Revolutionsstab, ehem. Stadtparlament Kiew

Ab dem morgigen Montag kann für das Territorium der Ukraine der Ausnahmezustand verhängt werden.

Wenn die ukrainische Regierung sich zu diesem Schritt entschließen sollte, so würde das bedeuten, dass sie es nicht beabsichtigt, eine Wiederholung des Spektakels von 2004 zuzulassen. Die Opposition müsste sich dann die Frage stellen, ob sie den Konflikt auf die harte Tour weiterbetreiben will – mit dem Ziel eines Umsturzes. Noch ist nicht ganz klar, ob sie dieses Risiko eingehen will, obwohl die Lage in der Ukraine de facto bereits Anzeichen eines Umsturzversuchs aufweist. Das Risiko für die Umstürzler wäre, dass sie beim Mißlingen eines solchen Ansinnens bald Timoschenko Gesellschaft leisten würden.

Der Ausnahmezustand würde aber auch für die Regierung den Verzicht auf irgendwelche möglichen Kompromisse bedeuten. Noch droht Janukowitsch nicht unbedingt das Schicksal Gaddafis, aber alles andere würde er nach Einführung eines Ausnahmezustands zu kosten bekommen.

In einer solchen Situation wird die Loyalität der höheren Staatsbeamten kritisch wichtig, insbesondere aber natürlich der Gewaltorgane. Die Handlungsfähigkeit der Regierungsbehörden ist der Schlüsselmoment im jetzigen Zustand der ganzen Geschichte.

Denn:

In jeder beliebigen Sprache und in jedem Land der Welt nennt man das, was in diesen Bildern zu sehen ist, “bewaffnete Banden”. Es ändert gar nichts an dieser Tatsache, dass sie mit Schlagstöcken und noch nicht mit Feuerwaffen bewaffnet sind.

“Erstick an deinem Tannenbaum!”

Wie 2004, so handelt es sich auch bei den jetzigen Ereignissen um die Symptome einer Demontagetechnologie. Die Meute auf der Straße braucht jetzt eines – ein Opfer. Und arbeitet zielgerichtet darauf hin. Die Liveticker sind voller blutig geschlagener Köpfe, und irgendwo flimmerte auch ein kleines Mädchen vorbei, das natürlich von den Satrapen des Regimes geschlagen und daran später im Krankenhaus gestorben sei. Ob es dieses Mädchen wirklich gab, ob es gestorben ist – keiner weiß es sicher. Aber wenn sie eins brauchen, killen sie eben eines, oder schneiden ihm den Kopf ab. Für die heilige Sache ist niemand zu schade. Wenn selbst Selbstmorde hoher Staatsbeamter mittels zweier Kopfschüsse in der Ukraine niemanden wundern, so ist es ein Klacks, irgendein unbekanntes Mädchen für diese Show aufzutreiben und entsprechend zu präparieren.

Die Maschinerie der Propaganda ist jedenfalls massiv angelaufen, bezeichnend dafür Artikel wie “Berkut – Janukowitschs Sturmtruppen” (vor gar nicht so langer Zeit stand in diesen reißerischen Meldungen der Name eines anderen Präsidenten und “Schabiha”), aber die Krönung kam heute aus Polen: das polnische Außenamt protestiert gegen die Mißhandlung von polnischen Staatsbürgern bei den Unruhen in Kiew und fordert eine Stellungnahme.

Was genau polnische Staatsbürger bei den Zusammenstößen in Kiew zu suchen hatten, wird nicht näher beleuchtet. Wie man im Tumult und Handgemenge einen Polen von einem Ukrainer zu unterscheiden hat, wird im Statement des polnischen Außenministeriums ebenso nicht erwähnt.

“Europa” kratzt schon mit den Krallen am Parkett, tropft Geifer, verurteilt und ist kurz vor einem großen Brüller. Jetzt wäre die Zeit, die Eindrücke etwas zu vertiefen; und womöglich haben die Regisseure schon die Fotos der vorab zum Abschuß ausgewählten Opfer vor sich liegen. Oder sie improvisieren dann. Zum Glück geht die Herde gehorsam von allein auf das Schlachtfeld, die Auswahl wäre also groß genug.

Ziviler Protest gegen das Janukowitsch-Regime