt auch Russland ein – indem Russland bei gleichzeitig schwindender US-Präsenz in der Nahost-Region Einlass findet, bekommen die Vereinigten Staaten eine ganze Palette an Möglichkeiten. Zum Einen beinhaltet eine Kooperation zwischen den USA und Russland in der Region gegenseitige Eingeständnisse. Die USA haben ihr Eingeständnis bereits gemacht – sie haben es Russland gestattet, in der Region Fuß zu fassen, ohne etwas dagegen zu unternehmen. Es ist jetzt an der russischen Diplomatie, eine entsprechende Antwort zu finden. Zum Anderen werden die russischen Ressourcen, Kräfte und Möglichkeiten durch dieses Zulassen in die doch recht deregulierte Region ausgedünnt, wo der Nachhall der Katastrophen von 2011-2013 noch lange klingen wird. Außerdem wird eine neue Balance geschaffen, in der gleich vier große Player – Russland, Israel, Iran und Saudi-Arabien – um eine für sie jeweils günstige Position ringen werden. In zweiter Reihe marschieren Katar und die Türkei. All das gibt den Vereinigten Staaten wunderbare Möglichkeiten in die Hand, die Prozesse in der Region aus der Ferne zu steuern und mit den unvermeidlichen Widersprüchen der Länder der Region zu spielen.

Für Russland ist die neue Lage im Nahen Osten ohne jeden Zweifel eine ernste Herausforderung. Es muss genau die Politik gefunden werden, die es gestatten kann, sich in der Region einzureihen und dabei aber das eigene, und kein von anderen Subjekten der Nahost-Politik aufgezwungenes Spiel zu spielen.

Dabei brauchen wir keine Konfrontation, sondern Kooperation. In diesem Sinne kann ein grobschlächtiges Durchsetzen der eigenen Interessen zu Abwehrreaktionen führen und die Region “gegen uns” einen. Leider sind viele Positionen, die noch die Sowjetunion in der Region für sich gesichert hatte, verloren; diese müssen praktisch von Null auf neu erobert werden. Das ist nicht einfach, und noch schlimmer – das dauert lange. Zeit jedoch, wohlüberlegt in die neuen Gegebenheiten hineinzuwachsen, gibt es wie immer nicht.

Regionale Währungszonen als Ersatz für die Monopolie der einzigen Weltwährung

Schlußendlich gibt es noch ein weiteres, weniger offensichtliches Plus der Obama-Politik. Es scheint, als wäre Obamas Paradigma einer Überwindung der globalen Krise darauf begründet, mehrere regionale Währungszonen als Ersatz für die Monopolie der einzigen Weltwährung, des US-Dollar, zu schaffen. Das bisherige Modell hat sich überlebt und die Systemkrise, die es zu Fall gebracht hat, verlangt nach einem neuen, fortschrittlicheren System des globalen Finanzmanagements. Jede Währungsregion soll sich demnach auf einen ausgewogenen Regionalmarkt stützen, und in gewisser Hinsicht ist die russisch-kasachisch-weißrussische Zollunion in der Lage, in Zukunft zum Prototypen eines solchen Regionalmarktes zu werden. Die deutsch-französische “Gemeinschaft für Kohle und Stahl” wurde seinerzeit zur Grundlage der heutigen Europäischen Union. Diesen Weg schlagen wir im Grunde auch gerade ein. Allerdings sieht die Zollunion mit den derzeitigen Mitgliedern unter dem Gesichtspunkt der Schaffung eines eigenen regionalen Währungssystems nicht gerade überlebensfähig aus. Sie ist dazu zu klein. Das Einbringen Russlands in die Nahost-Gemengelage wäre dazu in der Lage, in Zukunft weitere Mitglieder für die Zollunion zu gewinnen und diese so dem wünschenswerten Zustand anzunähern. Die Absicht Syriens, der Zollunion beizutreten, liegt beispielsweise im ureigenen Interesse Russlands und seiner Partner in der Union.

Kurzum, die Interessen der Vereinigten Staaten sind vielschichtig, doch dazu gehört offenbar nicht mehr eine Schutzfunktion für Saudi-Arabien. Das Königreich muss diesen neuen Gegebenheiten natürlich Rechnung tragen. Während es vor 2013 noch gewisse Illusionen gab, so hat die harte und geradlinige, auf eine Einigung mit dem Iran ausgerichtete Politik Obamas, die in der gegenwärtigen Phase mit dem Genfer Abkommen zum Atomprogramm der Islamischen Republik einen erfolgreichen Zwischenstand feiern kann, lassen den Al-Saud keine Wahl. Sie müssen damit beginnen, in dieser neuen Realität zu leben.

Bislang ungelöste Frage nach der Thronfolge

Ohne Zweifel ist die saudische Elite nicht monolithisch. Das ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass es allein der direkten Nachfahren des Abd al-Aziz ibn Saud schon um die 10.000 gibt, und alle sie nennen sich mit Fug und Recht Prinzen und Prinzessinnen. Wirkliche Macht und Einfluß haben davon vielleicht zwei- bis dreihundert; sie bilden die administrative, finanzielle, industrielle und Gewaltenelite Saudi-Arabiens.

