Sophie Shevardnadze mit Baschar al-Assad. Bild: RT.comFalls es jemand verpasst haben sollte: hier ist das komplette Interview von Baschar al-Assad mit dem russischen Auslandssender RT in deutscher Sprache. Das Interview führte Sophie Shevardnadze, für die es ungewohnt und beängstigend war, sich durch eine Stadt zu bewegen, in der man ab und an Schießereien und Explosionen hört. Ihr Besuch fiel mit den beiden größeren Terroranschlägen in der vergangenen Woche zusammen. Freitag und Samstag waren in Damaskus dagegen eher ruhig, am Samstagabend kam es zu einem weiteren blutigen Sprengstoffanschlag, dazu wurde ein Krankenhaus aus Raketenwerfern beschossen.

Shevardnadze ist nicht die erste von denen, welche mit dem syrischen Präsidenten sprachen und dann zugeben müssen, dass Baschar al-Assad ein zutiefst zivilisierter und gebildeter, auch angenehmer Mensch ist, der sich vor allem auch durch Eloquenz und Vorsicht auszeichnet. Demnach, wie sie sagt, von den Medien vollkommen dämonisiert und zum Feindbild aufgebaut wurde. Doch für die Medien ist der syrische Präsident eine harte Nuss. Bis jetzt hat man ihn nicht damit beschuldigt – und wird es also auch nicht mehr tun -, dass er das eigene Volk ausgeraubt hätte, wie man das über Muammar al-Gaddafi sagte. Und bisher hat man ihm auch noch keine Unzucht angedichtet, wie man das ebenso mit Muammar tat. Baschar hat ganz offensichtlich das seltene Glück gehabt, auf seinem Lebensweg die eine, vollkommen seine zu treffen, dass es ihm gar nicht in den Sinn kam, sich mit weiblichen Bodyguards oder Krankenschwestern zu umgeben. Nicht viel Futter für die Medien bei ihrer Aufgabe, ihn zu dämonisieren. Hafez hat seine Kinder ganz offensichtlich gut erzogen.

Zum Interview: tatsächlich hat Baschar al-Assad keine andere Wahl als das zu tun, was er tut. Oder wie Shevardnadze kommentiert: er hat sich seinerzeit dafür entschieden, keine Wahl zu haben. Quelle ist RT.com, hilfsweise wurde für die deutsche Fassung die russische Übersetzung auf Inotv.rt.com mit herangezogen.

„Meine Feinde sind Terrorismus und Instabilität in Syrien“

RT: Vielen Dank, Herr Präsident, dass sie uns heute dieses Interview geben.

Baschar al-Assad: Herzlich willkommen in Damaskus!

RT: Vor einem Jahr waren viele davon überzeugt, dass Sie sich nicht so lange werden halten können. Dennoch sitzen Sie hier heute im sanierten Präsidentenpalast und wir zeichnen dieses Interview auf. Sagen Sie bitte, wer genau ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt Ihr Feind?

Baschar al-Assad: Unser Feind ist der Terror und die Instabilität in Syrien. Es geht nicht um konkrete Personen, das Problem dreht sich auch nicht darum, ob ich bleibe oder gehe, sondern darum, ob das Land stabil bleibt oder nicht. Das ist der Feind, mit dem wir es in Syrien zu tun haben.

RT: Seit ich hier eingetroffen bin, sind zwei Tage vergangen und ich hatte Gelegenheit, mit einigen Menschen hier in Damaskus zu sprechen. Manche sagen, es sei jetzt nicht mehr so wichtig, ob Sie bleiben oder gehen. Was wäre Ihre Meinung dazu?

Baschar al-Assad: Ich denke, dass es Sache des Volkes ist, ob der Präsident bleibt oder geht. Das hat nichts mit der Meinung Einzelner zu tun, und der einzige Weg, das zu entscheiden, führt über die Wahlurnen. Das heißt, diese Frage hängt nicht davon ab, was wir so hören, sondern von den Resultaten solcher Wahlen. Diese werden auch entscheiden, ob ein Präsident gehen muss oder bleibt.

RT: Ich denke, das, was diese Menschen gemeint haben war, dass nicht Sie persönlich, sondern Syrien in der Zielscheibe ist.

