Verschiedene Meldungen übermitteln einen Aufruf des Premier- und Außenministers des Katar in Personalunion, Scheich Hamad ben Dschasim al-Thani, der syrische Präsident möge “einen mutigen Schritt zur Beendigung des Blutvergießens” unternehmen; mit dieser “bold decision” ist zweifellos ein Rücktritt und sicher auch das Exil, etc. pp., gemeint. Dabei wird gleichzeitig auch seine Einschätzung wiedergegeben, die Arabische Liga sei bezüglich der Krise in Syrien “nicht machtlos”, habe aber sicher “nicht alles getan, was hätte getan werden müssen”. Zum Aufruf der Arabischen Liga, Assad möge bis 2014 sein Amt niederlegen, es solle eine “Übergangsregierung” gebildet, eine neue Verfassung vorbereitet und “allgemeine Wahlen” durchgeführt werden, rudert der Scheich damit de facto auch zurück. Oder zu den Tagesordnungspunkten der “demokratischen Initiative” seines Emirs vom Mai 2012.

Das klingt so ganz und gar anders als beispielsweise der Auftritt des Emirs vor der UN-Vollversammlung im September, in dem die “arabischen Länder” dazu aufgerufen wurden, ein “Friedenskontingent” nach libanesischem Muster – also eine Interventionsmacht – nach Syrien zu kommandieren. Und überhaupt waren aus dem Katar fortwährend Töne erklungen, die einen militärischen Angriff auf Syrien forderten.

Nun redet also einer der Hauptsponsoren des Terrorismus in Syrien von diplomatischen und politischen Mitteln der Konfliktbeilegung einschließlich eines Gutheißens dessen, was auch immer die bevorstehenden Gespräche zwischen Russland, der USA und Brahimi ergeben mögen. Möglicherweise scheint damit eingeräumt zu sein, dass ein gewaltsames “Regime Change” nicht funktioniert hat. In jedem Fall halten alle am Konflikt direkt oder indirekt Beteiligten scheinbar gerade die Luft an und warten auf dieses Treffen.

Das bedeutet wiederum nicht, dass Katar sein Scheitern zugibt, man muss sich allerdings den aktuellen Entwicklungen anpassen, welche momentan gegen die ursprünglichen Pläne sprechen. Sollte aus dem bevorstehenden Treffen USA – Russland – Brahimi zu Syrien etwa verpflichtender Kurs auf eine politische und diplomatische Beilegung genommen werden, so wären die arabischen Monarchien gezwungen, ihre massive militärische und finanzielle Unterstützung der Rebellenbanden einzustellen und sich aufs Schachern zu verlegen. Tatsächlich braucht das ziemlich gebeutelte und leidlich zerstörte Syrien eine Menge an Sofortmaßnahmen, Ressourcen, Unterstützung. Die Golfstaaten könnten sich da glatt ausmalen, solche Hilfe zu leisten, wie KUNA den guten Scheich Hamad ben Dschasim zitiert – im Austausch für bestimmte Präferenzen, die den Scheichs bedeutsam wären.

In diesem Zusammenhang erschien bei der russischen “Vzglyad” (Untertitel des Mediums: “Business-Zeitung”) ein recht interessanter Artikel, der hier auch relativ ungekürzt wiedergegeben werden soll. Interessant auch hinsichtlich der hier noch weiterzuführenden “Option Persien”.

Schlauer und eleganter

Der neue US-Verteidigungsminister, der neue CIA-Chef und der neue US-Außenamtschef müssen den Prozess ihrer Bestätigung im neuen Amt noch durchlaufen, aber die Chance, dass die Designierten letztlich auf diesen Posten bestätigt werden, ist doch groß. Bemerkenswert sind dabei alle drei Kandidaten.