Davon gibt’s 10.000.

Die Gesamtlage wird durch die bislang ungelöste Frage nach der Thronfolge erschwert. Noch unter König Fahd wurde das Gebot des Reichsgründers ein wenig abgeändert – dem Gebot zufolge konnten nur besonders fromme Söhne des Abd al-Aziz den Thron einnehmen. In die Reihe der Anwärter sind nunmehr auch dessen Kindeskinder inbegriffen, doch das Problem ist damit noch lange nicht gelöst. Mächtige Clans der Dynastie führen ihren Kampf um Einfluss und Positionen, und noch gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass einer davon einen entscheidenden Vorrang erlangt hätte.

Die erste Herrschergeneration Saudi-Arabiens geht simpel und einfach zu Ende. Unter den Anwärtern auf den Thron bleiben aus den lebendigen Söhnen lediglich zwei – der jetzige Kronprinz Salman und der zweite Premier (de facto der dritte Mann im Staat) Muqrin. Nur ist Salman alles in allem nicht allzu handlungsfähig, und Muqrin ist Sohn einer Ausländerin. In Saudi-Arabien reift ein Moment heran, den die UdSSR nach dem Tode Andropows durchgemacht hat – solange die Clans noch keine Übereinkunft gefunden hatten, setzte man eben einen vor Alter und lauter Krankheiten gar nichts mehr verstehenden Konstantin Tschernenko in die Führungsposition. Das hat uns zwar auch nichts Gutes gebracht, aber niemand kann sagen, wie die Saud das gleiche Problem lösen werden.

Bandar und sein Trupp

Man kann davon sprechen, dass es zum heutigen Tag in der saudischen Elite zwei Gruppierungen gibt, die dabei unterschiedlicher Ansicht über die weitere Entwicklung ihres Landes sind, einschließlich dessen außenpolitischer Positionierung. Die übrigen Clans und Gruppen befinden sich mehr oder weniger im Orbit einer dieser beiden.

Die Gruppierung, deren Frontmann Prinz Bandar, Chef der saudischen Sicherheitsdienste sowie Busenfreund der Bushs ist, geht von einer recht harten Einstellung hinsichtlich einer Konfrontation mit dem Iran aus. Kern dieser Gruppe ist der einflußreichste Clan des Königreichs – die Sudairi. Dabei wissen “Bandar und sein Trupp” sehr wohl um die Verwundbarkeit des Königreiches an dessen Peripherie. Saudi-Arabien wurde vom rein geographischen Standpunkt gesehen aus einer Vereinigung von vier unterschiedlichen Regionen der Halbinsel gebildet – Nadschd im Zentrum Arabiens, Hedschas an der Küste des Roten Meeres mit seinen heiligen Städten Mekka und Medina, Asir an der Grenze zum Jemen und Al-Hasa, die heutige Ostprovinz, welche die wichtigste Erdölvorratskammer des Königreichs ist. Außerdem wären da noch die nördlichen Provinzen Saudi-Arabiens mit ihrer jeweils eigenen Geschichte im Leben der Dynastie. Zwischen diesen historischen Regionen gibt es eigene Bruchlinien, welche bis dato allein durch einen eisernen Machtapparat zusammengehalten werden. Eine Instabilität der Staatsmacht würde mit sofortiger Wirkung Verfallsprozesse des Landes entlang dieser Bruchlinien initiieren.

Stratfor-Grafik von 2002; damals hat Stratfor Bandar “der anderen” Fraktion zugeordnet. Bandar selbst ist als Sohn einer Ausländerin kein Anwärter auf den Thron.

Aus diesem Grunde sieht die Gruppierung aus Prinz Bandar, dem Innenminister Mohammed ben Naif, dem Außenminister Sa’ud al-Faysal und anderer einflußreicher Prinzen einen Ausweg in der Verlagerung der Konfrontation mit dem Iran nach außerhalb von Saudi-Arabien. Diese Gruppierung sponsort den Krieg in Syrien, tritt aktiv für die Schaffung eines sunnitischen Staatsgebildes durch eine Aufteilung Syriens und des Irak ein, um auf dessen Territorium letztlich den Kampf um regionale Vormachtstellung auszutragen. Die Folgen einer solchen Politik sind bereits heute greifbar – eine Radikalisierung des Islam, das Auftreten von Massen bewaffneter Dschihadisten, die Verbreitung von Theorie und Praxis des Dschihad in die angrenzenden Länder und Gebiete.