Baschar al-Assad: Von Anbeginn war nicht ich die Zielscheibe oder das Problem. Der Westen schafft sich ständig Feinde; früher war der Kommunismus ein Feind, später wurde es der Islam, dann aus verschiedenen Gründen Saddam Hussein. Nun brauchen sie einen neuen Feind, der durch Baschar repräsentiert wird. Und so sagen sie, dass das Problem im Präsidenten bestehe und er gehen müsse. Wir müssen uns deshalb auf das wirkliche Problem konzentrieren und keine Zeit damit vergeuden, das anzuhören, was sie reden.

„Dieser Kampf ist nicht der Kampf des Präsidenten – es ist der Kampf der Syrer, die ihr Land verteidigen“

RT: Denken Sie persönlich nach wie vor, dass nur Sie allein Syrien zusammenhalten können und nur Sie allein es sind, der in der Lage ist, das zu stoppen, was alle Welt inzwischen einen Bürgerkrieg nennt?

Baschar al-Assad: Wir müssen dieses Problem unter zweierlei Aspekten betrachten. Deren erster ist die Verfassung, entsprechend welcher ich mit Regierungsgewalt ausgestattet bin. Nach dieser Verfassung und der Regierungsgewalt muss ich in der Lage sein, das Problem zu lösen. Wenn Sie aber meinen, dass kein anderer Syrer Präsident werden kann, so sage ich nein, natürlich kann jeder Syrer Präsident werden. Es gibt hier viele Syrer, welche dazu in der Lage wären, diesen Posten zu bekleiden. Man darf das ganze Land nicht mit nur einem Menschen verbinden.

RT: Sie kämpfen ja aber für Ihr Land. Glauben Sie, dass Sie derjenige Mensch sind, welcher dazu in der Lage ist, diesen Konflikt zu beenden und den Frieden wiederherzustellen?

Baschar al-Assad: Es ist meine Pflicht, ein solcher Mensch zu sein, der dazu in der Lage ist. Und ich hoffe sehr darauf, aber es geht nicht so sehr um die Macht des Präsidenten wie um die Gesellschaft allgemein. Hier müssen wir sehr präzise vorgehen. Der Präsident kann ohne staatliche Institutionen und ohne die Unterstützung des Volkes nichts ausrichten. Folglich ist der derzeitige Kampf nicht ein Kampf des Präsidenten, sondern aller Syrer. Jetzt ist jeder Syrer an der Verteidigung seiner Heimat beteiligt.

RT: Das stimmt, und viele Zivilisten sterben auch bei den Kämpfen. Wenn Sie in diesem Krieg schließlich siegen sollten, wie würden Sie es bewerkstelligen, sich wieder mit Ihrem Volk zu versöhnen, nach alledem, was passiert ist?

Baschar al-Assad: Seien wir einmal mehr präzise. Das Problem besteht nicht zwischen mir und dem Volk, ich habe kein Problem mit dem Volk, weil die Vereinigten Staaten, der Westen, viele arabische Staaten und die Türkei gegen mich sind. Wären die Syrer gegen mich, wie sollte ich denn in dieser Position bleiben?

„Syrien hat es nicht mit einem Bürgerkrieg, sondern mit Terror zu tun, der von Handlangern ausgeführt wird“

RT: Das Volk ist nicht gegen Sie?

Baschar al-Assad: Wenn die Welt, oder sagen wir es so: ein großer Teil der Welt und das eigene Volk gegen einen stünde, wer sollte man da sein, um zu bestehen: ein Supermann? Nein, man ist einfach ein Mensch. Das ist also unlogisch. Es geht also nicht um Versöhnung mit dem Volk und auch nicht um Versöhnung der Syrer untereinander. Wir sind nicht in einem Bürgerkrieg. Es geht um Terrorismus und dessen Unterstützung aus dem Ausland, der darauf abzielt, Syrien zu destabilisieren. Das ist es, wogegen wir Krieg führen.

RT: Sie glauben also immer noch, dass dies kein Bürgerkrieg ist? Das frage ich, weil mir bekannt ist, dass viele meinen, es gebe Terror in Syrien und außerdem einen Krieg auf der Grundlage verschiedener Glaubensansichten. Beispielsweise haben wir alle von der Mutter gehört, die zwei Söhne hat, von denen einer auf Seiten der Regierungstruppen, der andere auf Seiten der Rebellen kämpft. Kann man das denn noch als etwas anderes als einen Bürgerkrieg bezeichnen?

