Nach relativ langem Zögern nach den Ereignissen in Al-Hula äußern die Russen offiziell ihre Position zur aktuellen Entwicklung in Syrien. Dabei scheinen Befürchtungen, es habe bereits einen „Deal“ mit dem Westen gegeben, nicht zuzutreffen.

Endlich hat sich das russische Außenministerium ein Statement zur jüngsten Entwicklung in Syrien abgerungen. Im Kommentar des offiziellen Vertreters des Außenministeriums der RF Alexander Lukaschewitsch schließt sich letzteres der syrischen Einschätzung der in Al-Hula / Taldou vorgekommenen Zwischenfälle mit dem Massaker an Zivilisten an.

Sicher, es wird recht diplomatisch hinzugefügt, dass Moskau auf die „Resultate der Untersuchung der UN-Beobachtermission in Syrien“ erwartet, aber dem Sinn des Statements nach wird klar, dass die Russen sich zu dieser Sache damit bereits offiziell positioniert haben. (Das komplette Statement findet sich am Ende dieses Eintrags.) Und diese Position beinhaltet eben die Einschätzung, dass das Verbrechen von Al-Hula  „eine sorgfältig geplante Aktion von bewaffneten Rebellen“ gewesen ist.

Einerseits ist es natürlich gut, dass von russischer Seite endlich einmal Klartext geredet wird. Eine Schwäche ist dabei aber, dass das russische Außenministerium und damit Russland sich in einer Frage, die für Russland direkt mehr als relevant ist, nur und ausschließlich auf die Einschätzung der syrischen Regierung stützen oder offiziell zu stützen scheinen. Russland unterhält in Damaskus eine Botschaft, in deren Kompetenz es auch fällt, die Situation im Lande zu beurteilen und Moskau diesbezüglich ständig auf Draht zu halten. Es gibt zwischen Russland und Syrien eine Kooperation auf Militär- und Geheimdienstebene und in anderen behördlichen und geschäftlichen Kanälen. Im Grunde ist es so, dass die russische Regierung in der Lage sein müsste, die Lage aus mehreren unabhängigen Quellen einschätzen zu können und diese Einschätzung zur Grundlage von politischen Entscheidungen zu machen. Im Statement ist aber nur die Rede vom Bericht der syrischen Regierung.

Die fast eine Woche dauernde Verzögerung eines solchen Statements kann nicht einfach nur mit der diplomatischen Etikette erklärt werden – also nach dem Motto, Moskau kann seine Meinung nicht offiziell äußern, bevor es die syrische Regierung selbst getan hat. Formal ist das zwar so. Allerdings war doch sofort zu erkennen, wie der Medienangriff des Westens auf Syrien viel zu gut mit den schrecklichen Ereignissen in Al-Hula und Taldou koordiniert gewesen ist. Auch deren Fortsetzung in Deir-az-Zur und gestern in Al-Buwaida-asch-Scharkija sind ganz offensichtlich Teile ein und desselben Plans. Sowohl das russische Außenministerium, als auch Aufklärung und Militär hätten die Lage einschätzen können und sofort Empfehlungen geben müssen.

Die Kampagne nach dem Massaker hat sich praktisch sofort und ohne Ankündigung in ein äußerst besorgniserregendes Stadium katapultiert, so dass Russland spätestens nach zwei Tagen klare Worte zu seiner Position hätte finden müssen.

Vielleicht spielte das Treffen zwischen Putin und Merkel am Freitag eine Rolle. Das soll nicht heißen, dass Putin sie um Erlaubnis gefragt hat, sondern dass er ihr gegenüber seine Position klargemacht und danach damit an die Weltöffentlichkeit getreten ist (bzw. das Außenministerium hat treten lassen). Wenn das so ist, so werden die russischen Statements künftig schätzungsweise schneller und entschiedener kommen.

Übrigens, Fradkow – Chef des russischen Auslandsgeheimdienstes und Mitglied im Sicherheitsrat der RF – fliegt dieser Tage wieder nach Syrien. Man darf gespannt sein.

