Die Menge an Meldungen über einen unausweichlichen und baldigen Krieg des Westens mit dem Iran wird in letzter Zeit immer größer, selbst vor dem gewohnten, ohnedies schon nicht gerade ruhigen Hintergrund an Prophezeiungen, Warnungen, Drohungen und “aus Versehen” veröffentlichten Geheimplänen. Man liest aus journalistischer Feder aber eigentlich nie die Frage, was das alles überhaupt zu bedeuten hat. Was ist es denn, das in unmittelbarer Zukunft passieren kann, dass die israelische Führung plötzlich jedweden Rest Ratio über Bord wirft und wie ein Bulldozer unaufhaltsam auf Krieg zusteuert – auf einen Krieg, bei dem Israel definitiv nicht ungeschoren davonkäme?

Wenn, dann gibt es bestenfalls nebulöse Erörterungen völlig irrationaler Faktoren, die keine sind, bis hin zu Überlegungen, dass Krieg nun einmal die beste Medizin gegen Krisenzeiten ist. Für 2012 schätzt man die BIP-Entwicklung in Israel tatsächlich deutlich schlechter als in den vorangehenden Jahren ein, aber katastrophal ist die Lage durchaus nicht. Jedenfalls ist das keine Krise, deren einzige Lösung in einem Krieg bestünde. Innenpolitisch ist auch alles soweit klar, der einzige Grund, aus dem Scharons Kadima bröckelt, ist der, dass diese Partei von vorn herein als Regierungspartei konzipiert und auf eine konkrete Führungsperson zugeschnitten war. Ähnlich wie die russische “Jedinaja Rossija”. Die anderen Parteien halten auch die Füße still, und für Israels Machthaber wäre es auch recht untypisch, einen Krieg anzuzetteln, um sich noch ein paar Monate im Amt zu halten.

Was die iranischen Atomwaffen angeht, die gleich morgen serienmäßig vom Band rollen, so ist es geradezu peinlich, darüber zu sinnieren. Solchen Stuss kann Netanjahu bestenfalls Sitzenbleibern in der dritten Klasse verkaufen. Schon Mittelschüler würden ihm ins Gesicht lachen.

Aber gerade deshalb stellt man sich doch die Frage – was soll denn diese plötzliche Aktivität bedeuten, was soll dieses Hufescharren, das bis zu absurden Puppenspieler-Performances reicht? Keine erkennbaren Gründe, und trotzdem diese Aggresivität. Fast schon paradox.

Offenbar muss man die laufenden Ereignisse kurz ausblenden und versuchen, zu den “Basics” zurückzukehren. Zuerst einmal zur Geographie der Region – das ist ohnehin eine Basisgröße für jegliche politischen, wirtschaftlichen, kulturellen, ethnischen, konfessionellen, etc. pp. Prozesse.

Naher und Mittlerer Osten. Karte: Klett. Klick zum Vergrößern.

Man sollte wahrscheinlich mit dem Land beginnen, das schon geraume Zeit und dabei endgültig aus der Liste der selbständig handelnden Subjekte der Nahostpolitik ausgelöscht worden ist – das ist der Irak. Und da schauen wir erst einmal auf langweilige Zahlen: 1980 umfasste die Erdölfördermenge dort 3,6 Millionen Barrel pro Tag. Die beiden Irakkriege mit der darauffolgenden “Befreiung” brachten diese Menge auf bescheidene 2 Millionen Barrel pro Tag herunter. Die gesicherten Reserven des Irak betragen etwas mehr als 100 Milliarden Barrel, und an der Stelle wird es interessant. Das Interessante wurde dabei schon 2007 bekannt – was vermuten lässt, dass es intern schon lange vorher gehandelt wurde. Im Irak sollen der Auskunft einer neuen, nach der Invasion der Amerikaner durchgeführten Studie weitere 100 Milliarden Barrels an Ölvorräten lagern, was dessen Vorräte in etwa verdoppelt:

Die Verdoppelung der irakischen Erdölreserven bedeutete eine Erhöhung um 100 Milliarden Barrel Öl, was die Lagerstätten [des Irak] zu den zweitgrößten der Welt machen würde, nach denen Saudi-Arabiens und noch vor denen des Iran… Bis jetzt war der Irak mit Vorräten von 116 Milliarden Barrel auf Platz 3.

