König Abdullah ibn Abd al-Aziz Al Saʿud

Saudi-Arabiens König Abdullah geht “in Urlaub” und gibt eine Anordnung heraus, die Kronprinz Salman für die Zeit seiner Abwesenheit mit allen Befugnissen ausstattet: “Wir (König Abdullah) erteilen entsprechend unserer Anordnung Kronprinz Salman die Befugnis, die Staatsangelegenheiten zu führen und die Interessen unseres Volkes in der Zeit unserer Abwesenheit zu wahren.”

Formal ist das reine Routine: der König fährt zur Kur und beauftragt den Kronprinzen und Verteidigungsminister in Personalunion damit, die Interessen der Krone zu vertreten. Faktisch aber besteht angesichts des Alters und des Gesundheitszustands des Königs die Möglichkeit, dass wir es hier fast mit dem Verweser des saudischen Throns zu tun haben.

Es wird natürlich nicht mitgeteilt, wohin und für wie lange der fast 90-jährige König Abdullah verschwindet. Vor etwa anderthalb Jahren gab es bereits die Ente, König Abdullah sei in Marokko gestorben. Das wurde dementiert, aber danach folgte eine längere Pause seiner öffentlichen Auftritte, was einmal mehr indirekt vom doch schlechten Gesundheitszustand des Despoten zeugte. In diesem Sinne gibt es bei der gestrigen “Urlaubsmeldung” die durchaus nicht von der Hand zu weisende Möglichkeit, dass Abdullah gar nicht mehr aus dem Urlaub zurückkehren wird. Sollte er in den USA behandelt werden, so ist er rein medizinisch erst einmal auf der sicheren Seite, jedoch ist ja unlängst der vorige Kronprinz Naif trotz aller fortschrittlichen Medizin gestorben – und dieser war etwas jünger und nicht ganz so krank wie der König.

Auf jeden Fall kann man davon ausgehen, dass der König zumindest anläßlich des vor kurzem, am 14. August, abgehaltenen Treffens der Organisation für Islamische Zusammenarbeit gesundheitlich etwas auf Trab gehalten wurde, denn seine Anwesenheit bei diesem Treffen war wichtig dazu, von Stabilität im Königreich zu zeugen. Dieses Treffen ist nun vorbei, und scheinbar kann man die Sache nicht weiter hinauszögern.

Kommen wir nun zu einer gewagten These im Zusammenhang mit der sich verschärfenden Rhetorik des Westmächte zur Situation in Syrien. Oder besser: ein Versuch zu begreifen, warum die Aggressivität gerade jetzt ein immer bedrohlicheres Ausmaß annimmt und die allgemeine Hoffnung, dass “vor den US-Präsidentschaftswahlen” schon nichts passieren wird, stetig schwindet.

PressTV und andere Medien kolportieren eine Nachricht des britischen Boulevardblatts “The Daily Star”, der zufolge eine insgesamt rund 200 Mann starke Spezialeinheit aus britischen und diversen anderen Söldnern bereits in Syrien unterwegs sein soll, um Chemiewaffenlager zu “sichern” und gegebenenfalls zu zerstören. Die Quelle sowie Inhalt und Aufmachung der Meldung sind natürlich höchst fragwürdig, aber mal angenommen, die Sache hat einen realen Hintergrund: es werden mitunter bewusst solche bekanntermaßen desinformierenden Medien dazu genutzt, Körnchen der Wahrheit durchgehen zu lassen (bestes Beispiel dafür sonst: Debkafile).