Baschar al-Assad: Es gibt Bruchlinien, aber das bedeutet noch keinen Bürgerkrieg. Es verhält sich vollkommen anders. Ursachen eines Bürgerkriegs können ethnische oder konfessionelle Probleme sein. Mitunter kommt es zu Spannungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen oder Konfessionen, doch diese werfen kein solches Problem auf. Wenn es innerhalb einer Familie, eines Clans oder einer Stadt zu Meinungsverschiedenheiten kommt, so bedeutet das noch keinen Bürgerkrieg. Das ist etwas vollkommen anderes und eine normale Erscheinung, mit der man rechnen muss.

RT: Als ich von Ihrer Versöhnung mit dem Volk sprach, meinte ich, dass ich in verschiedenem Zusammenhang mehrmals von Ihnen gehört habe, Ihnen sei nur das wichtig, was das syrische Volk über Sie denkt und Ihnen gegenüber fühlt, und ob es will, dass Sie Präsident bleiben oder nicht. Fürchten Sie nicht, dass es den Menschen durch das große Leid im Lande irgendwann einmal nicht mehr so wichtig sein wird, was die Wahrheit ist, und sie die Verantwortung für das Morden, unter dem sie leiden, einmal Ihnen aufbürden werden?

Baschar al-Assad: Das ist eine hypothetische Frage, denn das, was die Menschen denken, ist insofern die Wahrheit und danach müssen wir sie fragen. Allerdings habe ich derzeit keine solche Information. Ich fürchte also nicht so sehr die Meinung einzelner Leute. Ich bin besorgt um mein Land. Darauf müssen wir uns konzentrieren.

RT: Viele Jahre wurde viel geredet von der Schlagkraft der syrischen Armee und der Allmacht der Sicherheitsdienste. Allerdings sehen wir jetzt, dass sie außerstande zu sein scheinen, den Feind so zu schlagen, wie man das erwartet hatte, dazu werden wir Zeugen von fast täglichen Terroranschlägen inmitten von Damaskus. Waren das also Mythen, was man von der syrischen Armee und den Sicherheitsdiensten sagte?

Baschar al-Assad: Normalerweise konzentrieren sich Armee, Sondereinheiten und Geheimdienste auf einem äußeren Feind, selbst, wenn es einen inneren Feind wie den Terrorismus gibt, denn die Gesellschaft ist schon allein dadurch eine Hilfe, dass sie diesem Terror keinen weiteren Nährboden bietet. Jetzt haben wir es allerdings mit einer neuen Art Krieg zu tun: Terrorismus durch Handlanger, das sind entweder in Syrien lebende Syrer oder ausländische, von außerhalb kommende Kämpfer. Das ist eine neue Art Krieg, an den man sich anpassen muss, was nicht so einfach geht – das braucht Zeit. Das ist kein – um es so zu sagen – “tradioneller” oder “regulärer” Krieg, das hier ist viel komplizierter. Außerdem erhalten die Terroristen eine noch nie dagewesene Unterstützung an Waffen, Finanzierung und politische Rückendeckung. Man muss also damit rechnen, dass es ein schwerer Krieg wird. Es wäre unrealistisch anzunehmen, dass ein solch kleines Land wie Syrien innerhalb von ein paar Tagen oder Wochen einen Sieg über all die Länder erringen kann, deren Agenten hier gegen uns kämpfen.

RT: Ja, aber einerseits kämpft hier eine Armee, die eine Führung hat. Von dieser wird sie befehligt, diese sagt ihr: geh vorwärts, nach links, nach rechts, und die Armee folgt diesen Befehlen. Von der anderen Seite aber hat man es hier mit Gruppen von Terroristen zu tun, die untereinander nicht eins sind und keine gemeinsame Strategie im Kampf gegen Sie haben. Was genau passiert denn da, wenn diese beiden Seiten aufeinander treffen?

Baschar al-Assad: Das ist nicht das Problem. Das Problem besteht darin, dass die Terroristen in den Städten kämpfen, wo es Zivilisten gibt. Wenn man gegen diese Art Terroristen kämpfen muss, muss man bestrebt sein, Schäden an der Infrastruktur und Opfer unter Zivilisten auf ein Minimum zu reduzieren. Doch kämpfen müssen wir, denn wir können es nicht zulassen, dass die Terroristen weiter morden und zerstören. Darin besteht die Schwierigkeit dieser Art von Krieg.

