Odessa. Ein Jahr später

02.05.2015, 08:49 jones2thebones Blog ukraine

Liebe Leser,

am heutigen Tage, dem 2. Mai 2015, jährt sich das Massaker in Odessa zum ersten Mal, welches im folgenden Video schön zusammengefasst ist:

Wir erinnern uns: Antimaidan-Aktivisten hatten im Kulikowo-Park vor dem Gebäude ein Zeltlager aufgestellt, demonstrierten (im Gegensatz zum Euromaidan) friedlich für eine Föderalisierung der Ukraine und gegen die in Kiew (was Fakt ist) durch einen Putsch an die Macht gekommene Junta.

Zum Thema, einschließlich der grausamen Details, ist eigentlich alles gesagt worden.

Die Unklarheiten zu diesem Ereignis, seines Ablaufes und seiner Akteure, sind minimal, die Beweislast gegenüber dem Mob, der den von Oligarchen kontrollierten Fußballklubs und dem Euromaidan treu ergeben war, erdrückend, und die Involvierung hochrangiger Mitglieder des neuen Regimes (beispielsweise Andrej Parubij, der sich am gleichen Tag in der Stadt aufhielt) ebenso wahrscheinlich wie die Vermutung, dass das Massaker vorab geplant war, denn woher hätte der Mob auf die Schnelle sich die Waffen und das Benzin besorgen sollen, wäre es lediglich eine bedauernswerte Eskalation eines Zusammenstoßes von entgegengesetzten Demonstranten gewesen, wie seitdem behauptet wird?

Das Verhalten zweier Akteure nach diesem Massaker verdient eine besondere Erwähnung:

Die Junta und der ihr unterstellte Sicherheitsapparat kehrte Täter- und Opferrollen um. Jene Polizeieinheiten, die sich sehr zaghaft am Anfang der Katastrophe sich dem Euromob in den Weg gestellt hatten, wurden dafür scharf angegriffen und verfolgt, ebenso über hundert der Antimaidananhänger, die es geschafft hatten, das Massaker zu überleben, und daraufhin eingesperrt wurden.

Der westliche Medienapparat wiederum stellte sich, wie von der Anstalt vorbildlich persifliert, der Junta treu zur Seite.

Hat man sowohl zuvor, als auch danach nie gezögert, mit Leichenfledderei Hetze gegen „Separatisten“ und anderes Untermenschentum zu betreiben (z.B. bei MH17), so lautete die Schlagzeile beispielsweise bei der Tagesschau so:

„In Odessa sind bei Zusammenstößen zwischen pro-russischen Aktivisten und Regierungsanhängern mindestens 46 Menschen ums Leben gekommen.“

Wobei die Täter- und Opferrollen zwar offengelassen werden, durch die Erstnennung der „pro-russischen Aktivisten“ deren Täterschaft insinuiert wird.

Hanlons Rasiermesser („Never attribute to malice that which can be adequately explained by stupidity.“) findet in der westlichen Berichterstattung zur Ukraine ebenso wenig Anwendung wie zu vielen anderen außenpolitischen Themen, denn das Muster ist eindeutig, selbst wenn einzelne Patzer angeblich ein Versehen waren.

Die Kriegstreiberei mit Bezug auf den Abschuss der MH17 oder dem Chemiewaffenangriff wurde betrieben, obschon, für alle deutlich erkennbar, die Täterschaft nicht eindeutig feststand oder feststeht. Als also beim Massaker von Odessa mit seiner eindeutigen Täterschaft außer einer bloßen Zurkenntnisnahme jegliche Reaktion ausblieb, so war das eine bewusste Wahl. Sollte den verantwortlichen Redakteuren die Täterschaft wirklich unbekannt sein, was aufgrund des äußerst geringen Rechercheaufwandes unwahrscheinlich erscheint, so wäre dies wieder eine bewusste Wahl (plausible deniability).

Auf die Spitze getrieben kann deshalb behauptet werden, dass der westliche Medienapparat mindestens das Massaker deckt, wenn nicht sogar es gutheißt, und durch ihre Deckung einen Teil der moralischen Verantwortung trägt.

Das Gewerkschaftshaus in Odessa wurde am 02. Mai 2015, dem Jahrestag des Massakers, von bewaffneten Einheiten abgeriegelt.

Wie dem auch sei: Es sollte an diesem Jahrestag eher um die Totenandacht denn um (ob begründet oder nicht) politisches Agitieren gehen, alles andere wäre pietätslos.

Es ruft aber auch schmerzlich in Erinnerung, dass die Verantwortlichen nicht nur noch nicht gefasst wurden, sondern immer noch die Macht halten. Massaker wie das bei Ghouta und möglicherweise die MH17 hatten ja eben ihre mediale Ausnutzung zum Ziel. Das Massaker von Odessa wiederum stellt in der ukrainischen Geschichte eine weitere Zäsur dar und hat die Spaltung des Landes vertieft. Die Ukraine markiert diesen Jahrestag übrigens dadurch, dass sie weitere 3.000 Polizisten nach Odessa verlegt hat.