Der Gouverneur des iranischen Verwaltungsbezirks Gilan-e-Gharb (Provinz Kermānschāh) verkündete bereits vor etwas über einem Monat den Beginn des Baus der Erdgaspipeline Iran – Irak – Syrien.

Der Iran hat sich offenbar unter den Bedingungen des in Syrien laufenden Terrorkriegs zum Bau dieser Pipeline entschlossen. Der entsprechende Vertrag stammt noch vom Sommer 2012, und es scheint unlogisch, dass das ein Abenteuer werden sollte – solche Projekte werden nur gegen ernstzunehmende Garantien gestartet, einschließlich natürlich von Garantien über deren Sicherheit. Abzusehen ist eine Bauzeit von vielleicht zwei Jahren, kaum viel mehr. Ans syrische Territorium dürfte der Bau gegen Ende des kommenden Jahres vordringen. Offenbar schätzt der Iran diese Frist als ausreichend ein, dass sich die Situation vor Ort inzwischen günstig gestaltet.

Interessant ist dabei natürlich, dass die Bauabsicht nach den inoffiziellen, wenig publik gewordenen Zweiergesprächen zwischen den USA und dem Iran von Anfang November erklärt wurde. Was könnte wohl dahinterstecken?

Arabischer Spätherbst

Die jüngsten Unruhen in Kuwait, Bahrain und den östlichen Provinzen Saudi-Arabiens befinden sich noch auf einem für die jeweiligen Monarchen dieser Länder annehmbaren Niveau. Momentan gibt es noch keine akuten Gründe für eine neue Runde des “Arabischen Frühlings” in diesen Ländern – trotzdem ist eine allmähliche Häufung von dafür notwendigen Elementen nicht abzustreiten. Es besteht noch ein sehr fragiles Gleichgewicht, das schon durch zufällige Ereignisse oder Erschütterungen aus den Fugen geraten kann.

Ein solches Ereignis könnte die Situation im Herrscherhaus der Saud werden. Dass die Tage König Abdullahs gezählt sind, scheint bei niemandem mehr Zweifel hervorzurufen. Vor einer Weile gab es erst einmal Meldungen über einen “klinischen Tod” des Königs, kurz darauf sah man den Monarchen im Kreise seiner höchsten Beamten im Krankenhaus. Es ist nicht unplausibel anzunehmen, dass er das Krankenhaus kaum noch Richtung Thron verlassen wird. Möglicherweise befindet er sich im gleichen Zustand wie Ariel Scharon, so dass man ihn formal noch als lebend bezeichnen und vor diesem Hintergrund die Frage des Machtübergangs an die nächste Prinzengeneration entscheidet.

Zum derzeitigen Zeitpunkt scheint diese Frage noch nicht gelöst worden zu sein. Es gibt generelle Zweifel daran, dass sie so einfach lösbar ist – zu groß sind die Meinungsverschiedenheiten zwischen den verschiedenen Clans und Dynastien. Man darf dabei nicht vergessen, dass Saudi-Arabien in eine Zeit verminderter Erdölförderung eintritt, was vor dem Hintergrund eines stetig steigenden Energiebedarfs die Exportmöglichkeiten mindert und damit das Familienbudget der Saud schmälert. Und diese Familie zählt so viele Mitglieder, dass hier unweigerlich die Frage nach Zugang zum “Erdölkuchen” aufkommen wird. Die einen mögen ihre Positionen verteidigen, die anderen “gerechtere” Anteile erlangen. Wieder andere könnten zurückgedrängt werden.

Der Staatsgründer daselbst

Der höchst ambitionierte Enkel von König Abd al-Aziz’ und Sohn von Naif, Mohammed bin Naif, welcher die Führungsrolle beansprucht, ist nicht eben der Wunschkandidat eines großen Teils der Familie. Er gehört zum Sudairi-Klan, welcher ohnehin der “erste unter gleichen” ist. Kronprinz Salman gehört auch zu den Sudairi. Die anderen vier Stammesverbände des Königreichs, welche in der Dynastie vertreten sind, sind nicht mehr sehr willens, die momentanen Gegebenheiten hinzunehmen, und das kann ein Grund für die Länge der im Hintergrund erfolgenden Absprachen sein. Der de-jure-Tod König Abdullahs könnte den Undercover-Machtkampf offen zutage treten lassen, und das hätte zur Folge, dass ganz Arabien davon erfaßt werden könnte, das heißt, die Monarchien, in denen es Voraussetzungen für einen “Arabischen Frühling” gibt. Selbst im verhältnismäßig stabilen Oman gibt es ein Problem – Sultan Qabus ist alt und hat keine Kinder. In den übrigen Monarchien würde es genügen, den Prozess leicht anzuschubsen. Der massiv an Einfluß gewinnende Katar sieht, aus der Nähe betrachtet, auch nicht allzu stabil und monolithisch aus – drei versuchte Staatsstreiche innerhalb von zwei Jahren können davon zeugen.