Ohne ausländische Rebellenkämpfer und Waffenschmuggel „könnten wir das alles in ein paar Wochen beenden“

RT: Sie wissen, dass die Infrastruktur und die Wirtschaft bereits in Mitleidenschaft gezogen worden sind. Es sieht fast so aus, als würde Syrien demnächst auseinanderbrechen und dass die Zeit gegen Sie spielt. Was glauben Sie, wieviel Zeit werden Sie benötigen, um den Feind zu besiegen?

Baschar al-Assad: Es ist nicht möglich, diese Frage zu beantworten, denn niemand kann wissen, wann dieser Krieg zu Ende ist, solange es keine Antwort auf die Frage gibt, wann die Einschleusung von Kämpfern aus aller Herren Länder nach Syrien aufhört, speziell aus dem Nahen Osten und der islamischen Welt, und wann die Waffenlieferungen an die Terroristen aufhören. Sobald das aufhört, kann man Ihre Frage beantworten: innerhalb von ein paar Wochen. Das ist kein großes Problem. Aber solange ein Zustrom an Terroristen, Waffen, logistische und anderweitige Unterstützung besteht, ist davon auszgehen, dass das ein langer Krieg wird.

RT: Zumal die Gesamtlänge der syrischen Grenze, die relativ durchlässig ist, 4.000 Kilometer beträgt, so dass sich Ihr Feind jederzeit nach Jordanien oder in die Türkei zurückziehen kann, um dort seine Bewaffnung aufzustocken, medizinisch versorgt zu werden und danach zurückkhert, um gegen Sie Krieg zu führen. Wie wollen Sie unter diesen Umständen diesen Krieg gewinnen?

Baschar al-Assad: Kein Land der Welt ist dazu in der Lage, seine Grenzen komplett dicht zu machen. Selbst die USA können beispielsweise ihre Grenzen zu Mexiko nicht vollständig kontrollieren. Gleiches gilt auch für Russland, ein sehr großes Land. Kein Land kann seine grenzen zu hundert Prozent kontrollieren. Es gibt an den Grenzen lediglich dann bessere Bedingungen, wenn man gute Beziehungen zu seinen Nachbarn hat. Das gilt nun gerade wenigstens nicht für unsere Beziehungen zur Türkei. Die Türkei unterstützt mehr als andere Länder das Einsickern von Terroristen und Waffen in unser Land.

„Die syrische Armee hatte keinen Befehl, auf türkisches Gebiet zu feuern“

RT: Unlängst war ich in der Türkei, dort habe ich festgestellt, dass die Menschen sehr darüber beunruhigt sind, dass es zwischen Syrien und der Türkei zu einem Krieg kommen kann. Glauben Sie, dass ein Krieg mit der Türkei ein realistisches Szenario wäre?

Baschar al-Assad: Rationell gesehen ist das aus zweierlei Gründen unrealistisch: ein Krieg bedarf der Unterstützung durch das Volk, und der größte Teil des türkischen Volks hat keinen Bedarf an diesem Krieg. Deswegen glaube ich nicht, dass irgendeiner von den vernünftigen Offiziellen gegen den Willen seines Volkes einen Krieg anzetteln wird. Gleiches gilt für das syrische Volk. Der Konflikt oder die Meinungsverschiedenheiten bestehen nicht zwischen dem syrischen und dem türkischen Volk, sondern zwischen unseren Regierungen, aus Gründen der türkischen Politik. Ich sehe also keinen Krieg zwischen Syrien und der Türkei in der Perspektive.

RT: Wann hatten Sie das letzte Mal Kontakt mit Erdoğan, und wie ist dieses Gespräch ausgegangen?

Baschar al-Assad: Das war im Mai 2011, nachdem er die Wahl gewonnen hatte.

RT: Haben Sie ihm zum Sieg gratuliert?

Baschar al-Assad: Ja, und das war unser letzter Kontakt.

RT: Wer beschießt denn die Türkei? Sind das Regierungstruppen oder die Rebellen?

Baschar al-Assad: Um das herauszufinden, müsste man eine gemeinsame Untersuchung mit einer Kommission aus den beiden Armeen durchführen, denn sehen Sie: an den Grenzen gibt es eine Menge an Terroristen, die mit Raketenwerfern ausgestattet sind. Das heißt, sie könnten das getan haben. Man müsste vor Ort gehen, die Geschosse untersuchen, was aber nicht passiert ist. Wir haben es der türkischen Regierung angeboten, eine solche Kommission zu bilden, sie lehnte das aber ab, also kann es keine definitive Antwort geben. Wenn es an den Grenzen eine solche Menge an Terroristen gibt, kann man nicht ausschließen, dass der Beschuss ihrer Hände Werk war. Die syrische Armee hat jedenfalls keinen Befehle bekommen, türkisches Territorium zu beschießen, denn daran sind wir überhaupt nicht interressiert. Zwischen uns und dem türkischen Volk gibt es keine Feindeligkeit, wir betrachten sie als Brüder, warum sollten wir das also tun? Wenn das allerdings versehentlich passiert sein sollte, so bedarf es einer Untersuchung.