Die Troika Clinton – Petraeus – Panetta war eine Mannschaft von Falken, die in den zurückliegenden vier Jahren eine maximal aggressive US-Außenpolitik gefahren hat, welche teilweise an den Rand des Scheiterns geriet. Die Hauptschlagkraft und das Instrument dieser Politik waren Al-Kaida-Einheiten und weitere, dieser nahestehende terroristische Strukturen. Die nun neue Troika Kerry – Hagel – Brennan besteht natürlich auch nicht aus Friedfischen, allerdings haben der künftige US-Außenminister John Kerry und Verteidigungsminister Chuck Hagel nicht gerade triviale Ansichten über die Beziehungen zum Iran; der künftige Nachrichtendienstchef John Brennan ist Profi und Experte für den Nahen Osten, hat beste Beziehungen in Saudi-Arabien und kennt die inneren Verhältnisse des Königreichs wie kein anderer.

Es ist wahrscheinlich, dass die Politik Clintons und ihrer Mannschaft entweder als zum Scheitern verurteilt, oder aber als ausgeschöfpft eingestuft wird. Anstelle einer Sicht auf die Lage, welche nur eine Variante zuläßt, kommt Variabilität ins Spiel. Für die USA liegt der Sinn des “Arabischen Frühlings” im Aufbrechen und Hinfortfegen des bestehenden Status quo in Nahost. Etwas derartiges war ohnehin in den postkolonial vorgenommenen Grenzziehungen begründet, welche niemanden in der Region zufrieden stellen. Jedes Land hat dabei eigene Ansichten von einer gerechten Verteilung der Gebiete. Wie die Ereignisse sich letztlich wenden werden ist nicht so ganz eindeutig – nicht einmal für die Macher und Technologen hinter dem “Arabischen Frühling”. Schon Libyen zwang zu einer Änderung der Taktik, Syrien nun wohl gar zu einer Änderung der Strategie.

Augenscheinlich ist es nicht gelungen, Syrien militärisch zu brechen. Die Rede des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad in der Damaszener Oper zeichnet eine gewisse Linie: die syrische Regierung ist selbstbewußt und ist dazu in der Lage, ihre Bedingungen zu diktieren. Sie ist nicht nur in der Lage dazu, sondern hat auch noch alles Recht, diese zu diktieren. Die Zerschlagung der Söldnerhorden, die Anfang Dezember zum Sturm auf Damaskus ansetzten, ist ein unbestreitbarer Fakt. Die Armee hat praktisch erstmals seit Beginn des Kriegs die Rebellenbanden nicht einfach nur aus den besetzten Stadtgebieten vertrieben, sondern sie dort blockiert und bis auf den letzten Mann vernichtet. Dabei lassen die Live-Übertragungen aus Daraja, Harasta, Dscharamuna u.a. keine Illusionen mehr – von 10 getöteten Rebellen sind 8 bis 9 ausländische Söldner. Saudis, Türken, Libyer, Libanesen, Pakistanis, Afghanen, Leute aus dem russischen Kaukasus, exotische Uiguren, Australier und selbst Neger, die noch keine Greise sind (Anspielung auf das Gedicht von Wladimir Majakowski “An unsere Jugend”: “…Und wär’ ich ein Neger, und wär’ ich ein Greis, und wär’ meine Kraft schon gebrochen, die russische Sprache erlernt’ ich mit Fleiß, weil Lenin einst russisch gesprochen.” – apxwn).

Ein Japaner unter Banditen in Aleppo.

Der “Bürgerkrieg” ist zu einem Mythos geworden – in Syrien operieren transnationale Banden, die keine Unterstützung im Volk haben und eine solche auch gar nicht haben können. Schon allein deshalb ist es nicht gelungen, den Krieg nach “libyscher Vorlage” zu gestalten, deswegen wird sich das Resultat dieses Kriegs auch höchstwahrscheinlich von dem des Kriegs in Libyen unterscheiden. Aus diesem Gründen tritt ein Problem vor die US-Eliten. Und zwar das Problem der Unmöglichkeit, eine Außenpolitik Marke Hillary Clinton so weiter zu verfolgen.Dieses Problem nun gehen die Vereinigten Staaten elegant und ganz im angelsächsischen Stil an – sie beabsichtigen, in jeder denkbaren Konstellation ihren Nutzen daraus zu ziehen. Und so kommt es denn zu bezeichnenden Änderungen.

