Schöne neue Hölle

21.11.2022, 22:30 apxwn Blog crisis g20

Beim Treffen der G20 im märchenhaften Bali fiel eigentlich nur einer auf: Klaus Schwab. Der Grund seiner Einmischung in diesen Gipfel waren die üblichen »Gespräche am Rande« sowie das Bestreben, die Idee des »digitalen Gesundheitspasses« voranzutreiben – ein Vorhaben, das zwar gerade wieder nicht mehr sehr rasant, aber umso beharrlicher – und zwar auf globaler Ebene – umgesetzt wird. In diesem Sinne ist ja nicht zu vergessen, dass man die Arbeit am »Internationalen Vertrag zur Pandemieprävention« nicht etwa eingestellt hat: Im kommenden Jahr soll es schon dessen erste Lesung geben, so dass man eine Grundlage für spätere Ergänzungen, Abstimmungen und so weiter hat – aber diese erste Lesung ist die Geburt des Dokuments. Danach hat dieser Vertrag ein eigenes Leben.

Der Sinn des »Gesundheitspasses« ist auch soweit klar: Es wird eine »digitale Kopie« des Menschen geschaffen, ohne die er niemand mehr ist. Ein Mensch mag zwar körperlich existieren, aber ohne einen solchen Pass wird er, juristisch gesehen, ein Niemand sein. Dieser Pass ist auch insofern gut, als man nach und nach weitere Aspekte der menschlichen Existenz an ihm koppeln kann – soziale, finanzielle, solche Dinge wie Reisefreiheit, Rechte, Pflichten und so weiter. Und der – China macht es bereits vor – in gewisse Kontrollmechanismen eingebunden werden kann. Die Frage nach der Kontrolle ist aber immer die Frage nach der Macht. Derjenige, der die Kontrollalgorithmen (oder einfacher: die Standards) bestimmt, der hat auch die Macht.

Das ist es auch, was der Herr Schwab da gesucht hat. Es passiert ja nicht im Verborgenen. Wozu auch? Es ist bereits alles gesagt, es geht nur noch um die Umsetzung.

Dabei sind die Leute, welche dieses soziale System der totalen Kontrolle vorantreiben, durchaus keine notorischen Sadisten oder Psychopathen. Es sind einfach Leute mit einer, sagen wir, anderen Moral, von einer anderen Ethik. Man bezeichnet sie etwas abstrakt als »Transhumanismus« (es gibt einfach momentan noch keine andere Bezeichnung).

Die neue Welt, welche diese Leute aufbauen, soll den traditionellen Kapitalismus mit seinem unvermeidbaren Geburtsmakel – den durch den Kreditcharakter der kapitalistischen Wirtschaft hervorgerufenen, zyklisch wiederkehrenden globalen Krisen – ablösen. Was auch immer man nämlich tut, die Wettbewerbswirtschaft bewirkt immer einen Verfall der Rentabilität jedes beliebigen Produktionsprozesses mit sich, und sobald sie niedriger ist als die Kreditzinsen, entsteht eine Schuldenkrise. Im Rahmen des bestehenden ökonomischen Modells kommt man von diesem Fluch nicht los, auch wenn man ihn auf einer möglichst großen Oberfläche »breitschmieren« kann. Aber das ist keine Lösung des Widerspruchs, sondern sein Kaschieren. Früher oder später hören die Mechanismen dieses Systems auf, normal zu funktionieren, und das ist es auch, was wir derzeit beobachten können. Weltkriege, die bis dato die Weltwirtschaft »zurückgesetzt« und von neuem angeworfen haben, sind inzwischen eine zu starke Arznei – sie könnten den einen oder anderen Patienten gleich mit »zurücksetzen« und sind auch ohnedies im Hinblick auf ihr Ziel nicht mehr rentabel.

Wenn man es also als gegeben annimmt, dass die Transhumanisten rational denkende, vernünftige Menschen sind (von unserem Standpunkt eher Reptilien als Menschen – siehe den letzten Absatz des inzwischen über 10 Jahre alten Interviews mit Fursow – aber sei’s drum), dann ist ihre Logik auch sehr klar zu erkennen:

Ihre neue Welt basiert auf vier Grundvoraussetzungen. Die erste ist, klar, ein neues technologisches Paradigma. Im Rahmen des bisherigen Paradigmas generiert die Wirtschaft nur Verluste. Die zweite Grundvoraussetzung ist eine diesem technologischen Paradigma entsprechende Versorgung und Infrastruktur. Die erneuerbaren Energiequellen wären Lösung für ein kritisches Problem des industriellen Paradigmas, nämlich dem Kollaps der Versorgung (mit Energie in erster Linie). Der große Wert der industriellen Phase sind ja die Versorgungswege, und diese Phase ist ziemlich genau am Limit aller möglichen Reserven der Versorgungsinfrastruktur, was schon allein die Notwendigkeit mit sich bringt, sich entweder »vorwärts« zu einer neuen Entwicklungsphase zu entwickeln oder »rückwärts« zur vorherigen zu degradieren. »Rückwärts« will man nicht wirklich, aber der Clou bei der ganzen Sache ist, dass die hinter den Phasen stehenden sozialen Mechanismen einander immer ablösen: In der vorigen Phase, der traditionellen, war eine Demokratie nicht möglich, die Machtstrukturen beruhten auf dem Prinzip der Stände. In der kommenden postindustriellen Phase wird die Demokratie auch wieder entfallen (schon allein deshalb, weil sie eine entwickelte Mittelschicht voraussetzt, die derzeit weltweit dezimiert und faktisch zerstört wird). An ihre Stelle tritt wieder ein System der Stände, obwohl es sich natürlich um eine qualitativ ganz andersartige Erscheinung handeln wird, als das des Mittelalters.

