1. Was hat Russland von der Unterstützung Syriens?

Der Konflikt in Syrien nimmt inzwischen eine Entwicklung an, die man mit der Situation in Spanien in den 1930er Jahren vergleichen kann. Das heißt, genau in diesem Konflikt formieren sich die Koalitionen für den nächsten bevorstehenden Weltkrieg. Das bedeutet nicht, dass der nächste Weltkrieg analog zu den vergangenen beiden abläuft – es gibt hier ein vollkommen anderes Szenario in den militärischen Verhältnissen und die vollkommen anderen militärisch-technischen Voraussetzungen machen eine Wiederholung der alten Szenarien mit ihren Panzerkeilen, dem „Blitzkrieg“, der Belagerung von Städten wie Leningrad oder Stalingrad praktisch unmöglich. Doch alles in allem ist die Wiederholung symptomatisch – Syrien ist durchaus ein Trainings- und Ausbildungsszenario für die Teilnehmer der kommenden Auseinandersetzungen.

Allem Anschein nach werden auf der einen Seite Russland, der Iran, Pakistan und China koalieren, auf der Gegenseite – die USA, eine europäische Dreiergruppe aus Deutschland, Großbritannien und Frankreich – Deutschland dabei natürlich auf den hintersten Rängen -, sowie Indien als definitiver Feind von China und Pakistan.

Faktisch stellen diese Länder ungefähr 80% des weltweiten BIP und ungefähr 60% der Humanressourcen dar, so dass man die Bezeichnung „Weltkrieg“ für einen Konflikt mit diesen Beteiligten durchaus als zulässig zu bezeichnen hat.

Der Sinn eines jeden Weltkriegs ist die Herausbildung einer neuen Weltordnung. Die alte ist bereits zusammengebrochen, deshalb wird eine neue nötig. Dabei ist es charakteristisch, dass die alten Konfliktlösungsmechanismen schon seit geraumer Zeit niemanden mehr zufrieden stellen. Allerdings ist dabei die Koalition des Westens, militärisch gesehen, stärker, und sie ist es ja auch, welche man deutlich als den Initiator der Abschaffung der „alten“ Mechanismen zu bezeichnen hat – in erster Linie ist das die UNO als ein solcher Mechanismus. Die Koalition mit Russland besteht momentan noch auf dem Funktionieren dieser Mechanismen, solange sie, militärisch gesehen, eben schwächer ist. Momentan ist dort der Zusammenbruch der UNO noch nicht von Vorteil – und deshalb hält man sich an die durch sie gebotenen Möglichkeiten.

Im Falle dessen, dass die Koalition des Westens den Konflikt in Syrien für sich entscheidet, wird sie sich de facto von der UN als Institution verabschieden. Im Falle dessen, dass die Koalition um Russland die Oberhand behält, wird sie sich für stark genug erachten, um ihrerseits ohne die UNO auszukommen. Deshalb ist das Schicksal der UNO, wie es scheint, so oder so besiegelt.

Entsprechende neue Mechanismen werden entweder nach offensichtlichen Gegebenheiten geschaffen – also in unserem Falle, wenn eine der Seiten offensichtlich stärker ist (das wäre die Koalition des Westens im Falle ihres Siegs in Syrien), oder sie entstehen als Resultat von Kriegen – wenn nämlich die Kräfte der Gegner ungefähr gleich sind, und sie keine Möglichkeit haben, ihre Streitigkeiten nichtmilitärisch und anhand bestehender Institutionen zu lösen.

So oder so wird Russland entweder vor die Tatsache einer neuen Weltordnung gestellt, oder es wird mit darum kämpfen müssen.

Aus genau diesem Grund ist die Unterstützung Syriens für Russland eine Wahl zwischen Krieg und damit der Möglichkeit, an der Heranbildung der künftigen Weltordnung teilzuhaben, oder eben der Niederlage und dem Abdriften auf das weltpolitische Niveau, auf dem sich heute Japan und Deutschland befinden – das heißt, auf das Niveau eines Verliererstaates, der de facto keine selbständigen außenpolitischen Positionen vertreten kann. Im Falle von Russland droht dies, mit der Liquidierung der russischen Atomwaffen und dem Plazieren einer proamerikanischen Regierung im Kreml zu enden. Schätzungsweise ist eine solche Variante gar zu phantastisch – deshalb ist es für Russland einfacher, das Risiko eines Kriegs mit Chance auf Sieg einzugehen oder diesen zu einem unentschiedenen Szenario ausarten zu lassen, als von vornherein klein beizugeben, was, im Falle von Russland, definitiv zum endgültigen Auseinanderbersten des Landes führen würde.