Einerseits erklärt der Iran plötzlich den Beginn des Baus einer Erdgaspipeline mit einer Kapazität von 40 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr (zum Vergleich: die Kapazität der beiden Stränge des “Nord Stream” von Gazprom beträgt 55 Milliarden Kubikmeter), die sich in Richtung des syrischen Baniyas erstreckt und in der Perspektive einen Anschluss an das türkische Pipelinesystem und damit eines Weitertransportes dieses Erdgases Richtung Europa ermöglicht. Schwerlich kann eine solche Entscheidung zu Hochzeiten der militärischen Auseinandersetzungen in Syrien ohne eine Absprache mit den USA unternommen worden sein, und bezeichnenderweise war es ebenfalls im November, als erstmals die Meldungen von den Direktgesprächen zwischen der USA und dem Iran aufkamen.

Andererseits investiert Katar auf einmal Unsummen – insgesamt 23 Milliarden US-Dollar – in Ägypten. Dabei sind die Bereiche, in denen investiert wird, besonders interessant – das ist Nordafrikas größter Hafen Port Said, in Nordägypten sollen gigantische Industriezonen mit Hilfe dieser Investitionen entstehen, darunter auch Betriebe zur Verflüssigung von Erdgas. Jedwede Bewegung um den Suezkanal herum muss unvermeidlich mit den USA abgestimmt worden sein, denn dies ist ein Gebiet von lebenswichtigem Interesse für sie, und sie werden schlechterdings nicht irgendwelche souveränen und unabhängigen Entscheidungen über diesen Knotenpunkt dulden und zulassen.

Faktisch setzt Amerika damit gleich auf zwei Pferde: den Iran und Katar. Auf zwei untereinander konkurrierende Staaten mit jeweils einem Führungsanspruch in der Region. Im Grunde des jeweiligen Führungsanspruchs liegt aber eines, nämlich Erdgas. Erdgas in Richtung Europa, was wiederum Russland und insbesondere Gazprom natürlich gar nicht gefällt. Welches dieser beiden Projekte letztlich die Oberhand gewinnt, ist natürlich unklar. Der Iran hat ein enormes technologisches und industrielles Potential zur Verfügung, welches in Nahost seinesgleichen sucht. Katar besitzt zwei außerordentlich wichtige Ressourcen, nämlich Finanzen und Medienmacht. Sowohl die Milliarden an Dollar als auch Al-Dschasira haben bereits ihre zerstörerische Macht in den Ereignissen des “Arabischen Frühlings” unter Beweis stellen können.

Der Iran trägt nun allerdings an harten Einschränkungen in Form der Sanktionen sowie der nie enden wollenden Beschuldigungen, sein Atomprogramm habe eine militärische Komponente, und dazu das an der Kette zerrende Israel, welches sich darum reißt, den Iran zu zerbomben oder es wenigstens zu versuchen. Gegen Katar sprechen die geradezu lächerlichen Dimensionen des Emirats sowie ein doch recht unfreundliches Verhältnis der halben Elite des Landes zu Emir al-Thani, der sich mehr oder minder permanent in der Gefahr befindet, gestürzt zu werden. (Die jüngste Ente – welche damit durchaus eine wiederholte Warnung an den Emir sein kann, die dritte innerhalb von zwei Jahren – über einen Putsch im Katar ist gerade einmal eine Woche alt. -apxwn)

Es ist die klassische Situation – Peitsche und Zuckerbrot für alle Beteiligten. Und dabei eine Möglichkeit, die Prozesse insgesamt zu steuern – mag sein, dass sie indirekt und auch nicht sehr effizient ist. Andere haben nicht einmal solche Möglichkeiten. Die Vereinigten Staaten von Amerika begeben sich in eine neue Runde des Kampfes um den Nahen Osten, nur werden sie diesmal schlauer und eleganter handeln. Indem sie ihre Einsätze nicht auf nur einem möglichen Sieger platzieren, sondern ihre Eier gleichermaßen in mehrere Körbe legen. Egal, wer gewinnt – die Interessen der Vereinigten Staaten werden damit gewahrt sein.

Quelle: VZ.ru

Damaskus am 9. Januar 2013