4. Gaskrieg

Um jetzt nicht in alle Länge und Breite zu diffundieren, muss man einfach nur versuchen, alles das, was an Informationen verfügbar ist, in einen Zusammenhang zu bringen, so es ihn denn gibt. Gott würfelt nicht, und die plötzliche Rolle des Zwergenstaates Katar im wirtschaftlichen Engagement und besonders in den bewaffneten Konflikten der jüngeren Zeit (Libyen, Syrien) ist sicher auch kein Zufall.

Folgendes steht bisher fest. Der Katar ist aktiv dabei, die russische Elite durch vorgegaukelte Milliardeninvestitionen in die russische Wirtschaft an der Nase herumzuführen, dabei platzen alle Deals förmlich in letzter Minute durch allerlei Gründe, die dafür ins Feld geführt werden. Dabei geht der Katar allerdings so geschickt vor, dass man ihn beim nächsten Deal trotzdem sehsüchtig erwartet wie den Weihnachtsmann mit seinen Geschenken.

Die süße Aussicht auf „Cashback“ lässt die russischen Staatsbeamten die Augen vor jeglichen Aktionen des Katar verschließen, sowohl in der Politik, als auch in der Wirtschaft. Als folge haben die trickreichen Araber so ziemlich alles erreicht – aus der Befürchtung, die reichen Scheichs zu verschrecken, hat die russische Staatsmacht ihre Positionen in Libyen ohne mit der Wimper zu zucken aufgegeben und die Milliarden an Investitionen in diesem unglücklichen nordafrikanischen Land einfach abgeschrieben. Nehmt doch, wir haben Hunderte solcher Projekte! Was denn für ein Libyen, wo wir hier vor massiven Investitionen aus Katar stehen? Es ist ja wohl keine Frage, was Russland nötiger braucht – eine Eisenbahn in Libyen oder Milliardeninvestitionen in die heimische Wirtschaft.

Es ist in dieser Situation eine müßige Frage, ob man denn hier den Schlawiner erkennt. Was soll’s, dass der Katar bereits das vierte Investitionsprojekt innerhalb der letzten zwei Jahre platzen lässt? Macht doch nichts, dass es bisher keine dieser Investitionen in Wirklichkeit gibt. Leute mit so aufrichtigen und ehrlichen Augen wie der Scheich oder der Emir von Katar können doch nicht schwindeln!

Als Resultat werden direkt vor der Nase von Gazprom in ganz Europa gigantische LNG-Terminals gebaut. Es entsteht eine riesige Flotte von 2G-Tankern, und dabei ist die Q-Max-Serie mit geplanten 25 Tankern nicht die einzige und letzte. Klar, 50 Milliarden Kubikmeter pro Jahr sind lediglich 5% des jährlichen Gasimports nach Europa, aber darum geht es ja gerade – es handelt sich hierbei um zu den bereits bestehenden Liefermengen zusätzliche Volumina. Der Katar hat sich bereits in aller Stille ungefähr 6 Prozent des europäischen Marktes gesichert, dabei ist der Anteil von Gazprom gleichzeitig von 26 auf 24 Prozent zurückgegangen. In Libyen wiederum greift der Katar derzeit mit harter Hand nach dem libyschen Gas. Und hier kommt noch ein Land ins Spiel, nämlich Algerien. Dieses führt im Gasbereich zwar eine kontrollierte, aber in vielerlei Hinsicht unanständig souveräne Politik durch. Unter diesen Vorzeichen wäre Algerien eines der nächsten Ziele für die Demokratisierung. Zu dem Zeitpunkt, an dem Katar seine Flotte und die Infrastruktur für die Lieferung von Flüssiggas fertig hat, wird sich das Schicksal von Algerien entschieden haben. Auf die eine oder andere Weise.

Anders gesprochen werden unter den hehren Leitbildern der Entmonopolisierung und Diversifikation in Europa die Wege für einen neuen, und in vielerlei Hinsicht viel schlimmeren Monopolisten bereinigt. Gazprom ist dabei ein erstaunlich gleichgültiger Beobachter.