Die andere Gruppierung innerhalb der saudischen Elite, welcher König Abdullah, dessen Sohn Mutaib und, wie es aussieht, ein Teil des al-Dschiluwi-Clans vorsteht (letzterer rekrutiert sich aus Verwandten, jedoch keinen direkten Nachfahren des Abd al-Aziz ibn Saud und kontrolliert die erdölreiche Ostprovinz des Landes und hegt einen gewissen Groll gegen die Sudairi, welche die al-Dschiluwi mit einigem Erfolg dieser Kontrolle zu entheben suchen), tritt für eine etwas andere Herangehensweise in der Auseinandersetzung mit dem Iran ein.

Diese Herangehensweise zeigt sich beispielsweise in der Idee König Abdullahs über die Schaffung einer militärpolitischen, und in Zukunft möglicherweise auch wirtschaftlichen “Arabischen EU” aus den sechs arabischen Monarchien. Derzeit ist die Idee eines Militärbündnisses von den sechs Staaten der Halbinsel angenommen, aber die Schaffung von supranationalen Verwaltungsorganen trifft auf eine kategorische Ablehnung durch den Oman. Es entspricht nicht den Interessen des Sultan Qabus, der ein Land mit einer spezifischen Version des Islam, dem Ibadismus, regiert, dass sein Staat der totalen Kontrolle eines solchen supranationalen Gremiums unterliege. Sicherlich liegen nicht allein theologische Differenzen im Grunde einer solchen Ablehnung durch den Oman – es gibt auch rein materielle Aspekte seiner inneren Spezifik, doch so oder so, die Initiative des Königs Abdullah wird von den meisten Golfmonarchien unterstützt, denn diese verstehen nur zu gut, dass sie ihre Sicherheit nun in vielerlei Hinsicht selbst gewährleisten müssen.

Und schließlich gibt es noch Clans und Gruppierungen, die sich nicht festgelegt haben, und darunter sind auch solche, die in der Lage wären, durchaus gewichtige Argumente auf die Waagschale der Auseinandersetzungen zu werfen. Das ist in erster Linie die klerikale Elite des Landes – der Clan Al ash-Shaykh, die Nachfahren des Muhammad ibn ʿAbd al-Wahhāb.

Sicherheitsfragen werden die Monarchien jetzt zunehmend selbst klären müssen

Man kann davon sprechen, dass das Jahr 2013 für die Länder der Arabischen Halbinsel zu einem Jahr des Umbruchs geworden ist. Sie sind noch nicht zu einer Entscheidung zum künftigen Entwicklungsweg unter den neuen Bedingungen nach der Genfer Konferenz über die Beilegung des Problems mit dem iranischen Atomprogramm gelangt. Es ist seither noch zu wenig Zeit verstrichen. Doch bereits jetzt ist absehbar, dass das kommende Jahr für sie zu einem Entscheidungsjahr werden wird, denn es bleibt immer weniger Zeit für Richtungsentscheidungen und die Ausarbeitung einer gegensteuernden Politik.

Für Russland birgt die Lage, in welche Saudi-Arabien geraten ist, ein großes Potential zu einer grundlegenden Änderung der Beziehungen zu den Golfmonarchien, in erster Linie zu Saudi-Arabien selbst. Vorher, als der US-amerikanische Schutzschirm über den Persischen Golf gespannt war, gab es nicht die geringste Chance darauf, diese Beziehungen zu normalisieren, und es hat sie auch nicht geben können – die USA reagierten mit entschiedener Härte auf jegliche Versuche, die Balance in dieser für sie kritisch wichtigen Region zu verändern. Die Monarchien, welche ihres Schutzes zum eigenen Überleben bedurften, hatten nicht im Traum daran gedacht, selbständig und in eigenem Namen an dem globalen Spiel teilzunehmen und dabei die Interessen ihres Gönners zu mißachten.

Diese Lage hat sich jetzt von Grund auf geändert. Sicherheitsfragen werden die Monarchien jetzt zunehmend selbst klären müssen. Man muss dazu freilich anmerken, dass das Wort davon, dass “die USA die Region verlassen”, nicht ganz korrekt ist. Die USA bauen die Strukturen ihrer Regionalkommandos nicht etwa ab, sondern festigen sie vielmehr. Zum Verantwortungsbereich von CENTCOM gehören 19 Staaten des Nahen und Mittleren Ostens und der Persische Golf. Das Anfang der 1980er Jahre geschaffene System der Regionalkommandos entspricht einer der Anforderungen aus der US-Militärdoktrin, die eine globale Dominanz fordert. Dieses System ist lebensfähig, es bedarf lediglich einer gewissen Justierung dafür, die Interessen der USA unter neuen Bedingungen durchzusetzen. Außerdem ist bislang immer noch nicht vollständig geklärt, wie genau die Sache mit dem NATO-Truppenabzug aus Afghanistan verlaufen soll. Dieser Abzug ist noch nicht bis ins Detail abgestimmt, und derzeit gibt es um diese Frage ein recht schwieriges Pokern. Aus diesen Gründen muss man den “Weggang der USA aus der Region” natürlich bedingt verstehen und so damit umgehen.