Die IHS gibt auch an, dass der Irak seine gegenwärtige tägliche Ausbeute innerhalb von 5 Jahren auf 4 Millionen Barrel pro Tag verdoppeln könnte, sofern sich die ausländischen Investitionen weiter vergrößern.

Um jetzt nicht zu viel zu zitieren, wollen wir einmal nur den trockenen Bodensatz dieser Information herausfiltern: nach diesen Meldungen wäre der Irak unter bestimmten Bedingungen in der Lage, seine Erdölfördermenge im Vergleich zu den heutigen Mengen etwa zu verdreifachen und auf täglich 6-7 Millionen Barrel zu kommen. Es besteht der dringende Verdacht, dass es genau diese Möglichkeit gewesen ist, die dazu führte, Saddam Hussein die politische (und physische) “Wurzelbehandlung” zukommen zu lassen. Denn eine solche Information hebt das Problem der Sicherheit und des Überlebens ganzer Staaten der Region auf ein ganz anderes Niveau.

Zieht man nämlich diese Information heran, erscheint beispielsweise die Haltung Saudi-Arabiens im Krieg gegen den Irak in einem vollkommen anderen Licht. Saddams Irak ist für Saudi-Arabien ein wunderbarer Puffer gegen den schiitischen Iran gewesen. Eine Freundschaft mit Saddam, der zwar Nationalist, aber Sunnit war, garantierte dem Königreich, dass die Ayatollahs im Kampf mit dem Irak versumpfen, wonach das Feld frei wäre für eine jegliche Kombination, welche die Saud zu spielen gedenken.

al-Khomandante

Saddams Überfall auf das Haus as-Sabah war für die Saud natürlich eine unangenehme Sache, aber letztlich nicht viel mehr als Familienstreitigkeiten. Für eine solche Kleinigkeit wäre es unsinnig, Saddam zu stürzen und anstelle eines Irak mit einer recht gefügigen schiitischen Bevölkerung ein eigenständiges, schiitisch dominiertes Subjekt zu bekommen, dass dem Iran wohl-, den Saud dagegen feindselig gesonnen ist. Man könnte hier natürlich meinen, Saudi-Arabien sei eine Marionette: Bush bewegt den kleinen Finger, und die Emire hetzen um die Wette, um ihre Ergebenheit zu zeigen. Das wäre aber eine ziemliche Vereinfachung. Saudi-Arabien hat vollkommen berechnend einen Vorteil für einen anderen aufgegeben.

Saddam Hussein mit 3 Millionen Barrel Erdöl am Tag und derselbe mit 6-7 Millionen – das sind zwei durchaus unterschiedliche Größen. Nach der Annexion Kuwaits, das nichts weiter ist als ein Sandkasten über gigantischen Erdöllagerstätten, wäre Saddam in die Gefilde der von Allah ausersehenen Saud emporgestiegen. Und ein solches Ansinnen kann natürlich nur mit einem Strick um den Hals geahndet werden.

Allerdings hat die Lösung dieses Problems natürlich nicht die Gründe, nämlich die Erdölvorräte, beseitigt. Die Amerikaner, welche aus dem Irak einen “failed state” machten, hirnverbrannte Schiiten, die sofort daran gingen, die sunnitische Minderheit zu unterdrücken, sunnitische Terroristen, die Moscheen und Basare in die Luft sprengten — die Saud haben dadurch erst einmal Zeit gewonnen. Vielleicht so 10-15 Jahre. Es gibt natürlich niemanden, der so wahnsinnig wäre, unter solchen politischen Bedingungen die neuen irakischen Lagerstätten zu erschließen.

Aber keine irdische Freude währt ewig. Es kommt die Zeit, die Ärmel hochzukrempeln.

(Fortsetzung)