Emirat und Königreich: “partners in crime” bis zum Scheideweg

KollegInnen

Von den Interessen Katars in Syrien wurde bereits viel geschrieben. Hier kann man das Gesagte in einem simplen Satz zusammenfassen: für Katar ist das ein reiner Krieg um Infrastruktur, womit das Land gleichzeitig mehrere, nicht anderweitig lösbare Probleme anzugehen versucht. Das ist zuerst eine Blockade des Iran und das Durchkreuzen von dessen Festlandverbindungen in Richtung Europa. Dann ist es der Versuch, ein Monopol über den Erdgas-Pipelines der Region zu etablieren, was gleichzeitig das “Nadelöhr” Hormuz, das die katarischen Supertanker fortwährend passieren müssen, mehr oder weniger irrelevant macht. Rein logistisch zählt auf dieser Route auch der Suezkanal zu den Engpässen. Ein handzahmes Syrien würde auch das Konkurrenzproblem mit den transkaukasischen (Aserbaidschan) und transkaspischen (Turkmenistan) Erdgaslieferungen lösen, die ein Problem sind, sobald sie jemand anderes in ein nicht vom Katar kontrolliertes Pipelinesystem importiert. Alles in allem eröffnet das Verschwinden Syriens von der Landkarte für Katar eine Palette an Möglichkeiten, die dem voluminösen Emir sicher das eine oder andere Zungenschnalzen entlocken würden.

Auf taktischer Ebene ist Katar im Krieg gegen Syrien ein hundertprozentiger Verbündeter Saudi-Arabiens, doch die Saud haben für Syrien ganz andere Pläne, Aufgaben und “Visionen”, auf welche Weise die “syrische Frage” letztlich gelöst zu sein hat. Auf der Ebene der Strategie ist deswegen eine Kollision zwischen Al Thani und den Saud wahrscheinlich.

Großmufti Abd al-Aziz bin Abdullah Al asch-Schaich

Das Königreich muss die Existenz eines schiitisch dominierten Irak als Gegebenheit hinnehmen und entsprechend handeln. Dazu braucht es ein sunnitisches Gebiet oder einen Staat, der den Irak und teilweise den Iran blockiert und mit diesen beiden Ländern bis zur vollkommenen Verhandlungsunfähigkeit verfeindet ist. Die Diskriminierung und Verfolgung der Sunniten im Irak, dazu das Aufschaukeln konfessioneller Feindschaft in Syrien führt unweigerlich zur Bildung einer großen sunnitischen Masse, die den Schiiten und deren diversen Richtungen (wie etwa den Alawiten) höchst feindlich gegenübersteht. Gesetzt den Fall, Baschar al-Assad und seine Regierung gehen unter, so ist die Bildung eines sunnitischen “Bereichs” (von einem Staat braucht man nicht einmal reden) aus den syrischen und den sunnitisch dominierten Gebieten des Irak sehr wahrscheinlich. Territoriale Auseinandersetzungen mit dem Irak sind dann vorprogrammiert. Wie oben [Teil 1] angeführt, sind das ausgerechnet die Gebiete, in denen die IHS die neuen mehr als 100 Milliarden Barrel an Erdölvorräten gefunden haben will. Die Perspektive des Irak wäre also ein Krieg bis zum Untergang, und zwar Krieg mit einem neuen, sunnitischen “Post-Syrien”. Ein Krieg, den de facto Saudi-Arabien und der Iran gegeneinander führen, selbstverständlich mit Händen der Syrer und Iraker. Die Lage kehrte damit zu dem Vorkriegs-Patt zurück, das zwischen dem Iran und dem Königreich bestanden hat.

Bis zu diesem Moment stimmen die Interessen des Katar und Saudi-Arabiens überein, danach kommen gehen die Vorstellungen von einem angenommenen künftigen “Syrien nach Assad” auseinander. Hinweise gibt wieder einmal die Geographie der Region. Der Festlandweg für das Erdgas vom “North Dome”-Gasfeld hängt in jedem Fall von Saudi-Arabien ab, welches den ersten Abschnitt einer jeden Pipeline kontrollieren wird, die vom Katar ausgeht. Eine post-syrische Regierung, die mit Katar harmoniert, wäre ein Trumpf in entsprechenden Verhandlungen mit dem Königreich. Eine Regierung wiederum, die eher den Saud geneigt ist, kollidiert mit der Strategie des Emirs. Deshalb sieht es so aus, als seien Reibereien zwischen den Moslembrüdern und den Salafiten in einer solchen Zukunft unvermeidbar, und sie werden vom Charakter her kaum anders sein, als die Rage, mit der zum gegenwörtigen Zeitpunkt beide gemeinsam gegen das “blutige alawitische Regime” anstürmen.