Hierunter das komplette – in mancherlei Passagen sicher lesenswerte – Statement des russischen Außenministeriums vom 1. Juni 2012. Quelle: Internetseite des Außenministeriums. Übersetzung: apxwn.

Kommentar des offiziellen Vertreters des Außenministeriums der Russischen Föderation Alexander Lukaschewitsch im Zusammenhang mit Syrien und der Situation um dieses Land

1094-01-06-2012

Innerhalb der letzten Tage ist es zu einer enormen Verschärfung der Situation in und um Syrien gekommen. Für Zündstoff sorgte die Tragödie vom 25. Mai d.J. im Dorf Al-Hula, in deren Folge mehr als hundert friedliche Zivilisten umgekommen sind, darunter 49 Kinder. Es wurden mehrere syrische Großfamilien praktisch ausgerottet. Wie bekannt ist, hat der UN-Sicherheitsrat dieses Verbrechen kurz nach dem Geschehen in schärfster Weise verurteilt. 

Die Ergebnisse der Untersuchung von Seiten der syrischen Regierung, welche am 31. Mai d.J. publik gemacht wurden, zeugen davon, dass dieses Verbrechen eine sorgfältig geplante Aktion von bewaffneten Rebellen gewesen ist, die zum Ziel hatte, die Bemühungen um eine politische Beilegung der syrischen Krise zu durchkreuzen sowie die Situation in Syrien in eine weitere Spirale blutiger Gewalt zu stürzen. In Moskau, wo die Gewalt gegen friedliche Zivilisten entschieden und bedingungslos verurteilt wird, erwartet man die Resultate der Untersuchung der UN-Beobachtermission in Syrien in Entsprechung mit dem Mandat des UN-Sicherheitsrats. 

Ohne Kommentar unsererseits bleiben Versuche, den Tod von Kindern und unschuldigen Menschen zu politischen Zwecken zu missbrauchen, um so zum verwerflichen Algorithmus des „libyschen Szenarios“ zurückzukehren. Es wird in diesem Zuge unter anderem angeboten, die in Syrien offenkundig zutage getretene Gefahr eines Bürgerkriegs mit konfessionellem Hintergrund durch die Androhung einer ausländischen Militärintervention zu bekämpfen und damit die verfeindeten syrischen Parteien zu einer weiteren verschärften und unversöhnlichen Konfrontation zu treiben. Es wird dabei angedeutet, eine für die negative Entwicklung der Ereignisse „Schuldige“ Seite sei Russland, dessen Politik angeblich die Bildung einer einheitlichen internationalen Koalition erschwere und so das Entfachen eines Bürgerkriegs begünstige. Es steht zu bezweifeln, dass eine solche Herangehensweise gute Ergebnisse hervorbringen wird. 

Wir haben schon mehrfach auf die reellen Gründe dafür hingewiesen, die eine negative Wirkung auf die Umsetzung des Plans von Kofi Annan zu Syrien haben. Das ist in erster Linie die fehlende Bereitschaft mancher führender internationaler und regionaler Parteien, in der syrischen Frage in Entsprechung mit einer Logik der friedlichen Beilegung zu handeln. Wie wir sehen, wird der Vorzug nach wie vor der eigenen Agenda gegeben, deren Schwerpunkt nach wie vor in einem Wechsel der Regierung in Damaskus liegt. Die Tragödie von Al-Hula hat gezeigt, wozu eine finanzielle Unterstützung und der Schmuggel moderner Waffensysteme an die bewaffneten Rebellen, das Anwerben ausländischer Söldner und das Liebäugeln mit Extremisten verschiedener Couleur führen können. 

In Moskau wird die Meinung vertreten, dass ungeachtet dessen weiterhin Chancen bestehen, eine friedliche Beilegung im Rahmen des vom UN-Sicherheitsrat verabschiedeten Plans von Kofi Annan zu erreichen. Diese Chancen müssen genutzt werden. Russland ist seinerseits bereit, sich weiterhin aktiv an der Suche nach Möglichkeiten zu beteiligen, eine gemeinsame Unterstützung für die Lösung der syrischen Krise auf Basis der bestehenden gemeinsamen Grundlagen zu leisten.