Das Land, das sich im letzten Jahr überall bemerkbar gemacht hat – wie ein Schwarm Krähen auf den Denkmälern und den parkenden Autos einer Stadt – der kleine und unscheinbare Katar – ist zu einem äußerst bedeutenden und durchaus irritierenden Faktor nicht mehr nur der regionalen, sondern inzwischen schon der globalen Politik geworden.

Man sieht bereits mit bloßem Auge, dass die zügige Expansion des Katar nach Europa und Zentralasien ein ganz bestimmtes Ziel verfolgt: Katar erobert die bereits aufgeteilten Gasmärkte in Europa und Asien, dringt aktiv in die zentralasiatischen Länder auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion ein, kauft komplett wirtschaftlich bedeutende Objekte und Strukturen auf, bearbeitet und zersetzt die ihrem Wesen nach merkantile asiatische Elite. Für Russland, welches seine komplette Nahostpolitik vermasselt hat, stellt sich die Expansion des Katar, wie es scheint, offenkundig immer noch nicht als etwas ernstzunehmendes dar, so dass es hier – wie immer – mit großem Zeitverlust reagieren muss, anstatt die Entwicklungen zu begreifen und zu agieren.

Sicherlich wirft das Fragen über die Funktionsfähigkeit der russischen Auslandsaufklärung und der russischen Diplomatie im Bereich Naher und Mittlerer Osten auf, stellt die Fähigkeit der russischen Elite zur systematischen strategischen Analyse der weltpolitischen Lage in ein zweifelhaftes Licht. Das gilt sowohl für die staatlichen Institutionen, als auch für die größten russischen Konzerne. Man kann und muss hier nach den Schnarchnasen und Saboteuren suchen, dabei muss man sich trotzdem zusätzlich der Analyse dieser Bedrohung widmen und zum Beispiel die Schwachstellen der Strategie des Katar identifizieren. Erst dann kann man einschätzen, inwieweit man dieser Bedrohung adäquat begegnen kann.

Wenn es hier um „Katar“ geht, so soll man darunter sicherlich nicht die halbwilden Beduinen vom Stamme der al-Midadi, die noch vor 40 Jahren ein ärmliches Dasein auf der Halbinsel fristeten, verstehen; die damals nur rund 40.000 hungrigen, dabei schon sehr geizigen Mäuler konnten sicher nicht von allein zu „Global Players“ mutieren. Allerdings ist der Katar das Feigenblatt vor den globalen Interessen der USA, Großbritanniens und ihrer Speerspitzen in dieser Region – nämlich der transnationalen Konzerne Exxon Mobil und Royal Dutch Shell.

Über die Gefahren, die vom Katar gegenüber Russland und Europa ausgehen, wurde schon vieles gesagt, deswegen hier nur kurz ein paar Thesen dazu.

Erstens, der Katar treibt eine Politik voran, die darauf abzielt, den für Russland äußerst wichtigen europäischen Gasmarkt zu erobern. Kaum hat er mit seiner Expansion begonnen, hat er auch schon Anteile von 5% erreicht, in reellen Zahlen sind das eine halbe Trillion Kubikmeter Gas pro Jahr. Das führte zur Abnahme des Anteils von Gazprom von 26 auf 23%. Rentabel ist das ganze Europageschäft für Gazprom erst dann, wenn es ungefähr 15% des europäischen Marktes abdeckt – ansonsten lohnen sich die Ausgaben für die Infrastruktur beim jetzigen Preisniveau nicht. Dabei ist das Instrument des Katar in erster Linie das Dumping, und der daraus resultierende Preisverfall macht die Lage von Gazprom in Europa noch unsicherer.

Man kann dabei vielleicht noch erwähnen, dass außer dem Katar auch noch die USA selbst eine aktive Expansion auf den europäischen Gasmarkt unternimmt. Innerhalb nicht allzu vieler Jahre haben sie eine doch beeindruckend große Schwindelei mit ihrem Schiefergas aufgeblasen. Hier geht es im Wesen um ein gigantisches Pyramidensystem, das mit Sicherheit innerhalb der nächsten 5-7 Jahre zusammenbrechen wird. Aber es wird seine Aufgabe bis dahin erfüllt haben, nämlich Gazprom noch von einer weiteren Seite aus vom europäischen Markt zu verdrängen.