Gegenthese: Den Nachrichten nach zu urteilen, ist der größte Teil der Koalition USA + Israel + Rest in der Region der Strasse von Hormuz konzentriert. Dabei muss man bedenken, dass solche Kreuzfahrten ein teurer Spaß sind. Wie lange kann der Westen diese militärische Konzentration in der Region aufrechterhalten, ohne sie durch einen wirklichen Krieg quasi zu refinanzieren? (Interessant ist diese Frage im Sinne des zeitlichen Rahmens, in welchem wir mit einem neuen „Pearl Harbor“ rechnen dürfen.) – Dabei gibt es kaum nennenswerte Flottenverbände in der Nähe der syrischen Gewässer, wenn man einmal von den türkischen absieht. Ist davon vielleicht abzuleiten, dass Syrien doch eher ein Ablenkungsmanöver von dem reell bevorstehenden Angriff auf den Iran ist? Regelrechtes Interesse an einem Angriff auf Syrien zeigt bisher nur der Katar. Für die Türken ist eher das Kurdenproblem aktuell, was hätten diese also in Syrien verloren?

2. Welchen Vorteil hätte Russland von der Hinauszögerung der Konfrontation im Nahen Osten?

Die Konfrontation im Nahen Osten wird bis zu dem Moment andauern, an dem eines der drei sich aufbauenden Projekte eindeutig dominieren wird. Das sind folgende drei: das Projekt eines neuen osmanischen Reiches, eines persischen Reiches sowie das Projekt eines wahhabitischen Kalifats. Das Zweitgenannte ist höchst fraglich aufgrund der Diskrepanz entlang der sunnitisch-schiitischen Linie, allerdings gibt es trotz alledem eine Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Iran nicht untergeht, und in diesem Falle würde die genannte Diskrepanz auf nichts hinauslaufen. Sollte also der Iran sich also behaupten können, würde das, aller Wahrscheinlichkeit nach, bedeuten, dass die permanenten kriegerischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten bis zur nächsten gesamtmenschlichen Krisensituation fortdauern werden.

Deswegen stellt sich für Russland gar nicht die Frage, ob das Hinauszögern eines Krieges im Nahen Osten von Vorteil sei oder nicht. Es wird einen Krieg geben, der entweder sehr lange währt – und dann muss Russland dessen Existenz einfach akzeptieren, oder der Krieg endet mit dem Fall des Iran, und dieser Fall wäre auch für Russland und die Koalition um Russland eine Niederlage. Dann würde man die Frage nach Vorteil oder Nachteil gar nicht mehr stellen können.

3. Welchen Nachteil hätte Russland davon, sich nicht an diesen Konflikten zu beteiligen?

Russland kann sich an diesen Konflikten nicht mehr „nicht beteiligen“, denn es hat sich schon längst dahinein eingemischt. Russlands Rückzug würde nichts mehr ändern – nach der Zerschlagung Syriens (oder parallel dazu) wäre der Iran an der Reihe, danach Russland. Russland kann seine Niederlage nur auf eine Weise aufhalten, indem es nämlich auf Seiten Syriens und des Irans streitet. Wiederum ist anzumerken, dass es unter den heutigen Gegebenheiten praktisch unmöglich ist, sich den Charakter einer kriegerischen Auseinandersetzung und der Militäraktionen vorzustellen, die in Summa den Krieg ergeben. Schätzungsweise wird ein großer Teil davon aus Sondereinsätzen bestehen, aus größeren Sabotageaktionen und punktuellen, sehr heftigen Zusammenstößen. Der Hauptunterschied zum momentan schon stattfindenden Krieg in Syrien wird die enorme geographische Weite des Szenarios und die Vernetzung aller Operationen untereinander sein.