RT: Räumen Sie ein, dass das versehentlich auch von syrischen Regierungstruppen ausgegangen sein konnte?

Baschar al-Assad: Das könnte passiert sein. In allen Kriegen gibt es solche Fehler. Sie wissen ja sicher aus Afghanistan, dass man da öfters vom “Friendly fire” spricht. Das passiert in jedem Krieg, dass die Armee versehentlich eigene Soldaten tötet. Aber in unserem Falle können wir das nicht bestätigen.

„Erdoğan denkt, er sei ein Kalif“

RT: Warum ist die Türkei, die Sie als befreundetes Land betrachtet haben, zu einer Stütze der Opposition geworden?

Baschar al-Assad: Wie gesagt, es geht nicht um die Türkei, sondern um die Regierung Erdoğan, um genau zu sein. Das türkische Volk ist an guten Beziehungen zum syrischen Volk interessiert. Erdoğan glaubt, dass wenn die Muslimbrüder in der Region, speziell in Syrien, an die Macht kommen, würde das seine politische Zukunft sichern; das ist das Eine. Der andere Grund: er hält sich für einen neuen Sultan der Ottomanen, er denkt, er kann die Region kontrollieren, als sei sie ein neues Osmanisches Reich, nur unter neuem Deckmantel. Innerlich ist er wohl davon überzeugt, er sei ein Kalif. Das sind die beiden Hauptgründe dafür, dass er von seinem Prinzip “null Probleme mit den Nachbarn” zum Prinzip “null Freunde unter den Nachbarn” gewechselt hat.

RT: Es ist ja derzeit nicht nur der Westen, der gegen Sie ist, sondern es gibt auch viele ihrer Feinde in der arabischen Welt. Während noch vor zwei Jahren Ihr Name in der arabischen Welt Achtung gebot, so sind sie jetzt von ihr verraten worden. Warum haben Sie so viele Feinde in der arabischen Welt?

Baschar al-Assad: Das sind keine Feinde. Der größte Teil der arabischen Regierungen unterstützt eigentlich Syrien, doch sie wagen es nicht, das laut zu äußern.

RT: Weshalb?

Baschar al-Assad: Weil der Westen Druck auf sie ausübt, bisweilen stehen sie auch unter dem Druck der Petrodollars in der arabischen Welt.

RT: Wer ist es denn in der arabischen Welt, der Sie unterstützt?

Baschar al-Assad: Viele Länder unterstützen uns insgeheim, auch wenn sie nicht offen davon reden. Aber es gibt auch solche Länder wie den Irak, der bei der Unterstützung Syriens in der gegenwärtigen Krise eine aktive Rolle spielt; dort versteht man, dass ein Krieg in Syrien sehr leicht zu Krieg in den benachbarten Ländern, einschließlich dem Irak, führen kann. Es gibt weitere Länder, die ein positives Verhältnis zu Syrien pflegen, wie Algerien und Oman. Es gibt darüberhinaus Länder, welche ich jetzt nicht alle aufzählen werde, die sich uns gegenüber positiv verhalten, ohne dass das jedoch in konkreten Handlungen ausgedrückt wird.

RT: Warum bestehen Saudi-Arabien und Katar so sehr darauf, dass Sie Ihr Amt verlassen? Wie sollte ein instabiler Naher Osten in ihre Pläne passen?

Baschar al-Assad: Offen gesagt kann ich natürlich nicht für sie sprechen. Sie müssen selbst auf diese Frage antworten. Ich kann lediglich sagen, dass Probleme zwischen Syrien und einigen arabischen Ländern der Welt, unserer Region sowie dem Westen oftmals deswegen auftreten, weil wir Nein sagen, wenn wir Nein sagen müssen. Das ist das Problem. Manche Länder glauben, dass sie Syrien entweder direkt befehlen können, oder hier mittels Petrodollars, Finanzen oder Diktat herrschen können. Mit Syrien ist das aber nicht möglich. Vielleicht wollen sie nur eine gewisse Rolle einnehmen – das wäre für uns kein Problem, aber unsere Bedingung ist immer, dass das nicht auf Kosten unserer Interessen geht.