Das Ziel der Tänze um den europäischen Gasmarkt ist vollkommen klar – genau so, wie Saudi-Arabien dafür sorgen soll, das iranische Öl als Lieferant zu ersetzen und den Iran dadurch zu strangulieren, so ist der Katar ein Instrument der Politik des Westens, das Russland vom europäischen Gasmarkt verdrängen soll. Aber während es unter der russischen Elite durchaus noch Illusionen bezüglich einer „europäischen Idee“ – mit einem Europa vom Ural bis Brest – gibt, so ist eine solche den Arabern völlig egal. Ihre Aufgabe ist es, die Ungläubigen am Kragen zu greifen zu bekommen. Die Saudis kontrollieren das Öl und dessen Transportwege, der Katar – das Gas und dessen Lieferungen.

Im Zuge dieses Großprojekts wird ein weiteres wichtiges Problem gelöst – Russland verschwindet aus Europa, seine Präsenz wird in den einstelligen Prozentbereich heruntergedrückt. Für das russische Budget wäre das eine Katastrophe – all die dringenden inländischen Sozialprojekte werden mit diesem Budget zusammenbrechen. Ein idealer Nährboden für soziale Spannungen, Aufstände, farbige oder farblose Revolutionen. Es gibt genügend Personal, das diese in die Hand nehmen könnte. Die Ereignisse vom Dezember 2011 bis in den März 2012 haben gezeigt, dass die entsprechenden Technologien gut funktionieren und durchaus wieder mit Erfolg greifen können.

Syrien ist in dieser Konfiguration ein lokaler Kampfschauplatz, eine Lösung mehrerer Probleme mit einem Schlag.

Das erste Problem dieser Reihe ist ein geo-ökonomisches. Der „Flaschenhals“ der Politik der Saudis und der Kataris ist ihre Abhängigkeit von der Situation um die Straße von Hormus. Es würde genügen, diese Passage für 3-6 Monate dicht zu machen – davon würde die Wirtschaft Saudi-Arabiens und Katars schlicht zusammenbrechen. Die europäische in Folge natürlich auch. Allerdings macht genau das die Operation gegen den Iran so schwierig – es ist fast unmöglich, das hier auftretende Risiko vorher abzuschätzen.

Aus genau diesem Grunde muss man im Vorfeld für einen alternativen Korridor sorgen. Das wäre Syrien als bedeutender Knotenpunkt im Nahen Osten, und deshalb hat es Priorität bei der Bewältigung dieser Aufgabe. Wenn Syrien fällt, dann werden im Eiltempo Leitungen durch dieses Land gezogen werden, die Öl und Gas an die Küste des Mittelmeers pumpen. Das wäre die einzige zumutbare Lösung dieser wichtigen Frage. Es gäbe freilich auch den Oman als Umweg, doch scheint diese Variante weniger logisch, denn sie wäre zu linear, sie klärt nicht gleichzeitig die andere globale Aufgabe, nämlich die Verdrängung Russlands aus Europa und den Zusammenbruch seiner südlichen Pipeline-Projekte Richtung Europa.

Die Vernichtung des „Assad-Regimes“ ist bei allen Varianten von wesentlicher Bedeutung. Und es gibt eine Deadline für dieses Ansinnen – das Jahr 2014. Das ist das Jahr, in dem Katar die wichtigsten Elemente seiner Infrastruktur für den kommenden „Gaskrieg“ vollendet haben wird: seinen Seehafen, die erste Serie seiner Supertanker, die LNG-Terminals in Europa, und Anteile an den europäischen Pipelines besitzen wird.

Die Zwickmühle ist weiterhin, dass, wenn solche großangelegten Vorbereitungen nicht die Schaffung von neuen Transportwegen für Öl und Gas beinhalten und das Problem mit dem Iran nicht grundlegend „behoben“ wird – und dieses Problem ist essentiell, um eine sichere Passage der Straße von Hormus zu gewährleisten – so kann das ganze schöne große Vorhaben scheitern. Dabei ist es auch nicht möglich, den Iran nicht anzugreifen – das katarische Großprojekt ist genau an dieser Stelle verwundbar, zu fragil, um auf dem unsichern Boden einer „Neutralität“ des Iran gegenüber den Plänen des Katar (d.h. gegenüber Exxon Mobile, Shell und Total) zu bauen. Aus genau diesen Gründen sind die Jahre 2012-2013 die Jahre, in denen der Iran und Syrien fallen müssen. Und, nebenbei, wahrscheinlich auch Algerien. Es gibt dafür genügend Anhaltspunkte und Varianten.

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