Man ist im allgemeinen sehr skeptisch, was die theoretische Fähigkeit einer solchen Truppe anbelangt, das deklarierte Ziel zu erreichen; eine solche Spezialeinheit ist dafür von ihrer Stärke, ihrer Ausrüstung und dem Format, in dem sie unterwegs ist, kaum in der Lage. Besonders, was eine gegebenenfalls nötige “Vernichtung” von Chemiewaffen anbelangt – das dürfte ohne massive logistische Unterstützung unmöglich sein. Sind also wirklich irgendwelche SAS- und sonstige Mannen in Syrien unterwegs, ist es wahrscheinlich, dass damit ein ganz anderes Einsatzziel kaschiert werden soll – zum Beispiel eine Auskundschaftung und ggf. Ausschaltung von Flugabwehr-Stellungen, Sabotage von entsprechenden militärischen Einrichtungen, oder, kurz gesagt, die Vorbereitung dessen, was da nach den neuesten Drohungen aus dem Westen bald über Syrien kommen soll. Parallel ist natürlich das Headhunting auf die politische und militärische Führungsspitze eine mögliche Aufgabe. Diese Dinge wären durchaus realistische Einsatzziele für eine solche Sondereinheit. Chemische Waffen sind für sie zu hoch – das ist eine Sache, die man ohne eine regelrechte Invasion nicht erledigen können wird.

Die Ereignisse der vergangenen Wochen und Tage zeigen, dass der Westen auf einmal große Eile an den Tag legt und die Lage fast schon stündlich in die Eskalation treibt. Marat Musin hat ein recht eigenartiges Detail dargelegt (und zwar in einem Interview, das wir hier noch nicht betrachtet haben): anstelle dessen, dass man versucht, die in Aleppo verbliebenen Rebellenbanden aus ihrem Kessel zurückzuziehen und wenigstens einen Teil von ihnen rettet, wirft man von türkischer Seite aus immer wieder weitere Kolonnen hinein, faktisch in den sicheren Tod. Wenn man nicht gleichzeitig versucht, die eingekesselten Rebellen mit Waffen und Munition zu versorgen und/oder wenigstens die Verwundeten irgendwie in Sicherheit bringt, haben wir hier ein Szenario von völlig kaltblütigem und massivem Verheizen von Kanonenfutter vor uns. Für irgendetwas scheint es nötig zu sein, einen wesentlichen Teil der kampffähigen syrischen Einheiten möglichst lange an Aleppo zu binden.

Wenn man nun also alles zusammennimmt, was in letzter Zeit über den saudischen König durchgesickert ist, kann es sein, dass im saudischen Königtum bald Trauer herrscht. Wunder gibt es natürlich immer wieder. Dabei wäre der Tod des Königs für die Aggressoren ausgerechnet jetzt absolut unpassend.

Die drei süd-saudischen Provinzen

Vor 12 Jahren gab es in der Provinz Nadschran, die an den Jemen grenzt, einen Aufstand, weil der damalige Kronprinz Abdullah Vereinbarungen brach, die am Ende des territorialen Konflikts zwischen Jemen und dem saudischen Königreich getroffen wurden. Diese Vereinbarungen betrafen unter anderem auch die Rechte der Schiiten, die einen bedeutenden Anteil der Bevölkerung aller drei südlichen saudischen Provinzen stellen – Asir, Nadschran und Dschaizan. Der Aufstand wurde entschlossen und hart niedergeschlagen, doch seit diesen Ereignissen wird der Name König Abdullahs in den südlichen Provinzen ohne besondere Liebe ausgesprochen. Die Terroristen, welche vor ein paar Tagen im Königreich festgesetzt wurden, waren ja Jemeniten. In den östlichen Provinzen brodelt es weiter. Auch die Schiiten in Bahrain lassen immer wieder von sich hören. Der Tod des Königs wird für die Saudis unweigerlich die Notwendigkeit nach sich ziehen, sich inneren Unruhen in den schiitisch bevölkerten Gebieten zu widmen, wofür aller Wahrscheinlichkeit nach keine Polizeikräfte ausreichen werden.

Natürlich kann man über den inneren Zustand des Clans der Saud nur mutmaßen. Vielleicht treten nach dem Tod des Königs die inneren Streitigkeiten sogleich zutage, oder man wird sie mit einer gewissen Verzögerung bemerken – es gibt eine Menge an Leuten, die mit der Ernennung Salmans zum Kronprinzen nicht gerade glücklich sind. Eine solche Phase hat Saudi-Arabien bereits hinter sich, und zwar Mitte des vorigen Jahrhunderts, als man gigantische Anstrengungen brauchte, um den Frieden im Clan wiederherzustellen. Doch damals lebten noch die Brüder des Begründers der Dynastie, und es war in vielem ihre Autorität, welche zu einer Stabilisierung der Lage beigetragen hat. Jetzt gibt es solche Autoritäten nicht mehr, stattdessen aber unzählige – hunderte von – Prinzen, sowie den enorm einflußreichen Clan der Al ash-Sheikh. Keiner kann sagen, was das für ein Gebräu ergibt, ganz besonders wenn man berücksichtigt, dass die drei Gewaltstrukturen im Königreich – nämlich die Armee, die Polizei und die Geheimdienste – sich unter dem Oberbefehl von Prinzen befinden, die jeweils eine eigene Sicht auf die Zukunft des Landes haben.