Doch die Reportagen von den Unruhen auf der arabischen Halbinsel lassen noch nicht vermuten, dass der “Frühling” zwangsläufig und bald auch hierher vordringen wird. Die Unruhen könnten nur dann zu einem entscheidenden Faktor werden, wenn in den Kabinetts dafür entsprechende Angriffspunkte bestehen. Dann könnte es zum Kollaps kommen – zu groß sind die Widersprüche und zu wenig Möglichkeiten gibt es, sie zu überwinden.

Vor diesem Hintergrund gibt es Anzeichen dafür, dass die Vereinigten Staaten – natürlich dominierend in der Region – die Möglichkeit in Betracht ziehen, auf ein ganz anderes Pferd zu setzen. Die heutige Lage auf der einstmals erzstabilen Arabischen Halbinsel hat zu viele Anzeichen eines möglichen, nicht allzu weit entfernten Zerfalls. Setzte man weiter auf die Monarchien, hieße das womöglich einen Verlust der Kontrolle über die Region.

Die Unfähigkeit der arabischen Monarchien, nachhaltig die Rolle eines Stabilitätsfaktors in der Region zu übernehmen, wird immer deutlicher. Ihre Versuche, zum Beispiel auf die Lage in Ägypten einzuwirken, scheinen zur Katastrophe zu geraten, die bisher einzig und allein aus dem Grund nicht eingetreten ist, dass dieses Land eine Armee besitzt, welche eine der drei großen ägyptischen Machtblöcke darstellt. Doch scheinbar hat auch die Armee keine allzu deutliche Vorstellung davon, wie genau man die Ordnung im Land wiederherstellt.

Libyen ist ein Beispiel dafür, dass ein Land nur dann versuchen kann, sich von den Folgen des “Arabischen Frühlings” zu erholen, wenn es den Einfluß der Sponsoren ihrer “Revolution” loszuwerden versucht. Die Libyer versuchen, die katarischen Kreaturen an den Rand zu drängen und kommen allein dadurch an die theoretische Möglichkeit eines Dialogs zwischen den Clans und Stämmen.

Eine Stabilität, welche sich auf einer einzigen, wenn auch sehr wichtigen Ressource gründet, ist schlechterdings unmöglich. Die Strategie des “gesteuerten Chaos”, von der man schon lange und viel redet, ist ein Instrument der Umgestaltung ganzer Regionen, aber durchaus nicht das Endziel dieser Strategie. Es ist nur ein Mittel, die etablierte Ordnung einer Region umzukrempeln und an deren Stelle eine neue zu bilden. Welche dann aber schon den Interessen der USA als dem Auftraggeber dieses Chaos entspricht.

Der “Arabische Frühling” ist wohl einer der Schlußakkorde in dieser Umgestaltung. In den zwei Jahren, in denen er nun schon über die Region rollt, konnten die arabischen Monarchien weder gemeinsam, noch eine von ihnen für sich allein vollends Kontrolle über die laufenden Prozesse bekommen. Für die USA, welche die aus der Entfernung und scheinbar relativ gleichgültig beobachten und nur irgendwie mittelbar daran beteiligt sind, ist jeder beliebieg Ausgang dieses Zirkus, so paradox das klingen mag, annehmbar. Das kann das für die Staaten doch kaum charakteristische, eher außenseiterische Engagement in diesen Prozessen innerhalb der vergangenen zwei Jahre erklären. Sie sind irgendwie schon dabei, sie stochern dann und wann in diesem Schlangenknäuel herum, sind aber nicht unmittelbar oder merklich an den Ereignissen beteiligt.

Es sieht so aus, als haben es weder die Türkei, noch Ägypten, noch Saudi-Arabien, noch viel weniger Katar geschafft, Grundlagen für ihre Führungsrolle in der Region aufzubauen. Mit anderen Worten, egal, wie die Ereignisse enden, sie werden daraus nicht gestärkt, sondern deutlich geschwächt herausgehen. In der Türkei machen sich Spannungen zwischen Premier Erdoğan und dem Duo Gül-Davutoğlu bemerkbar. Erdoğan favorisiert durchaus weniger drastische Szenarien, Gül und Davutoğlu versuchen dagegen, die Ereignisse zu forcieren, ganz ungeachtet der Probleme, welche die Fortsetzung ihrer Politik mit sich bringt. In Saudi-Arabien beginnt langsam, aber sicher ein Machtkampf, der kurz davor steht, aus den Palästen herauszuschwappen. Der Emir von Katar ist durch seine ungebührlich aggressive Politik zum Feind eines großen Teils der arabischen Welt geworden, und dabei wächst auch in der Machtelite des Emirats natürlicherweise die Unsicherheit darüber, was das eifrige und unverhältnismäßige Engagement des Zwergenstaates in der Regionalpolitik angeht. Die finanzielle Situation des Katar, welcher kolossale Mittel freigebig nach rechts und links verteilt hat, ist wohl kaum gut – Investitionen im Volumen von Zigmilliarden Dollar plus die Finanzierung der Kriege in Libyen und Syrien sind zu berücksichtigen. Ägypten, so scheint es, hat kaum noch Aussicht auf irgendeine Bedeutung im Nahen Osten, solange die Gesellschaft weiterhin so gespalten ist.