RT: Gilt das für die Kontrolle Syriens oder für den Export ihrer Ansicht vom Islam nach Syrien?

Baschar al-Assad: Man kann nicht sagen, dass es sich um eine offizielle Politik dieser Länder handelt. Mitunter gibt es gewisse Institutionen oder Persönlichkeiten in einem solchen Land, die eine solche Richtung verfolgen, aber das wird nicht als offizielle Politik gehandelt. Diese Länder fordern nicht offen von uns, dass wir ihre extremistischen Ansichten oder die ihrer Institutionen verbreiten, doch mitunter passiert es, dass sie versuchen, uns zu beeinflussen. Das ist ein Teil des Problems, doch wenn ich auf Regierungsebene rede, dann kann ich nur von der offiziellen Politik sprechen, und diese ist überall mit den Interessen des Landes verbunden, mit dem Bestreben, eine gewisse Rolle einzunehmen. Doch auch das, was Sie erwähnen, können wir nicht ignorieren.

RT: Ihr treuer Verbündeter, der Iran, unterliegt auch Wirtschaftssanktionen, man droht ihm mit Militärschlägen. Wenn man Ihnen anbieten würde, die Beziehungen zum dem Iran im Austausch für Frieden abzubrechen, wären Sie einverstanden?

Baschar al-Assad: Wir müssen nicht zwischen zwei solchen Optionen wählen; mit dem Iran haben wir seit 1979 und bis heute gute Beziehungen, sie verbessern sich ständig. Gleichzeitig bewegen wir uns in Richtung Frieden. Bei uns lief ein Friedensprozess, wir hatten Friedensverhandlungen und der Iran hat das nicht behindert. Es handelt sich also um Desinformation im Westen, dass, wenn wir Frieden wollen, wir keine guten Beziehungen zum Iran haben dürfen. Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun. Der Iran hat Syrien unterstützt, hat uns in der Frage der besetzten Gebiete unterstützt und nun müssen wir den Iran in seiner Sache unterstützen. Das ist eine ganz einfache Sache. Der Iran ist ein sehr wichtiger Staat in unserer Region, und wenn wir Stabilität anstreben, brauchen wir gute Beziehungen zum Iran. Es ist unmöglich, von Stabilität zu sprechen, wenn man schlechte Beziehungen zum Iran, zur Türkei und zu anderen Nachbarn hat.

„Das Endziel der Al-Kaida ist ein islamisches Emirat in Syrien“

RT: Haben Sie Informationen darüber, dass westliche Geheimdienste die Rebellenkämpfer in Syrien finanzieren?

Baschar al-Assad: Nein, wir wissen lediglich, dass sie die Terroristen mit Know-how unterstützen, vor allem über die Türkei, teilweise auch über den Libanon. Aber es gibt auch andere Geheimdienste, nicht nur die westlichen, sondern solche aus unserer Region, die auch aktiv und sogar noch viel aktiver sind als die westlichen, das jedoch unter der Aufsicht der westlichen Geheimdienste.

RT: Welches ist derzeit die Rolle der Al-Kaida in Syrien? Hat sie Kontrolle über irgendeinen Teil der Rebellenkämpfer?

Baschar al-Assad: Ich glaube nicht, dass sie bestrebt ist, da Kontrolle auszuüben. Sie verfolgen das Ziel, ihre eigenen kleinen Königreiche, oder – in ihrer Sprache – Emirate zu errichten, und im Wesentlichen verschrecken sie die Menschen durch Terroranschläge, Morde, Angriffe durch Selbstmordattentäter und solche Sachen, damit die Leute verzweifeln und sie als gegeben hinnehmen. Sie gehen schrittweise vor, ihr Endziel ist die Errichtung eines islamischen Emirats in Syrien, von wo aus sie ihre Ideologie in den Rest der Welt propagieren können.

RT: Mit wem von denen, die gegen Sie kämpfen, wären Sie zu Verhandlungen bereit?

Baschar al-Assad: Wir sprechen mit jedem, der Syrien wirklich helfen will. Aber wir verschwenden keine Zeit mit solchen, welche sich die Krise bei uns für ihre eigenen Interessen zunutze machen wollen.