Bei allem Rätselraten ist es wahrscheinlich, dass die Situation in Saudi-Arabien, dem Hauptsponsor der gegen Syrien geführten Aggression, den Westen enorm beunruhigt und zur Eile drängt. Sollte sich nämlich das Königreich plötzlich und entschieden eigenen, inneren Problemen widmen müssen, könnte die gegen Syrien geführte Aggression genauso plötzlich versiegen. Mehr noch, die eventuell notwendig und bekannt werdenden Maßnahmen zur Beilegung dieser Unruhen könnten schnell wieder die Frage aktuell werden lassen, wer im Nahen Osten nun wirklich ein “blutiges Regime” ist.

Muammar Gaddafi mit zweien seiner Enkelkinder

Vor etwas über einem Jahr gab es einen in gewisser Weise ähnlichen Fall: ein Pilot der NATO-Aggression gegen Libyen hat mit einem gezielten Bombenangriff die drei kleinen Enkelkinder Muammar Gaddafis umgebracht. Fast sofort wurde diese Meldung allerdings von der Nachricht über die bravouröse Liquidierung und die merkwürdige “Bestattung” des “Nummer-Eins-Terroristen” Osama bin Laden verdrängt. Die Enkelkinder Gaddafis traten dahinter in den Strom der täglich durchrieselnden Meldungen zurück. Vielleicht ist das zeitlich ein Zufall gewesen, aber für das Verhindern von Negativschlagzeilen bei der permanent notwendigen “positiven” Kriegspropaganda gegen Libyen kam dieser Seitenhieb absolut gelegen.

Offenbar besteht jetzt ein ähnliches Problem: man muss für den Fall, dass in Saudi-Arabien wirklich irgendetwas passiert, sämtliche Meldungen von dort blockieren und dagegen etwas mehr “Action” in die syrische Waagschale werfen.

Dafür ist die Konzentration von kampffähigen Teilen der syrischen Armee in einem mehr oder weniger eng definierten Gebiet sehr nützlich: mit einem Mal könnte man ihnen einen wirklich empfindlichen und folgenreichen Schlag beibringen. In Al-Safirah nahe Aleppo gibt es übrigens ein größeres Chemiewerk und, aller Wahrscheinlichkeit nach, Lager genau der chemischen Waffen, von denen die Führer der “freien Welt” neuerdings so aufgeregt phantasieren.

Nach einer solchen Aktion könnte man sich wieder zurückziehen und der beunruhigten Weltgemeinschaft darbieten, dass die Welt abermals von einem heldenhaften Sonderkommando und Piloten der Luftwaffe gerettet wurde. Es wären auch keine eigenen Bodentruppen notwendig, denn die Rebellenbanden bekämen so einen wirklich wirksamen und hilfreichen Vorschub. Der Medienkrieg kann ohne Weiteres dafür herhalten, alles, was an anderen Orten – zum Beispiel in Saudi-Arabien – vorgeht, zu verbergen.

Für all die Spekulation braucht es lediglich zwei Schlüsselereignisse – der geneigte Leser mag selbst einschätzen, wie wahrscheinlich sie eintreten können. Das ist zum Einen der Tod des Königs Abdullah und zum Anderen eine Provokation unter Anwendung von C-Waffen. Zu ersterem: ja, es gibt Wunder, aber theoretisch zählt man da bereits die Tage, oder maximal ein paar Wochen, denn für einen fast 90-jährigen Greis ist allein seine Existenz bereits mehr oder weniger ein tägliches Wunder.

Das sind Spekulationen, keine Prognosen oder Prophezeiungen. Spekulationen, sonst nichts.