Ortseingangsschild von Al-Bukamal, Syrien, nahe der Grenze zum Irak: jetzt eine Stadt im “Wilayat al-Furat” (Provinz Euphrat) des “Islamischen Staates” (via @ajaltamimi)

Zu den derzeit scheinbar recht träge dahinlaufenden US-Bombardements gegen den sogenannten “Islamischen Staat” wird sich offenbar in recht kurzer Zeit auch Großbritannien gesellen, ganz in klassischer, 2003er-Manier der “coalition of the willing”. David Cameron meinte dazu, dass es “bald” (innerhalb von Wochen) losgehen würde, und zwar nachdem die neue britische Regierung steht. Präzisiert wurde das einstweilen mit der Erklärung, dass die Briten “irakische und kurdische” Militärs ausrüsten, trainieren und anleiten werden – in etwa so, wie es z.B. die Bundeswehr wohl schon tut. Dabei wird von Vizepremier Clegg süffisant angemerkt, dass “Luftschläge allein nicht funktionieren” werden.

Der Akzent, der seit Wochen auf eine Aufpeppelung insbesondere der Kurden gelegt wird, kommt nicht von ungefähr. Peschmerga hin oder her, die Kurden werden im Endeffekt eine ausgerüstete, trainierte Armee haben – eines der Attribute eines jeden Staates, der die Kraft hat, sich nachhaltig in der Weltgeschichte zu manifestieren.

Dahingegen taucht eine Unterstützung der “nicht-kurdischen” “irakischen Streitkräfte” bestenfalls auf Platz 2 auf, was bedeutet, dass die schiitischen Teile des Irak letztlich dem “Islamischen Staat” zum Fraß vorgeworfen werden, beziehungsweise dem Iran, der sich in diesen Sumpf wird hineinziehen lassen müssen.

George Friedman, Stratfor-Chef und, was ein offenes Geheimnis ist, einer der Sprecher der US-amerikanischen Geheimdienstcommunity, spricht in seinem Artikel “Ukraine, Iraq and a Black Sea Strategy” unzweideutig davon, dass die USA davon abrücken, eine Einheit des Irak unter einer Regierung in Bagdad zu unterstützen. Der Schwenk geht in Richtung einer “Nutzung” von Proxies, um den “Islamischen Staat” zu “containen”, das heißt: einzudämmen und… die Richtung seiner Aktivitäten zu steuern.

Ein Umstand der Veröffentlichung dieses Friedman-Strategiepapiers ist hochinteressant. Unlängst hatte Al-Arabiya die Absicht des “Islamischen Staats” verbreiten lassen, in absehbarer Zeit “Tschetschenien und den gesamten Kaukasus zu befreien”. Diese Meldung kam entweder zeitgleich oder kurz nach der Publikation des Friedman-Artikels auf, fast wie auf Kommando. Inhaltlich nichts anderes hatte Friedman nämlich in seinem Text als jene “US-Strategie” angekündigt, in deren Zuge die beiden aktuellen Konfliktherde – Irak/Syrien und Ukraine – mit einer einheitlichen Herangehensweise zu einem großen Konflikt zu gruppieren wären, der von den Vereinigten Staaten gemanaged wird.