Das Eine, worin die wahhabitischen Monarchien aber bis zuletzt gemeinsame Sache machen werden, ist der Kampf gegen den Irak, von dem ein neues sunnitisches Post-Syrien ein ordentliches Stück Territorium abbeißen könnte. Katar wird daran schon allein deswegen interessiert sein, weil er dann den Irak aus wiederum rein geographischen Gründen nicht als Transitpartner für sein Erdgas braucht – die Pipeline verliefe dann durch “Neu-Syrien”. Auch für Saudi-Arabien wäre eine solche Lösung günstig – die irakischen Erdölvorkommen wären zwischen zwei Herren verteilt, von denen keiner die Schwungmasse hätte, der Dominanz Saudi-Arabiens auf dem Erdölsektor die Stirn zu bieten. Dass diese beiden Herren – der schiitische Irak und das sunnitische Post- oder Großsyrien – sich nie einigen können, wäre dann eine vergleichsweise leichte politische Aufgabe, mit der die Saud sicher ganz gut zurechtkommen.

Da man im Iran die Ziele und Aufgaben der arabischen Wahhabiten natürlich versteht, widersetzt man sich ihnen auch so vehement in der Syrienkrise. Es ist hier Ziel des Iran, einen Untergang der “alawitischen” Regierung mit aller Macht zu verhindern. Dabei kann man gut und gern den recht weltlichen Charakter dieser Regierung in Kauf nehmen (was für die Ayatollas aus Ghom in allen anderen Fällen ein wahrscheinlich undenkbarer Kompromiss wäre). Ein Übergleiten der syrischen Konfrontation in einen Bürgerkrieg ist aber weder für Assad, noch für den Iran annehmbar – hier sind sie hundertprozentige Alliierte.

Nachdem man nun die Interessen der vier Haupthandelnden im syrischen Konflikt grob skizziert hat, kann man zu den weiteren Akteuren übergehen.

US-Exkurs: Republikaten und Demokraner

Die Amerikaner schweben über den Ereignissen und profitieren von jeder der möglichen Entwicklungen im Nahen und Mittleren Osten. Mit Ausnahme einer einzigen Variante. Aber davon später. Hier soll es erst einmal darum gehen, dass viele keinen Unterschied zwischen Republikanern und Demokraten sehen, insbesondere, was deren Außenpolitik betrifft. Es gibt diesen Unterschied aber, und nur auf den ersten Blick ist er so wenig zu erahnen wie der zwischen Coca- und Pepsi-Cola. Die Folgen sind aber enorm.

Wähle mich, Baby

Essentiell wichtig für die USA ist eigentlich nur die eine geopolitische Aufgabe in der Region: Kontrolle über die Preise für Energieressourcen. Kontrolle bedeutet, dass die USA in jedem Moment die Möglichkeit haben müssen, diese Preise je nach aktuellem Bedürfnis anzupassen – um eine in der jeweiligen Situation plausible Spanne herauf oder herunter. Hohe Preise für diese Ressourcen gestatten es, die europäische Wirtschaft stagnieren zu lassen. Niedrige Preise dafür gehen Russland an den Kragen. Sowohl Europa als auch Russland sind für die USA nun einmal Gegner, und zwar Gegner mit der Besonderheit, dass ihr Wohlergehen auf diese Rohstoffpreise reagiert. Wer diese Preise manipulieren kann, übt de facto Einfluss auf die Politik der EU und Russlands aus.

Das erste und “vorzüglichste” Instrument der USA bei dieser Kontrolle ist natürlich der Dollar. Der Dollar ist es, der es zum Beispiel gestattet, auf ziemlich paradoxe Weise den Preis für das qualitativ hochwertigere WTI-Öl unter den Preisen für die schwereren Sorten – Brent, Urals und den OPEC-Korb – zu halten. Der Dollar ist ein Instrument, mithilfe dessen sich der “spekulative” Anteil am Ölpreis kontrollieren lässt.

Das zweite Instrument ist der Konkurrenzkampf unter den Förderländern. Indem die Amerikaner die größten Erdölförderer unterstützen, bekommen sie als Gegenleistung für ihre Hilfe die Möglichkeit, die nun schon physische Menge Erdöl auf dem Markt zu beeinflussen – sie, je nach Bedarf, zu vermehren oder zu verringern.

