Tlass Senior in Damaskus

22.07.2012, 06:37 apxwn Blog syrien

Die „Flucht“ des Manaf Tlass aus Syrien wurde lauthals und breit von den Medien weltweit beleuchtet und als Triumph für die Aggressoren gewertet – „das Assad-Regime bröckelt“. Etwas weniger laut oder fast schon unbemerkt geblieben ist die Nachricht, dass Manaf Tlass sich nicht erst bei den sogenannten „Freunden Syriens“ meldete, sondern sich nach Paris zu seinem Vater Mustafa begeben hat. Und vollkommen ungehört geblieben zu sein scheint die Nachricht, dass er vorgestern nach Damaskus zurückkehrte. Nun stellt sich heraus, dass er nicht allein zurückkam.

Manaf ist gemeinsam mit seinem Vater Mustafa Tlass nach Damaskus zurückgekehrt.

Dass diese angebliche Flucht etwas seltsam aussah, war von Anfang an klar. Die Reise mit einem Linienflug eines Mannes, dessen Gesicht jedem Grenz- und Zollbeamten bekannt sein dürfte, sieht nicht nach einer Flucht aus. Das Ausbleiben von späteren Interviews und Pressekonferenzen zum Thema „Er wählte die Freiheit“, etc., brachte auch keine Bestätigung für den Wahrheitsgehalt der Fluchtmeldungen. Völlig neben der Linie der tendenziellen Berichterstattung lag dann das Endziel Manaf Tlass‘ – Paris, wo sein Vater lebt, welcher vor gar nicht so langer Zeit auf persönliche Bitte Baschar al-Assads mit dem außersyrischen SNC verhandelt hat. Wäre Manaf tatsächlich „geflohen“, hätte der Vater an der Stelle seinen mit einer „Tlass 1973“-Gravur versehenen Gold-Revolver ziehen und den Sohn fragen müssen, was er mit den Verrätern zu schaffen hatte.

Eine eigenartige Geschichte, die nun durch die eigenartige Rückkehr gekrönt wird.

Die Rückkehr von Tlass Senior nun kann bedeuten, dass die syrische Elite kurz vor einer Art Konsens steht und jetzt eine unanfechtbare Autoritätsperson prinzipielle Meinungsverschiedenheiten beseitigt oder bereits abgesprochenes bestätigt. Mustafa Tlass hätte eine solche Autorität. Dabei kann es bisher niemandem bekannt sein, worum genau es hierbei gehen könnte, aber irgendetwas dieser Art steht wahrscheinlich kurz bevor.

Ein wenig erinnern die derzeitigen Ereignisse in Syrien an die letzten Wochen vor der Besetzung Tripolis‘ vor einem knappen Jahr auf libyschem Boden, mit dem Unterschied, dass die Ereignisse in Libyen eher lokal an wenigen Brennpunkten abliefen.

Ein großer Teil der Meldungen dürfte Desinformation sein, aber auch das, was der Wahrheit näher sein dürfte, gibt keinen großen Anlass zu Optimismus. Die Reportage von Vesti.Ru aus Idleb zum Beispiel zeugt bei allem „Hurra“ ja auch davon, dass es in Syrien ganze Landstriche gibt, die seit Ewigkeiten nicht mehr von der Regierung kontrolliert werden. Die Gesamtzahl der jetzt aktiven bewaffneten Kämpfer übersteigt ganz klar die Zahl der möglichen „Revoluzzer“ aus syrischen Bauern & Viehzüchtern, die aus Unmut über die Regierung zur Waffe gegriffen haben könnten. Noch vor ungefähr zwei Monaten schätzte man die Mannstärke der FSA auf zwischen vier- und sechstausend, von denen ungefähr ein Drittel direkt auf syrischem Territorium operierte. Die Islamisten schätze man ähnlich stark. Ihre Taktik war typisch für nicht ausgebildete und waffentechnisch schlecht ausgerüstete Banden – sie haben ihre eigenen Ortschaften „erobert“ und sich darin festgesetzt, das eine oder andere Emirat ausgerufen und so weiter. Deshalb konnte die Armee auch recht erfolgreich dagegen vorgehen, indem sie die Ortschaften einfach gesäubert hat.

Allerdings hat sich dieses Bild seit ca. drei Wochen grundlegend geändert. Außer den immer noch aktiven Banden operieren nun mobile und gut ausgerüstete, zu recht komplizierter Koordination untereinander fähige Insurgentenbrigaden auf syrischem Gebiet. Jetzt erfolgen öfters tiefreichende Vorstöße und erbitterte Straßenkämpfe auch auf unbekanntem Terrain. Die Stabskultur der Operationen hat eine mächtige Aufwertung erfahren, was offensichtlich außerhalb der Möglichkeiten von desertierten Brigadegenerälen und Obersten irgendwelcher technischer Dienste der Armee liegt.

Anders gesagt, man kämpft nun lange nicht mehr mit „bewaffneten Demonstranten“, sondern mit Profis. Deserteure aus der syrischen Armee reichen da nicht heran – in Syrien besteht Wehrpflicht, und desertierte Wehrpflichtige können es mit den Profis aus der Republikanischen Garde nicht aufnehmen, selbst wenn man sie in der Türkei oder im Kosovo durch einen Crashkurs im Bombenlegen jagt.

Bei all dem neuerlichen harten Durchgreifen der Armee zielt diese allerdings auf die „einfachen Bauern“:

Flugblatt, das über Rebellenstellungen abgeworfen wird: „Das ist deine letzte Gelegenheit, der Gefahr zu entrinnen, indem du deine Waffen niederlegst. Du weißt, dass du der Syrischen Arabischen Armee keinen Widerstand zu leisten vermagst. Nutze diese Gelegenheit, vergeude sie nicht, kehre zu deinen Verwandten und Lieben zurück und sei kein Werkzeug in den Händen der niederträchtigen Feinde deiner Heimat. Das Oberkommando der Armee und der Streitkräfte.“ Es sieht derweil alles danach aus, dass die ganzen Horden, von denen vor einiger Zeit die Rede war – die 10.000 libyschen Medizintouristen in Jordanien, etc., alle in den letzten Wochen in die Schlacht geworfen worden sind.

Trotzdem hat es nicht den Anschein einer Agonie des „Regimes“, sondern eher, dass bald ein kritischer Moment eintritt: die Massen sind in der Hoffnung in die Schlacht geworfen worden, dass sie einen Wendepunkt herbeiführen. Der Westen macht sich aber scheinbar keine Illusionen zu den Erfolgsaussichten dieser massiv ins Spiel gebrachten Kampftruppen. Aus diesem Grund läuft parallel die intensive Bearbeitung der öffentlichen Meinung hinsichtlich einer Gefahr, die von einer unkontrollierten Verbreitung und Anwendung chemischer Waffen aus syrischen Armeebeständen ausgehe. Es ist sehr wahrscheinlich, dass in dem Moment, wenn der Westen die Lage seiner Banden in Syrien als kritisch oder aussichtslos einstuft, es zu irgendeiner Provokation mit der Anwendung chemischer Waffen in irgendeiner „entbehrlichen“ Ortschaft kommt. Zur Vorbereitung dazu werden die Informationskanäle aus Syrien blockiert, das Staatsfernsehen wird durch einen Doppelgänger ersetzt, was Gelegenheit gibt, auf eine solche Provokation gleich entsprechend zu reagieren. Mit der Chemie und dem Libanon wird Israel spitz gemacht, genau, wie man es vorher mehrfach mit den Türken unternahm (durch den angeblichen Beschuss von Kilis und den provozierten Abschuss der F-4). Man eskaliert.