RT: Die Regierungskräfte wurden oftmals beschuldigt, Kriegsverbrechen gegen die syrische Zivilbevölkerung verübt zu haben. Würden Sie bestätigen, dass die Regierungstruppen Kriegsverbrechen gegen die eigenen Bürger begangen haben?

Baschar al-Assad: Wir kämpfen gegen den Terror und erfüllen unsere verfassungsmäßigen Pflichten, indem wir das syrische Volk schützen. Gehen wir einmal zurück zu den Ereignissen in Russland vor zehn Jahren: Sie waren mit dem Terror in Tschetschenien und an anderen Orten konfrontiert. Terroristen griffen die Menschen in Theatern, Schulen und anderen öffentlichen Orten an, und die russische Armee schützte das Volk. Kann man das als Kriegsverbrechen bezeichnen? Sicherlich nicht. Vor ein paar Tagen hat Amnesty International eingeräumt, dass die bewaffneten Banden ein Verbrechen begangen haben, als sie Soldaten festsetzten und dann hinrichteten. Human Rights Watch hat mehr als nur einmal die Verbrechen der Terroristen als Kriegsverbrechen eingestuft. Das zum Ersten. Zum Zweiten, es ist nicht logisch anzunehmen, die Armee begehe Verbrechen gegen das eigene Volk, denn die syrische Armee setzt sich aus dem syrischen Volk zusammen. Würde die Armee solche Verbrechen begehen, so würde sie sich spalten, zerfallen. Die Armee kann nicht stark bleiben, wenn sie Menschen aus dem eigenen Volk tötet. Zum Dritten, unter den gegenwärtigen schweren Verhältnissen würde die Armee ohne die Unterstützung des Volkes nicht die 20 Monate durchgehalten haben. Was sollte es denn für eine Unterstützung geben, sollte die Armee das eigene Volk umbringen? Das ist widersinnig.

„Ich muss in Syrien leben und in Syrien sterben“

RT: Wann haben Sie das letzte Mal mit jemanden aus der Führung des Westens gesprochen?

Baschar al-Assad: Das war noch vor Beginn der Krise.

RT: Hat es von dort aus jemals das Angebot an Sie gegeben, den Posten als Präsident aufzugeben im Austausch für Frieden in Syrien?

Baschar al-Assad: Nein, direkt wurde das nicht angeboten. Aber ob direkt oder indirekt, es handelt sich dabei um die Frage nach der syrischen Souveränität, und nur das syrische Volk ist befugt, solche Fragen zu klären. Alles, was in dieser Hinsicht direkt oder indirekt in den Medien geäußert wird, hat in Syrien keine Bedeutung und kein Gewicht.

RT: Es sieht so aus, als hätten Sie gar keine Wahl. Von außen betrachtet jedenfalls hat man den Eindruck, als können Sie nirgendwohin mehr fahren. Wohin würden Sie sich begeben, wenn Sie gehen wollten?

Baschar al-Assad: Nach Syrien. Aus Syrien ginge ich nur nach Syrien. Das ist der einzige Ort, an dem ich leben kann. Ich bin keine Marionette. Ich bin nicht vom Westen erschaffen worden, so dass ich nicht in den Westen oder in irgendein anderes Land gehen kann. Ich bin ein Syrer, bin in Syrien geboren, muss in Syrien leben und sterben.

„Ich glaube an Diplomatie und Dialog, aber wir müssen realistisch bleiben“

RT: Glauben Sie, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Diplomatie noch eine Chance hat, oder befinden wir uns bereits in einer Phase, in der die Krise nur noch militärisch entschieden werden kann?

Baschar al-Assad: Ich habe immer an die Diplomatie und den Dialog geglaubt, selbst mit denen, die nicht daran glauben. Wir müssen diese Bemühungen fortsetzen. Ich bin der Meinung, dass das immer wenigstens einen kleinen Teilerfolg bringt. Solche Teilerfolge müssen wir anstreben, solange an einen Gesamterfolg noch nicht zu denken ist. Aber wir müssen auch realistisch sein. Es wäre falsch zu glauben, dass für den Erfolg jetzt einzig der Dialog ausreichend sei. Denn unter denen, die an den bewaffneten Aktionen beteiligt sind, gibt es zwei verschiedene Arten von Leuten: die einen, speziell die Extremisten, halten nichts vom Dialog, und es gibt dazu noch Kriminelle, die noch vor Jahren von Gerichten verurteilt worden sind – deren natürlicher Feind ist die Regierung, denn unter normalen Bedingungen würden sie in Gefängnissen sitzen. Die anderen dieser Leute sind solche, die aus dem Ausland unterstützt werden. Sie müssen Loyalität zu den Regierungen wahren, von denen sie bezahlt und mit Waffen versorgt werden. Sie haben keine Wahl, denn sie sind nicht in der Lage zu entscheiden. Wir müssen also realistisch sein. Daneben gibt es einen Teil, ob das nun Bewaffnete oder Politiker sind, die dialogbereit sind. Diese sind der Grund dafür, dass wir nun schon seit Monaten einen Dialog führen, darunter auch mit bewaffneten Rebellen, und viele von ihnen haben bereits ihre Waffen niedergelegt und sind zu einem normalen Leben zurückgekehrt.