Hier fände sich auch die Antwort auf die Frage, warum es der USA im Endeffekt gleichgültig ist, wer genau die konkrete Fördermenge an den Markt bringt. Ob das nun Saudi-Arabien, der Irak, Kuwait, Katar, der Iran oder auch die Insel Rügen ist – wichtig ist allein, dass das Förderland gewaltige Vorkommen hat und dabei in einem Abhängigkeitsverhältnis zur USA steht. Mit anderen Worten, das Förderland muss “verhandlungsfähig” sein; das ist die einzige Bedingung.

Aus diesem Grunde sehen sich die Amerikaner auch mit fast stoischer Ruhe an, wie sich die Araber, Perser und Osmanen bei den Umverteilungen im Nahen Osten gegenseitig Beine stellen, und das wird auch so bleiben, solange die beiden Bedingungen – nämlich große Vorräte und “Verhandlungsfähigkeit” – wenigstens bei einer der in diesem Kampf überlebenden Konfliktparteien gegeben sind.

Es gab dabei allerdings amerikanischerseits verschiedene Herangehensweisen: die Republikaner investierten Herz und Seele und eine Menge an Emotionen in ihre Nahostpolitik, verhedderten sich in lokalen Konflikten und fügten der Region portionsweise Gerechtigkeit und Freiheit zu, die jetzigen Demokraten dagegen gehen weit gerissener und subtiler vor – allen an den Vorgängen Beteiligten wird Aufmerksamkeit zuteil, alle werden bis an die Zähne bewaffnet, wonach die USA bloß mit den Schultern zu zucken brauchen: kümmert euch selbst, Jungs. Und die “Jungs” kaufen mehr und mehr, konkurrieren gar um die Gunst des Patrons jenseits des Ozean. Jedenfalls sind die Rüstungsausgaben der vergangenen paar Jahre (größtenteils selbstverständlich für Waffen und Systeme aus US-amerikanischer Produktion) des Irak, Katars, Saudi-Arabiens, der Emirate, Kuwaits jenseits von Gut und Böse. Sicher mussten die Amerikaner den Markt hier ein wenig öffnen. Beispielsweise hat Emir Al Thani neuerdings auch ein Faible für deutsche “Leopard”-Panzer entwickelt. Aber es kann auch einfach nur sein, dass die Amerikaner hier angesichts der Menge an Waffen, die angefragt sind, mit ihrer Produktion gar nicht hinterherkommen.

Anders gesprochen, momentan ist der Einfluss der USA auf die konkreten Ereignisse vor Ort auf taktischer, also konkreter Ebene kaum auszumachen. Sie bekräftigen nur regelmäßig, dass sie die Entwicklungen aufmerksam verfolgen und gestatten es den Ortsansässigen, nach Herzenslust Spaß zu haben.

Romneys gewichtigstes Argument vor der zweiten Runde der TV-Debatten vor der Präsidentschaftswahl ist es, dass Obama de facto keinerlei artikulierte Nahost-Politik hat, dass die USA unter seiner Herrschaft in der Region einfach nur mit der Strömung schwimmen. Damit liegt Romney natürlich vollkommen daneben.

Natürlich beruhte die Politik der Republikaner diesbezüglich auf einer deutlich auszumachenden Strategie, die aber – im Gegensatz zu jener der Demokraten – sehr, sehr teuer für die USA war. Letztlich mögen sogar die Ausgaben für die Kriege in Afghanistan und dem Irak zwei der letzten Tropfen gewesen sein, welche im Endeffekt zur Finanz- und Wirtschaftskrise der USA und damit auch der restlichen Welt geführt haben. Offiziell rund 1,3 Billionen US-Dollar (inoffiziell gut und gerne das Dreifache) sind auch für die Staaten nicht eben aus dem Ärmel zu schütteln. Und all diese kolossalen Ausgaben haben letztlich lediglich dazu geführt, dass nur zwei von ungefähr anderthalb Dutzend Staaten der Region vernichtet wurden und ausgeblutet sind. Wenn man sich die heutige Zwischenbilanz dieser Kriege ansieht, so kommt man nicht umhin festzustellen, dass die Amerikaner dieses Geld de facto ihrem Hauptfeind in der Region geschenkt haben – dem Iran.

Jedenfalls hat der Zusammenbruch des Irak dazu geführt, dass Teheran an seiner Westgrenze ein durchaus freundlich gesinntes, schiitisches Regime vorgesetzt bekommen hat. Das irakische Kurdistan Barzanis ist berechenbarer geworden. Ja, der Drogenschmuggel aus Afghanistan hat zugenommen, aber nicht exponentiell, wie das in Richtung Norden der Fall ist. Das spricht dafür, dass die Iraner sich mit den paschtunischen Stämmen und Statthaltern durchaus auf ein besseres und dabei weniger riskantes Business-Modell einigen konnten, als es der Drogenschmuggel ist.

