Die Nachricht von der Visite des ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch in den Katar konnte man durchaus erwarten – noch im Mai diesen Jahres gab es Absprachen über den gegenseitigen Handel zwischen den beiden Ländern. Die Ukraine, “Kornkammer Europas”, liefert Katar Getreide im Austausch für verflüssigtes Erdgas. Die Türkei, von welcher der Transit des Erdgases durch den Bosporus abhängt, hatte zwischenzeitlich das Zustandekommen des Geschäfts ausgebremst. Angesichts des Treffens auf höchster Ebene in Doha sind diese Probleme nun wohl ausgeräumt. Dieses Geschäft könnte in absehbarer Zeit die Situation auf dem europäischen Erdgasmarkt signifikant und nachhaltig verändern.

Momentan geht es noch darum, dass die Ukraine nach der Errichtung eines Regasifikationsterminals in Odessa Erdgas für den inländischen Verbrauch bekommt. Auf diese Weise wird die Ukraine wesentlich unabhängiger von Gazprom (aktuelle Zahlen, wie der ukrainische Import aus Russland schwankt, hier bei RT). Doch zu wirklichen Problemen für Russland kommt es noch ein wenig später. Das alte und labile, aber dennoch recht gut laufende Erdgastransportnetz der Ukraine ist darauf ausgerichtet, Erdgas in Richtung Europa – im Sinne von: nach Westen – zu liefern, und diese Infrastruktur ist der Leckerbissen, auf den der Emir einfach abzielen muss. Und man kann kaum daran zweifeln, dass die zweite Stufe der Beziehungen zwischen der Ukraine und Katar Vereinbarungen zu diesen Pipelines beinhalten werden.

Kommt der Katar mit seinem Erdgas in dieses Netz, bekommt er Zugriff auf die Erdgaspipelines Osteuropas, von dort dann auch schon nach Deutschland. Die Politik der Dumpingpreise verspricht dem Katar eine weitere Erhöhung des Marktanteils in Europa – auf wessen Kosten, das ist klar. Dass Deutschland und der Rest Europas mittels der niedrigeren Preise für Erdgas aus dem Katar Druck auf Gazprom ausüben werden, ergibt sich fast von selbst.

Unter solchen Voraussetzungen wird der Bau der “South Stream”-Pipeline problematisch. Selbst wenn Russland es schafft, diese zusätzlichen Kapazitäten mit seinem Erdgas zu füllen, stößt es am anderen Ende der Pipeline mit der EU-Energiecharta zusammen, welche vorschreibt, dass der Exporteur des Rohstoffs und der Besitzer der Transportsysteme verschiedene Entitäten sind, bzw. der Besitz der Rohre “divesifiziert” wird. Damit, und mit konkurrierendem Erdgas aus Katar. Über die Ukraine wären die Fahrwege für die riesigen LNG-Frachter des Katar wesentlich kürzer als bis an die Häfen Westeuropas. Mehr Fahrten, mehr preiswerteres Erdgas aus North Dome (South Pars). Wann auf diese Weise das “South Stream”-Projekt schwarze Zahlen schreiben soll, steht in den Sternen.

Noch vorteilhafter ist für Katar dabei die Türkei als dritte, stille Partei in diesem Handel. Momentan bezieht die Türkei Erdgas noch aus dem Iran und Transkaukasien. Durch das OK zum Transport des katarischen Erdgases durch die Meerengen kann Katar Erdgas ebenso gut auch auf den türkischen Markt werfen und damit zum iranischen Angebot in Konkurrenz treten. Die schwere Lage des unter einer Wirtschaftsblockade stehenden Iran schränkt seine Handlungsfreiheit in einem Preiskrieg gegen den Emir wesentlich ein.

In dieser Lage wird der Sieg im Krieg um Syrien für Al Thani immens wichtig. Durch seinen Einfluß in der in Doha zusammengebauten “einzig legitimen syrischen Regierung” hätte er mittelbar ein Wörtchen auf syrischem Territorium mitzureden und könnte den Bau der iranisch-irakisch-syrischen Erdgaspipeline (“Islamic Stream”) blockieren (diese soll Erdgas aus de facto dem gleichen Vorkommen South Pars transportieren, das sich Iran und Katar territorial teilen). Gleiches gilt für die “Arabische Erdgas-Pipeline” aus Ägypten nach Baniyas. Beziehungsweise könnte der Emir sich relevante Anteile an diesen Projekten sichern. Dazu noch gibt es die Variante des Aufbaus einer eigenen, rein katarischen Leitung, welche damit die Straße von Hormus für den Katar irrelevant werden läßt. Es ist also keine Frage, warum der Emir Syrien zerstören will – er wäre bei jeder dieser Varianten der große Gewinner.

Durch den Bau des “North Stream” haben die Gazprom-Strategen, wohl auch Gerhard Schröder, kein Augenmerk darauf gelegt, dass die Ukraine versuchen wird, sich aus der für sie eingetretenen Verliererlage als kaum noch benötigtes Transitland herauszuwinden und dass dies so elegant zu gelingen scheint, während das für Gazprom natürlich katastrophal ist. Eine Niederlage nach der anderen für diesen im wahrsten Sinne des Wortes staatstragenden Konzern.