Vielleicht ist es noch zu früh für solche Kommentare, aber die Verhandlungen zwischen dem Iran und der 5+1-Gruppe scheinen in einer Phase zu sein, in der ein Durchbruch geradezu immanent erscheint. Die jeweiligen Außenminister haben operativ alles stehen & liegen gelassen und sich nach Genf aufgemacht. Da können sie von Schwierigkeiten murmeln wie sie wollen, es würde kein schönes Bild abgeben, wenn sie unverrichteter Dinge wieder an ihr langweiliges Tagwerk zurückgehen müssen.

Wozu braucht es plötzlich die Außenminister? Ganz offensichtlich für die Besiegelung gewisser Verhandlungsergebnisse, eines, wie es in der Presse heißt, “Fahrplans”, der die Probleme mit dem iranischen Atomprogramm zumindest zeitweilig von der Tagesordnung zu entfernen vermag. Ein solcher Fahrplan würde es gestatten, die erste Etappe der neuen Obama-Politik in kürzester Zeit zu ihrem logischen Abschluß zu bringen – und das ist es, dem Iran die Hände in seinem Anspruch auf die regionale Führungsrolle freizugeben.

Das bedeutet natürlich nicht, dass gleich morgen iranische Emissäre und Armeen ihren Siegeszug durch den Nahen Osten antreten; dazu haben die Sanktionen sowie unbestrittenermaßen auch die Politik des vorigen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad der iranischen Wirtschaft viel zu hart zugesetzt. Die Volkswirtschaft insgesamt braucht dringend Investitionen, moderne Technologien und – auf dem eher ideologischen Sektor – eine Erneuerung und eine Zielstellung. Eine Lockerung der Sanktionen würde nun unweigerlich ein wirtschaftliches Aufblühen zur Folge haben. Eine Zielstellung, die dazu in der Lage wäre, die Menschen und Ressourcen des Landes zu mobilisieren, könnte die Vormachtstellung in der Region des Nahen und Mittleren Ostens sein.

Die USA lösen mit einem Schlag gleich eine ganze Reihe an teils drängenden regionalen Aufgaben. Saudi-Arabien ist kein einfacher Gegner, die Auseinandersetzung mit dem Königreich wird den Iran eine Menge Zeit kosten. Was allerdings Afghanistan angeht, so stehen dort bedeutende Änderungen bereits im kommenden Jahr an. Der Abzug der NATO-Truppen stellt Karzai Auge in Auge den Taliban gegenüber, und der Ausgang dieser sich abzeichnenden Konfrontation ist alles andere als gewiß.

Es existiert zwar die weit verbreitete Meinung, dass die Taliban nach dem Abzug der Interventen quasi automatisch wieder an die Macht kämen, doch unstrittig ist das nicht. Insgesamt haben die Taliban um die (eher weniger als) 30.000 Mann unter Waffen, alle bestens motiviert, gut ausgestattet und kampferprobt. Die afghanische Armee hat eine zehnfach größere Mannstärke, ist größtenteils unerfahren, maximal mittelmäßig ausgerüstet und demotiviert bis hin zur Massendesertation. Das alles bringt die Taliban in etwa in ein Gleichgewicht mit der Armee. Freilich sind die regionalen Karzai-Satrapen von der Zentralregierung gut genährt, haben sich mit den Stämmen arrangiert und darüberhinaus keine Illusionen bezüglich ihres Schicksals nach einer möglichen Machtübernahme durch die Taliban. Desertationen oder Verrat auf dieser Ebene sind zwar möglich, werden aber wahrscheinlich keinen Massencharakter annehmen.

Letztendlich gibt das eine Konstellation, die an die Lage Nadschibullāhs gemahnt, welcher der Siebener-Allianz widerstehen konnte, indem er massive Unterstützung von den Sowjets erhielt. Auf diese Weise hätte er theoretisch ewig Widerstand leisten können, jedoch wurde die Unterstützung von Seiten der Sowjets eingestellt, was für Nadschibullāh das Ende bedeutete.

Die USA werden nun wohl versuchen, den Iran gegenüber Karzai als eine Art Sowjetunion zu positionieren, womit die Taliban daran gehindert werden sollen, sich auch nur in Südafghanistan – geschweige denn in Kabul – festzusetzen. Auf der anderen Seite wird der stillschweigend akzeptierte syrische Fleischwolf Garantien dafür bieten, dass die Dschihadisten sich nicht so einfach nach Afghanistan umorientieren und Mullah Omar zur Seite eilen (ein lockerleichtes “Translatio imperii” scheint es ja auch beim Salafismus zu geben).