Ramsan Kadyrow am 03.09.2014: “Terroristen in Syrien, die sich selbst als “Islamischen Staat” bezeichnen, haben die kindische Drohung geäußert, einen Krieg in Tschetschenien und im Kaukasus anzuzetteln. Sie reden nur das, was ihnen ihre Herren aus den Geheimdiensten des Westens vorgeben. Diese Bastarde haben nichts mit dem Islam zu tun. Vielmehr sind sie offenkundige Feinde aller Moslems weltweit. Diese Naivlinge haben beschlossen, mit ihren zwei Flugzeugen Tschetschenien und dem ganze Russland zu drohen. Sollen sie auch zwei Tausend Flugzeuge besteigen, bis nach Russland kommen sie nicht. Alle US-hörigen Staaten haben Sanktionen gegen Russland verhängt und nichts erreicht, und hier haben wir einen ungewaschenen Kleinkriminellen, der sich hervorzutun beschlossen hat, indem er in die Rolle eines Mops schlüpft. Ich sage mit aller Verantwortung, dass der, welchem es einfällt, Drohungen gegen Russland zu äußern und dabei den Namen unseres Präsidenten Wladimir Putin in den Mund zu nehmen, genau an der Stelle vernichtet werden wird, wo er diese Drohung äußert. Wir werden nicht darauf warten, bis er sich ans Steuer eines Flugzeugs setzt. Er wird dahin fahren, wo seine Terroristenbrüder Chattab, Abu Walid und die anderen Gesandten des Westens vermodern. (…) Von sich allein aus sind die Terroristen in Syrien und im Irak gar nichts. Es handelt sich um Banditen, die von der USA und dem Westen trainiert und aufgerüstet wurden, damit mit ihren Händen starke und an Ressourcen reiche islamische Länder vernichtet würden. Dabei haben sie keinen Schimmer davon, was der Koran, was die Sunna ist. Ich möchte betonen, dass sie ihre Tage unter den heißen Sonnenstrahlen Syriens und des Irak beenden werden, und im ersten Augenblick ihres Todes wird sie das ewige Höllenfeuer empfangen. Allahu akbar!”

Wenn Kadyrow auf diese ISIS-Drohung reagiert und verspricht, jeden einzelnen ISIS-Terroristen “ins ewige Höllenfeuer” zu schicken, wo auch immer sie ihre Unflat gegen Russland äußern, dann ist das verständlich und sieht auch erst einmal martialisch genug aus; das Problem, das Friedman artikuliert, besteht aber weiter. Der Terror im Irak und in Syrien und der Terror in der Ukraine soll mit dem (vorläufigen, oder einstweiligen) gemeinsamen Angriffsziel Russland vereinigt werden. Das Bindeglied, zwischen Hammer und Amboß: die Türkei, welche ihre Interessen sowohl im Irak (und, mit dem Projekt “FSA”, auch in Syrien), als auch in der Ukraine hat. Daher die Aufrüstung der Kurden, möchte man meinen.

Sowohl die jetzige faschistische Ukraine als auch der “Islamische Staat” sind Erscheinungen, die vollkommen künstlichen Ursprungs und das Produkt “sozialer Technologien” sind. Geschaffen vielleicht mühsam, über lange Zeit, aber dennoch beharrlich und eben künstlich. Das Ziel dieser nunmehr “gemeinsam gemanageten” Bedrohung ist die Schaffung einer enormen Welle der Destabilisierung an den Grenzen der potentiellen Feinde der USA. Im Falle von Russland ist der Feindstatus nicht einmal mehr nur “potentiell”: Friedman bezeichnet Russland in seinem Text ohne viel Federlesens als “adversary”, in einem Atemzug mit dem (Schein-)Feind “Islamischer Staat”. Wie genau die Instrumente des US-Terrormanagements einzusetzen sind, darüber gibt es in den USA selbst verschiedene Vorstellungen, klassischerweise getrennt durch die (nominelle) Wasserscheide “republikanisch” / “demokratisch”, aber Konsens unter den US-Eliten ist es sicher, dass diese Instrumente gesteuert, ausgerichtet und im Interesse der USA anzuwenden sind.