Das Sinken des durch Gazprom abgesetzten Gasvolumens und ein wesentlicher Preisverfall bei Gas wird letzten Endes dazu führen, dass das überstrapazierte russische Staatsbudget einfach nicht mehr funktioniert und Russland zu einem (nicht abstrakten, sondern zeitlich nicht weiten) Zeitpunkt pleitegeht – Szenarien wie eine „Rettung“ von Gazprom, die drängende Suche nach neuen Absatzmärkten und die Notwendigkeit, ungeheure Mittel in die Umleitung der Gasströme zu investieren sind dabei vorstellbar.

Bedenkt man dabei, dass unter dem Vorwand und dem Getöse über das vorgeblich militärische Atomprogramm des Iran derselbe de facto schon vom europäischen Ölmarkt verdrängt ist und seine Förderung und den Absatz im kommenden Jahr bereits um eine Million Barrel herunterfahren muss (das ist ungefähr ein Drittel dessen, was der Iran noch vor einem Jahr gefördert und abgesetzt hat), so ist die Situation mit dem bereits angelaufenen Gaskrieg doppelt bedenklich. So hat der Westen durch Saudi-Arabien einen mächtigen, quasi unikalen Hebel für die „Regulierung“ des Ölpreises auf dem Weltmarkt in der Hand – eine für Russland äußerst unangenehme Situation.

Die zweite Gefahr, die von der rapiden Expansion des Katar ausgeht, ist dessen Eindringen in die Gebiete des postsowjetischen Zentralasien. Hier steht der Katar für den Wahhabismus. Mit Nuancen im Vergleich zu dem in Saudi-Arabien, aber uns können die theologischen Feinheiten hier schnuppe sein. Russland hatte mit dem Katar schon zu tun, und zwar in Tschetschenien, da hatte er durchaus kein freundlicheres Gesicht als die Saudis.

Friedliche Schuhada im postsowjetischen ZentralasienDurch die „Betreuung“ von Tadschikistan, Usbekistan und Kirgisien, durch die Versuche, auch in Kasachstan Fuß zu fassen, schafft der Katar sich eine Art asiatischer Armee und kommt der vollkommen ungeschützten russischen Südgrenze nahe. Auf der Grundlage von kurz bevorstehenden Vereinbarungen mit Tadschikistan wird der Katar seine Rekrutierungsbüros schaffen, um so offensichtlich Arbeitskräfte ins Land zu holen. Was diese Stellen nichtoffensichtlich tun werden, kann man nur raten, aber faktisch werden hier Strukturen für die Mobilisierung von Menschen geschaffen, die nicht unbedingt nur Bauleute und Straßenkehrer sein müssen – man kann, je nach Notwendigkeit, sicher auch andere Spezialisten anheuern oder Leute in den nötigen „Fachrichtungen“ ausbilden. Inhaltlich ähnliche Vereinbarungen sind mit Kirgisien angebahnt. Dass die russische Diplomatie diese Dinge einfach nicht bemerkt, ist vielleicht nur nach der Sache mit Matthias Rust nicht verwunderlich. Wie dem auch sei, das Interesse des Katar an mittelasiatischen Stammesfarmen für die Zucht von „Märtyrern“ ist gar zu offensichtlich.

Zu bemerken wäre auch, dass die Aktionen des Katar nicht nur Russlands Interessen kreuzen oder verletzen, sondern auch die des Iran und die Pakistans. Das ist natürlich ein eigenes Thema, dass man gesondert betrachten muss, aber diesen Fakt kann man hier erst einmal anführen und daraus einen Schluss ziehen – objektiv ist Russland ein Alliierter von Iran und Pakistan, was die Gegensteuerung gegen die katarische Expansion angeht. Berücksichtigt man, dass der Katar nun einmal nur die Verpackung um die Interessen der USA und Großbritanniens in dieser Region ist, und dass sowohl der Iran, als auch Pakistan sich faktisch bereits in feindseligen Beziehungen zu den USA und Großbritannien befinden, so ist es angesagt, der Bedrohung gemeinsam gegenüberzutreten.

Es gibt auch andere Dinge, welche durch die Expansion des Katar zu einer Bedrohung werden, aber die beiden angeführten sind die wichtigsten.

Alles hierüber Gesagte ist natürlich erst einmal schlecht. Schlecht für Russland. Daher hätte es jetzt Sinn, sich einmal die Schmerzzentren und Schwachstellen des Katar zu betrachten und daraus zu verstehen, auf welche Weise man den Plänen des Emir und der Strukturen, die sich hinter seinem umfangreichen Körper verbergen, entgegentritt oder womöglich aktiv dagegen angeht.

(Fortsetzung)