Ein unter Sanktionen befindlicher Iran würde eine solche vielschichtige Regionalpolitik kaum so einfach bewältigen; dazu sind die Ressourcen zu knapp. Wenn also allenthalben von einer “Lockerung der Sanktionen” die Rede ist, so wird das in erster Linie die iranischen Erdölexporte betreffen, was dem Land die notwendigen Mittel in die Hand gibt – samt einem Gendarmen-”Jarlig”, die pakistanisch-iranische Dschundullah (sunnitische Salafiten!) in Belutschistan und unterstützen die Teile der pakistanischen Militärelite, die ein Abkommen mit den Taliban im Sinn haben, bzw. greifen sie gleich selbst, wo sie können, nach selbigen.

Den Amerikanern bleibt nur, den Bemühungen der Saud, wo es geht, Steine in den Weg zu werfen. Das Know-how und das entsprechende Instrument dafür – Drohnen – haben sie schon lange in der Region. Die unlängst (am 1. November) erfolgte Tötung des Hakimullah Mehsud, des Anführers der Tehrik-i-Taliban Pakistan hat das Vorhaben der Taliban, mit pakistanischen Militärs eine Art Friedensabkommen zu schließen, bereits durchkreuzt. Wäre es zu einer solchen Übereinkunft gekommen, so hätten die pakististanischen Taliban spürbar zur Schlagkraft ihrer afghanischen Kollegen beitragen können. Eine solche Entwicklung wurde aber durch einen einzigen Drohnenangriff weit weniger wahrscheinlich gemacht.

Kurz nach dem Tod Mehsuds wurde Khan Said Sandscha Interims-Anführer der TTP, und er gilt als Befürworter eines Friedens mit der pakistanischen Armee. Er wurde faktisch sofort (“Tribal dynamics”) durch den in dieser Hinsicht eher reservierten Asmatullah Shaheen Bhittani abgelöst, und seit gestern wissen wir, dass die Schūrā Mullah Maulana Fazlullah zum nun amtierenden Chef der Tehrik-i-Taliban Pakistan erkoren hat. Mullah Fazlullah hält generell wenig von Kompromissen mit der pakistanischen Macht – 2009 wurde er von der pakistanischen Armee aus dem Swat-Tal vertrieben und ist sicher nicht deren Freund. So bekommen die Taliban wieder zwei Fronten – Karzai auf der einen, das pakistanische Militär auf der anderen Seite. Nichts anderes war das eigentliche Ziel des Drohnenangriffs vom 1. November.

Wie dem auch sei: das “revolutionäre” Instrument des “Arabischen Frühlings” ist endgültig an seinem Ende angelangt. Die beiden Genfer Verhandlungen – einmal zum iranischen Atomprogramm, noch einmal zur Beilegung der Syrienkrise – stellen dessen Schlußstrich dar. Jetzt sind es die Interessen der Staaten in der Region, die gegeneinandergeworfen werden. Das erste Mal Genf, also die jetzigen Unterredungen, gehen allem Anschein nach in die Richtung, die sich die Initiatoren wünschen. Bleibt noch das zweite, die Konferenz “Genf-2”. Das wird man nun auch nicht mehr ewig hinauszögern. Auch wenn die syrische “Opposition” sich heute wieder bockig hatte und nicht nach Moskau kam, um sich erst einmal mit Vertretern der syrischen Regierung zu treffen, wird man ihre Meinung(en) im Endeffekt notfalls einfach ignorieren. Die nun aktuellen Interessen der Regionalmächte lassen keinen Raum mehr für die Kaspereien von drittklassigen Wichtigtuern.

Wer ist der Gewinner, wenn alles so läuft? Obama natürlich. Die Region ist mit sich selbst beschäftigt, und auch über einen allzu starken Iran braucht sich keiner Sorgen zu machen. Mindestens ein Zweifrontenkrieg (Krieg im Sinne von Konflikten des 21. Jahrhunderts) ist ihm gewiss. Was die andere Seite – Israel, Saudi-Arabien, auch Pakistan – betrifft, so kann man das anhand aktueller Meldungen (wie bspw. die von BBC (!) aufgegriffene Sache mit den pakistanischen Atomwaffen für Saudi-Arabien) einmal gesondert betrachten.