Russland nun hat sich durch seinen Verzicht einer “Blitz”-Strategie in der Ukraine (die noch Anfang Mai möglich gewesen wäre) und dem Bevorzugen einer Schacherei mit und unter den ostukrainischen Oligarchen im strategischen Sinne in eine höchst gefährliche Lage gebracht – die USA können es sich jetzt erlauben, mit der Intensität der Konflikte an den russischen Grenzen zu spielen und den Schwerpunkt mal hier-, mal dorthin verlagern, womit es für die Russen vollkommen unmöglich wird, sich auf einer Richtung zu konzentrieren. Die enorme Dynamik der Entfesselung einer Instabilität in der Ukraine (wo von den ersten “Demonstrationen” bis zu den ersten in Schutt und Asche gelegten Ortschaften kaum mehr als ein halbes Jahr vergangen ist, es also viel schneller ging, als noch in Syrien) machte es nicht nur schwer, sondern unmöglich, die Entwicklung der Lage irgendwie zu prognostizieren und daraus Gegenmaßnahmen zu entwickeln. Dazu wieder Friedman: “(Putins) Geheimdienste sind vollkommen daran gescheitert, die Ereignisse in Kiew vorherzusehen oder zu steuern, oder auch nur einen großangelegten Aufstand in der Ostukraine zu generieren”. Vielleicht eine Fehleinschätzung – es gibt immer noch eine ganze Menge an Leuten, die das “Schweigen Putins” zu den immer brutaler und mörderischer werdenden Provokationen der Kiewer Junta im Donbass für einen besonders gewieften, trickreichen “Plan” halten, mit dem er sich bzw. Russland nicht in einen großen Krieg verwickeln ließ. Die Chancen stehen aber nicht schlecht, dass Friedmans Einschätzung nicht allzu weit daneben liegt – mit Unruhen in der Ukraine und dem nächsten “Maidan” in Kiew rechnete der Kreml erst 2015. Auf der taktischen Ebene mag es momentan dort, lokal, für Russland noch ganz gut aussehen, nur ist die Taktik immer Reaktion auf sich ergebende Umstände. Auf Ebene der Strategie wäre es dann, wie man zu sagen pflegt, “zappenduster”, und es treten unangenehme Fragen auf, wie denn – außer mit Kadyrows furchteinflößenden Reden – dem ISIS-Terror wirklich zu begegnen sei, vor allem wenn man weiß, dass der dahinter stehende Feind höchst gerissen, skrupel- und gewissenlos ist. Kadyrow ist bei aller Respektabilität nicht der Mann, solche Bedrohungen auszuschalten.

Hauswand in einem Ort in der irakischen Provinz Niniveh: die “Abschussliste” des Kalifats. Saudi-Arabien, Iran, Ägypten, Türkei, Syrien inkl. FSA, und so weiter und so fort, aber ein Nahost-Staat fehlt auffallend, wie auch der “Große Satan” USA. (via @ajaltamimi)

Denn wenn man bedenkt, dass die mörderisch aufgepeppelten Terrorbrigaden des “Islamischen Staats”, wie einst die Jungpioniere, sogleich auf den Ruf der Partei der US-amerikanischen Geheimdienstcommunity reagiert haben und diese durch ihre Drohung gegen Russland schon auf taktischer Ebene artikulieren, kann man wohl davon ausgehen, dass das strategische Konzept dahinter bereits ausgearbeitet ist und selbst eine militärische Niederlage der Kiewer Junta, die sich noch direkt vor dem Waffenstillstand abzeichnete, Russland keine politischen Resultate im Sinne von Stabilität an seinen Grenzen bringen wird. Der sogenannte “Islamische Staat” ist kein Pulk von Freizeit-Terroristen; es handelt sich vielmehr um die wohl größte Terrororganisation, die nicht nur mit fast allen erdenklichen Mitteln ausgestattet, sondern auch in der Lage dazu ist, größere Militäroperationen zu planen und in die Tat umzusetzen. Im Gegensatz zur “Al-Kaida” manifestiert sie sich auf einem konkreten Gebiet, aber im Gegensatz zum Beispiel zu den Taliban besteht keine Hoffnung darauf, dass sie irgendwie an dieses Gebiet gekoppelt bleibt: das ganze Wesen des “Islamischen Staates” ist expansionistisch. Wenn man von einem steinzeitlichen Kult, der an einen Islam in dessen kriegerischster Ausfertigung erinnert, einmal absieht, existiert keinerlei Konzept einer friedlichen Existenz – alles, was an Ideologie dahinter ist, baut auf Eroberung, Aneignung, Ausrottung und Expansion. Die primitivste Form von Existenz also, und gerade dadurch vielleicht der “kleinste gemeinsame Nenner” für allerlei tierische Instinkte, unter dessen Fahne man maximale Menschenmassen mobilisieren kann. Schon das allein macht die ständigen Ausfälle, die Beutezüge und die permanente Expansion unvermeidbar – es müssen schließlich neue Ressourcen her. Ein Innehalten würde für dieses Existenzmodell den Untergang bedeuten.