Der letzte gemeinsame Nenner dieser unterschiedlichen, mit eigenen inneren Problemen behafteten Beansprucher einer regionalen Führungsrolle ist die Absicht, die syrische Regierung Baschar al-Assads zu stürzen. Nach deren beabsichtigten Fall werden die Widersprüche zwischen ihnen schnell zutage treten – es sind zu viele Feinde mit vollkommen unterschiedlichen Möglichkeiten, als dass es im Verlauf des Kriegs gegen Syrien einen einzelnen und unbestrittenen Führer geben könnte.

US-Umkrämpeleien

Auf welchen “Sieger” sollten die USA hier also auch setzen? Die Obama-Administration ist gerissen genug, um auch die Möglichkeit einzukalkulieren, dass es gar keinen Sieger geben wird. Da dieses Szenario ja mit jeder Woche immer deutlicher zu werden scheint, so kann man annehmen, dass der gewiefte Mohr noch irgendeinen Trumpf im Ärmel hat. In diesem Lichte kann und sollte man einmal das Aufräumen im Bereich der US-amerikanischen Außenpolitik betrachten.

Die Ankündigung Hillary Clintons, ihr Amt alsbald aufzugeben sowie die recht harte Bauchlandung ihrer Kreatur – des Generals David Petraeus – und die damit sicherlich bevorstehende Rüttelei unter den niederen Chargen des State Department und im CIA sehen nicht nach Resultaten eines inneren Machtkampfs aus; Clinton hat keine Konkurrenten in der Obama-Administration. Sie war wirklich die Nummer 2 im Staate und bestimmte tatsächlich die Außenpolitik der Obama-Administration im Verlauf der vergangenen 4 Jahre. Hier kann man vielmehr vermuten, dass es sich um eine Umorientierung in der US-Außenpolitik handelt. Der Nahe Osten ist eine Schlüsselregion, eine Bezugsgröße der gesamten Richtung der Außenpolitik, und hier kann es sich durchaus um die Schaffung alternativer Prioritäten in dieser Region handeln.

Was Clinton noch erledigen muss: ihr Department besenrein machen, die wichtigsten Aufgaben zu Ende bringen. Deren wichtigste momentan natürlich Syrien ist. Wahrscheinlich hängt die sich in letzter Zeit – mehrmals enorm verschärfende Aktivität der Terrorbrigaden in Syrien damit zusammen. Erst der vereitelte zweite Sturm auf Damaskus, dann – in den letzten Tagen – wieder eine weitere Eskalation, wie es scheint, mit allem und gleichzeitig dem letzten verfügbaren Material. Marat Musin sprach unlängst davon, dass die Flüchtlingslager in der Türkei und in Jordanien, was Männer im kampffähigen Alter angeht, praktisch leer sind. Der eine Monat, der bis zur Amtseinführung Obamas und zum Austausch der handelnden Figuren noch bleibt, kann zum entscheidenden Zeitraum für den Syrienkrieg im jetzigen Format werden. Der Nachfolger Clintons müsste schon ein nicht mehr rückgängig zu machendes Resultat in die Hände bekommen, um seine Arbeit nicht mit dem Ausbügeln von alten Fehlern beginnen zu müssen.

So sehr das nach einer Eskalation klingt, bekommt Baschar al-Assad damit doch eine Chance: wenn diese Überlegungen einer gewissen Grundlage nicht entbehren, ergäbe sich die Möglichkeit, dass – wenn Assad dieser letzten und in ihrer Massivität sicher beispiellosen Attacke standhält – bekommt er eine Atempause. Vielleicht auch die Chance auf einen Handel.

Nachdem die USA den arabischen Monarchien in Sachen der Umformatierung der Region vollkommene Handlungsfreiheit gelassen haben, diese ihre Chance aber vertan bzw. nicht in der ihnen gegebenen Zeit mit Syrien “fertig geworden” sind, müssen die Amerikaner sich wohl von den Unglücksraben abwenden und dem letzten, noch nicht involvierten Player der Region ein Angebot machen, das dieser nicht ablehnen kann – dem Iran.

(Fortsetzung)

Quellen und Inspiration: vz.ru, expert.ru, hammad al-nakir.ru, akademiagp.ru, fondsk.ru