„Der Preis für eine ausländische Invasion wäre höher, als die Welt sich das leisten kann“

RT: Denken Sie, dass es in Kürze zu einer ausländischen Intervention kommen kann?

Baschar al-Assad: Ich denke, dass der Preis einer solchen Intervention, sollte sie stattfinden, höher sein wird, als sich die Welt das leisten kann. Syrien ist die letzte Feste des Säkularismus, der Stabilität und einer friedlichen Koexistenz in der Region. Wenn es in Syrien zu Problemen kommt, so ergibt das eine Kettenreaktion, die alle Länder vom Atlantik bis hin zum Stillen Ozean betreffen wird, überhaupt die ganze Welt. Ich denke also nicht, dass der Westen diesen Weg einschlagen wird, wenn es jedoch dazu kommt, wird niemand mehr sagen können, wie es danach weitergeht.

RT: Herr Präsident, haben Sie sich selbst etwas vorzuwerfen?

Baschar al-Assad: Bei jeder Entscheidung kann man eigene Fehler finden, sonst wäre man ja kein Mensch.

RT: Welches ist denn Ihr größter Fehler gewesen?

Baschar al-Assad: Offen gesagt kann ich das jetzt nicht rekapitulieren. Vor jeder beliebigen Entscheidung aber mache ich mir bewusst, dass ein gewisser Teil davon falsch sein kann, was aber, ist in dem jeweiligen Moment noch nicht absehbar. Manchmal, besonders in Krisenzeiten, kann man die richtige Entscheidung von einer falschen kaum unterscheiden, das wird erst möglich, wenn die Krise vergangen ist. Ich kann aus diesem Grunde jetzt nicht objektiv von meinen Fehlern reden, denn wir befinden uns noch mitten in der Krise.

RT: Das heißt, es gibt nichts, das Sie bereuen?

Baschar al-Assad: Momentan nicht. Wenn alles etwas klarer wird, können wir von den Fehlern sprechen. Sicherlich werden sie dann zu erkennen sein, und das wäre auch normal.

RT: Angenommen, heute ist der 15. März 2011, der Tag, an dem die Proteste zu eskalieren begannen. Was würden Sie heute anders machen?

Baschar al-Assad: Ich würde das gleiche tun, was ich auch an diesem 15. März tat.

RT: Genau das gleiche?

Baschar al-Assad: Genau das gleiche: ich würde die verschiedenen Seiten zum Dialog und zum Widerstand gegen die Terroristen aufrufen, denn so ist es losgegangen. Es ging durchaus nicht mit Demonstrationen los, diese dienten nur als Vorwand. Denn in den Reihen der Demonstranten gab es Bewaffnete, die damit begannen, sowohl auf Zivilisten als auch auf Armeeangehörige zu schießen. Vielleicht hätte auf taktischer Ebene etwas anders laufen können, aber als Präsident des Landes entscheidet man nicht auf der taktischen, sondern auf der strategischen Ebene.

RT: Herr Präsident, wie sehen Sie sich selbst in 10 Jahren?

Baschar al-Assad: Ich betrachte mich selbst durch mein Land; ich sehe weniger mich selbst, als mein Land in 10 Jahren. Und dort sehe ich mich.

RT: Sie sehen sich selbst in Syrien?

Baschar al-Assad: Zweifellos. Ich muss in Syrien sein. Es geht dabei nicht um eine Position, nicht darum, ob ich Präsident bin oder nicht. Das ist es nicht, was mich interessiert. Ich sehe mich in meinem Land, das sicherer, stabiler und wohlhabender geworden ist.

RT: Herr Präsident Baschar al-Assad, vielen Dank für das Interview mit RT.

Baschar al-Assad: Nochmals danke, dass Sie nach Syrien gekommen sind.