Ein neues System der Energieversorgung soll also die Lösung für die Überlastung der Versorgungswege werden, indem Energie lokal vor Ort gewonnen wird. Dadurch wird der grundlegende Wert der industriellen Phase, nämlich die erwähnten Versorgungswege und die entsprechende Infrastruktur, in ihrer Bedeutung mit null multipliziert. Denn wozu sollte man Glasfaserkabel durch die Gegend verlegen, wenn es Musks »Starlink« gibt und man sich an jedem Punkt der Welt mit dem Internet (veralteter Begriff für »Infosphäre«) verbinden kann? Wozu die tausenden Kilometer der diversen »Stream«-Pipelines, wenn man an fast jedem beliebigen Küstenbereich Gashydrate zur Verfügung hat und die längste Leitung nur ein paar Hundert Kilometer lang sein muss? Wozu die Milliarden Barrel an Erdöl, das zu Treibstoff verarbeitet wird, wenn man die dann auf neuer Grundlage generierte Elektrizität als Antriebsenergie nutzen kann?

Die dritte Grundvoraussetzung der neuen Welt ist selbstredend ein neues soziales System, in dem die Mittelschicht abgeschafft ist und es nur noch die aus anderer, womöglich prophetischer Quelle bekannten Eloi und Morlocks gibt.

Die vierte schließlich ist eine neue Ethik. Diese steht eigentlich an erster Stelle. Die Ethik des Transhumanismus (oder Posthumanismus – es gibt, wie gesagt, noch keinen etablierten Begriff) ist ja vor unser aller Auge im Entstehen begriffen. Ihr Kern ist das Eintauschen von Freiheit gegen Sicherheit. Dem Menschen wird vollkommene Sicherheit geboten, und alles Mögliche garantiert, im Tausch gegen sein vollständiges und totales Einverständnis mit dem Verzicht auf Unabhängigkeit und persönliche Freiheit.

Unter diesen Bedingungen können übrigens Religionen nur vollkommen entkernt existieren, als Rudimente alter, pastoraler Traditionen und Rituale. Die Grundlage einer jeden Religion ist das Befolgen von Geboten und Verboten, bestimmter Normen und Regeln in Kombination mit der Freiheit des Willens. Ein unvereinbares Spannungsverhältnis, aus dem sich Impulse für die Weiterentwicklung und den Fortschritt ergeben. Willensfreiheit aber ist im Transhumanismus als Phänomen vollkommen ausgeschlossen. In einem solchen Umfeld kann Religion nichts anderes mehr darstellen als ein kastriertes Produkt für den laufenden Konsum und das Generieren von Gewinn, nicht mehr. Es gab und gibt eine Menge an totalitären Regimes, die versucht haben, die Religion für sich arbeiten zu lassen, aber die für eine vollständige Ausschaltung der Freiheit des Willens notwendigen Werkzeuge entstehen erst jetzt.

Es ergibt keinen Sinn, sich die Handlungen der Menschen, welche die »Neue Normalität« vorantreiben, vom Gesichtspunkt der uns bekannten Ethik aus zu betrachten und analysieren zu wollen, ähnlich, wie es keinen Sinn ergibt, die Stimmungsregungen vernunftbegabter Wasserpflanzen vom Jupiter durchschauen zu versuchen; uns wird es immer an Verständnis dafür mangeln. Aber im Rahmen einer linearen Logik sind die Handlungen der Transhumanisten nachvollziehbar und klar erkennbar. Es besteht ein Problem – sie bieten die Lösung. In absolutem Einklang mit den Gesetzmäßigkeiten einer jeglichen technischen Weiterentwicklung. Geschenkt, dass es hier um Menschen geht. Denn die neue Stufe in der Evolution sollen ja nur recht wenige erklimmen können, die übrigen werden ihrem Schicksal überlassen. Man kann den Zurückgebliebenen gegebenenfalls noch die letzten Tage ihres Daseins erleichtern, aber nicht viel mehr.

Schwab und die übrigen Politiker auf der globalen Ebene haben es aber gerade nicht vor, denen, die sie in der Vergangenheit zurücklassen wollen, das Leben zu erleichtern. Ganz im Gegenteil scheint ihnen daran gelegen zu sein, dass sich das Problem der vom Gesichtspunkt ihres neuen Evolutionsmodells »Überzähligen« und »Unnötigen« möglichst schnell und gern auch radikal klärt. Das wäre dann auch der Grund, aus dem die Bestrebungen der Erbauer beider Varianten der »Neuen Normalität« (der westlichen und der chinesischen) für normale, oder überhaupt für Menschen, unannehmbar sind.

Es tritt jedoch bislang niemand auf den Plan, der sich wenigstens einen Humanismus gegenüber denen, die eine solche neue Welt nicht akzeptieren können, auf die Fahnen schreibt – bei gleichzeitiger Arbeit an einer Zukunft für die, welche dazu bereit sind. Dieses unschwer zu übersehende Vakuum wäre ein wunderbarer Raum für das Auftreten eines ganz eigenen Zukunftsprojekts. Das aber jenseits der Domänen der Menschenfresser, welche sich jüngst auf Bali getroffen haben, entstehen müsste.