Ein vom “Islamischen Staat” ausgehändigter Strafzettel wegen Verstoßes gegen die StVO; Quelle: @jenanmoussa

Die USA als eine der Kräfte, die hinter der Schaffung des “Islamischen Staates” stehen, sind sich natürlich vollkommen im Klaren über diese gefräßige Eigenart ihres Geschöpfs, und wissen sie auch “anzuwenden”, indem sie die Richtung dieser Gefräßigkeit steuern. Dabei wäre ein lokaler “Sieg über die ISIS” – vielleicht jetzt in einigen Ortschaften im Irak, oder – deutlicher – Ende des vorigen / Anfang diesen Jahres in Syrien – vollkommen bedeutungslos, denn selbst wenn es gelingt, den Beutezug in einer Gegend abzuwehren oder zu vereiteln, würde das keinerlei Effekt auf die Stabilität dieser Chimäre haben. Der “Islamische Staat” besitzt keine Industrie, keine Infrastruktur, keinerlei politische Zentrale; es ist ein primitiver und dadurch quasi unzerstörbarer Organismus, und das ist fast wie im alten Epos – schlägt man dem Kraken eine Tentakel ab, interessiert ihn das nicht im Geringsten. Die Bombardements, welche jetzt von den Amerikanern und bald wohl auch von den Briten unternommen werden, sind überhaupt nicht in der Lage dazu, die Lebensfähigkeit eines solchen Organismus zu beeinträchtigen. Und das sollen sie auch nicht. Sie sollen ihn vielmehr lenken, in etwa so, wie man im Wasser eine giftige Riesenqualle mit Wellenschlägen in eine bestimmte Richtung treibt.

Zurück zum Lokalen: in Anbetracht all dessen sollte man vielleicht ein Auge auf die Türkei haben. Sie liegt zwischen den beiden Konfliktherden, die in Friedmans theoretischen Ausarbeitungen zu einem großen Herd zu verschmelzen sind, der nicht nur Russland, sondern ganz natürlich auch den Iran mit permanenter Instabilität heimsuchen soll, und das nie, ohne den “Endgegner” – China, das vitale Interessen in der Region hat – aus den Augen zu verlieren. Dabei ist es nicht einmal so wichtig, welches Projekt – IS(IS) oder “Kurdistan”, oder beide – letztlich zum Mittel der Wahl wird, mit dessen Stoßkraft die bestehenden Staatsgrenzen zerfallen sollen; je nach Erfolg oder je nach Einsatzgebiet. Derzeit haben die beiden Projekte offenbar noch verschiedene Primärziele: der “Islamische Staat” ist als Geißel für den Irak, für Syrien, den Iran und Russland gedacht, Kurdistan als eine für die Türkei.

Es wurde nicht nur einmal von vollkommen verschiedenen Stellen angemerkt, dass die Angelsachsen “globale Billardspieler” sind und ihre Einsätze auf viele verschiedene Projekte verteilen. Kaum vorstellbar, was man dem entgegenstellen könnte; mindestens bedarf es der Schaffung regionaler Sicherheitssysteme, solcher, wie Putin einst eines (anstelle von “Raketenschilden”) ins Spiel gebracht hatte. Nur ist dafür schwerlich noch die Zeit, und solche Länder, die aufgrund der geschilderten, enormen Bedrohung ganz objektiv zu Alliierten werden müssen – Russland, der Iran, die Türkei, Syrien – haben untereinander immer noch genug an Widersprüchen, die eine schnelle, konsolidierte Reaktion schwer vorstellbar erscheinen lassen.

Wohlsein, Herr Präsident.