In diesem Sinne hat Obama innerhalb von 4 Jahren viel mehr erreicht, als die beiden Bushs: unter minimalen Aufwendungen sind riesige Territorien und eine Menge an Staaten desintegriert worden. Es ist eine andere Frage, dass Obama es sich um Unterschied zu seinen Vorgängern nicht leisten kann, das Endziel der amerikanischen Strategie offen zu formulieren, da dieses viel zu offensichtlich von den deklarierten Zielen und Losungen differiert.

Die unmittelbare Präsenz der USA in den Konflikten der Region geht momentan gegen Null. Die Logik gebietet es aber, vor Ort “Inseln” der Ordnung aufzubauen, die das entfesselte Chaos auch aus eigenem Interesse aufrecht zu erhalten imstande sind. Im Hinblick die islamische Welt ist die beste Variante natürlich die Nutzung des ewigen und nicht aufzulösenden Widerspruchs zwischen Schiiten und Sunniten.

Genau aus diesem Grunde entspricht der “Arabische Frühling”, dessen Hauptziel es ist, ohne Ausnahme alle weltlichen und nationalistischen Staatsprojekte hinwegzufegen, voll und ganz den Interessen der USA. Der “schiitische Korridor” vom Iran bis Syrien steht steht dabei dem zweiten, von den Amerikanern gepflegten Machtzentrum der Region – den Golfmonarchien – wie ein Knochen quer im Halse. Durch Syrien, Irak und Iran sind sie vom für sie lebenswichtigen europäischen Markt abgeschnitten und bislang auf riskantere Logistik (Flüssiggasfrachter, Straße von Hormuz) angewiesen.

Indem die umliegenden sunnitischen Gebiete ins Chaos gestürzt werden, bekommen die arabischen Monarchien – die im Gegensatz zu den bestens bewaffneten schiitischen Gegnern militärisch sehr schwach sind – eine schier unerschöpfliche Quelle an Humanressourcen. Diese plus die enormen Finanzen, über die die Monarchien verfügen, versprechen einen ewig währenden Kampf mit einem nicht abzusehenden Ende. In diesem Szenario ist es die Aufgabe der USA, eine Kräftebalance zwischen diesen Stabilitätszentren aufrecht zu erhalten, indem sie die Region voll Waffen pumpen. Dabei verdienen sie auch noch ein wenig. Allein das Königreich importiert jährlich US-amerikanische Waffen im Wert von rund einer halben Milliarde US-Dollar. Dazu kommen die sich aktiv bewaffnenden Katar, die VAE, und auch der Irak – es spricht vieles dafür, dass er der “schiitische” Pol in den von den USA etablierten Machtzentren sein soll – fährt seine Rüstungsausgaben kontinuierlich hoch: 140 Abrams-Panzer, ein paar Dutzend Jagdflugzeuge, alle schön aus amerikanischer Produktion. Gegen wen werden die wohl ziehen?

Insofern ist es also nicht ganz klar, worüber sich Romney beschwert, da er als Rüstungslobbyist gilt. Sollte er jemals ins Weiße Haus einziehen, wird er die momentane US-Strategie im Nahen Osten sicherlich nicht signifikant ändern. Aber die Möglichkeit eines “President Romney” erscheint fast als zu phantastisch. Die US-amerikanischen Eliten sind mit Obamas Linie durchaus zufrieden, der die Region unter minimalem Kostenaufwand umformatiert. Zu diesen minimalen Kosten kann schon mal der eine oder andere Botschafter gehören, aber das ist immer noch besser, als ein paar Tausend US-Marines.

Doch nun zum einzigen Fall, in welchem die USA nicht einfach so zuschauen können. Dieser Fall wäre ein möglicher “Sieg” des Iran in dieser ganzen Umverteilungsgeschichte. Es geht dabei natürlich nicht unbedingt um einen militärischen Sieg – der Iran ist nicht so übergeschnappt, dass er darauf bauen würde, die Region wie die Zerg einfach zu überschwemmen. Es gibt aber immer die Möglichkeit, dass die arabischen Agressoren sich in ihrem Engagement etwas zu sehr anspannen und vor lauter Anspannung irgendwann ableben. Der Iran ist, zum Leidwesen der Amerikaner, “nicht verhandlungsfähig” im obigen Sinn und genügt damit ihrer zweiten Bedingung nicht. Sein Bestehen wird deshalb nur genehmigt, solange es seinen Feinden – an erster Stelle Saudi-Arabien, an zweiter Stelle Israel – gut geht und sie florieren.

(Fortsetzung)