“Russland bombardiert Rebellen – nicht den IS” (SPON, analog bei der übrigen Quantitätspresse).

Das ist richtig. Zuerst einmal die Fakten:

Wo genau ist das?

Hier (Link zu GMaps).

Wer wurde da gerade ausgeräuchert?

Die “Grünen”:

Allerdings kann man weder den Russen, noch viel weniger den Syrern (von denen die Aufklärungsdaten stammen sollen) einen Vorwurf daraus drehen. Solche #Aufschreie – einschließlich der Meldungen über die heute angeblich durch russische Luftangriffe umgekommenen 6 Kinder (gäbe es diese Opfer nicht, würde SPON trotzdem welche präsentieren – eine solche Gelegenheit kann man ja nicht ungenutzt verstreichen lassen) – haben einen ganz anderen Grund.

Es ist in erster Linie die Konfiguration der Kräfte am Boden, die paradoxerweise die Aussage zulässt, dass der sogenannte “Islamische Staat” für die syrische Regierung derzeit eine weit geringere Gefahr darstellt, als das Konglomerat namens “Islamische Front” (Dschabha al-Islāmiyya, “Rebellen” im SPON-Duktus). Vor allem spiegelt sich das in der momentanen Verteilung und der Aktivität der syrischen Regierungstruppen wieder: ihre größte Konzentration (bis zu 45.000 Mann) haben sie im Norden und in der Landesmitte gegen die verschiedenen Gruppierungen dieser “Islamischen Front” aufgestellt. Um die 15.000 Mann operieren im Süden um Daraa, weitere 10-15 Tausend haben mehr oder weniger unmittelbare Berührung mit den Daesh-Terrorkommandos mit Tadmor/Palmyra als Brennpunkt. Die angegebenen Mannstärken sind ungefähre Gesamtstärken und beinhalten unmittelbar an den Kämpfen beteiligte einschließlich der dazugehörigen Versorgungseinheiten. Viel mehr gibt es einfach nicht, abgesehen vom Umland von Damaskus und (seit dem Sandsturm nichts mehr von dort gehört) Deir ez-Zor mit jeweils Eliteeinheiten der Republikanischen Garde, die dort operieren.

Zusätzlich muss man freilich noch die Kräfte der Hisbollah sowie die überaus inoffiziell vorgehenden Einheiten iranischer Revolutionsgarden berücksichtigen, allerdings ist deren Einsatzschwerpunkt die Grenze zum Libanon, wo sie in erster Linie Säuberungsaktionen und eine Art militärpolizeilichen Dienst versehen.

SU-30. Bild: @mil_ru

Diese Kräfteverteilung lässt eben den Schluss zu, dass es für die syrische Regierung nicht erste Priorität ist, die Halsabschneider vom IS zu bekämpfen – schon allein aus dem Grund, dass weite Teile des noch verfügbaren Militärkontingents anderweitig, insbesondere gegen die Terrorbanden der “Islamischen Front”, gebunden sind. (Dem IS selbst geht es nicht viel anders – solange er mit den Kurden im Norden beschäftigt ist, fehlt der ‘Drive’ gegen die syrische Armee.)

Wenn es also letztlich – ohne russische Bodentruppen, die Kadyrow zwar fodert, Iwanow aber abstreitet – irgendwelche Bewegungen gegen Daesh geben soll, dann muss man folglich der syrischen Regierung die Möglichkeit schaffen, ihre Einheiten freizumachen. Das ginge durch eine Zerschlagung der “Islamischen Front” im Norden Syriens, insbesondere der Provinz Idlib. Eine Entlastung an dieser Stelle könnte um die 20-25 Tausend Mann + deren Technik freimachen, welche daran gehen könnten und sollten, die Achse von Palmyra in Richtung Deir ez-Zor zu bereinigen; Ziel könnte es sein, die Grenze in Richtung Irak wenigstens irgendwie unter Kontrolle zu bekommen, oder zumindest in die Lage versetzt zu werden, dort reagieren zu können.

Hernach könnten die Syrer sich mit den Kurden koordinieren und jeweils am Euphrat entlang in Richtung Raqqa vorgehen. Das sind jetzt natürlich typische Gedankenspiele von Sofastrategen, aber unter Annahme des gesetzten Ziels – der Bekämpfung des “IS” – aus momentaner Sicht plausibel.

Genau aus diesem Grund ist es nicht nur richtig, sondern auch notwendig, dass Russen die “Islamische Front” dezimieren. Das Problem dabei sieht man in der Schlagzeile bei SPON – für den Westen sind die Terrorkommandos von der “Islamischen Front” nämlich die “Rebellen”. Tatsächlich unterscheiden diese sich kaum vom “Islamischen Staat”, die Grenzen zwischen den verschiedenen Geschmacksrichtungen von Terrorbanden sind nachgewiesenermaßen fließend, und wenn es einen Unterschied zum “IS” gibt, dann meist in negativer Hinsicht.

Ein vom “Islamischen Staat” ausgehändigter Strafzettel wegen Verstoßes gegen die StVO; Quelle: @jenanmoussa

Denn auf den vom “IS” beherrschten Gebieten bilden sich ziemlich schnell etwas heraus, das an eine gewisse Ordnung gemahnt, in der Verwaltungsstrukturen erkennbar werden und Dinge wie Räuberei, Plünderungen – gemeinhin: Chaos – ziemlich effektiv unterbunden werden. Hinrichtungen, Terror und Vertreibung sind die Instrumente, mithilfe derer der “IS” für diese Ordnung sorgt. Nichtsdestoweniger handelt es sich eben um einen “Staat” in seiner Geburtsstunde. Einen Proto-Staat.

Wo hingegen die verschiedenen Fraktionen der “Islamischen Front” herrschen, ist die Lage in dieser Hinsicht weit schlimmer – Terror gibt es genauso, nur hat er kein System, es gibt keinerlei Staatsgewalt, geschweige denn eine Zentralmacht, denn die Macht wird ausnahmslos von Warlords und schwerkriminellen “Emiren” ausgeübt. Paradox, aber da sieht es im “IS” besser aus.

Sicher ist das “dem Westen” und den Golfmonarchien als Sponsoren der “Islamischen Front”, wie vermutlich auch dem SPON als Sprachrohr derselben bekannt, aber diese Schweinehunde sind eben “unsere” Schweinehunde, so dass selbstredend russische Luftangriffe gegen diese Terroristen nicht gutgeheißen werden können.

Das ändert nichts an der Tatsache, das es kaum eine andere Möglichkeit gibt, der syrischen Regierung letztlich doch Unterstützung gegen den “Islamischen Staat” zu leisten. Ein direktes Vorgehen gegen den “IS” wäre zum jetzigen Zeitpunkt zwar eine Unterstützung des Kampfes, den die Kurden kämpfen, hat aber für die syrische Regierung derzeit weniger an operativer Bedeutung als eine Beseitigung der Bedrohung durch die Terrorbanden der “Islamischen Front” im Norden des Landes.