Vesti.ru bringt einen interessanten Beitrag aus Aleppo, in dem einerseits die Zerstörungen und Schändungen der marodierenden Rebellenbanden an historischen Gebäuden und Heiligtümern gezeigt werden, andererseits aber ein beeindruckendes Zeugnis vom Widerstand der Gesellschaft gegen die Aggressoren gegeben wird. Zum anderen kann die fortlaufende Berichterstattung eines der großen russischen Fernsehsender aus Aleppo davon zeugen, dass weite Teile der Stadt inzwischen als sicher und von den Rebellenbanden befreit angesehen werden können.

Quelle: Vesti.ru, Reportage von Anastasia Popowa

Die Kämpfe in Syrien gehen weiter, obwohl für die Zeit des islamischen Opferfests eine Waffenruhe verkündet wurde. Nach einigen Angaben sind innerhalb von zwei Tagen mehr als 200 Menschen ums Leben gekommen. Am Sonntag haben oppositionelle Kämpfer versucht, in Aleppo zum Angriff überzugehen. Momentan ist unsere Sonderkorrespondentin Anastasia Popowa vor Ort, sie hat weitere Einzelheiten.

Das historische Zentrum von Aleppo: im Herzen der Altstadt ist die im 8. Jahrhundert errichtete Ummayyaden-Moschee das wichtigste Heiligtum. Auch jetzt, nach Beginn der formalen Waffenruhe, ist es nicht einfach, dahin zu gelangen. Durch die engen Gassen kommt man nur dicht an den Wänden entlang. Nach gegenüber kommt man nur mit kurzen Sprints maximal zu zweit. Die Kreuzungen werden von Scharfschützen beschossen. Die Einwohner aber bleiben: sie haben sich an die endlosen Schusswechsel gewöhnt, doch jedesmal beschleunigen sie unwillkürlich ihren Schritt.

Die Rebellen haben die Mauern des antiken Gebäudes teilweise zerstört, das Eingangstor ist abgebrannt. Innen wurde alles zerschlagen, das Grab des Propheten Zacharias, des Vaters von Johannes dem Täufer, wurde geplündert; und das Wertvollste – Reliquien – Teile der Kleidung und ein Haar des Propheten Mohammed – wurden gestohlen.

Syrischer Soldat:

Wir haben die Tore mit einer kleinen Einheit gehalten. Sie kamen von hinten, schossen aus Raketenwerfern, durchbrachen die Wände. Von der anderen Strassenseite aus schossen Scharfschützen.

Und Sie reden von Waffenstillstand. Die Rebellen dachten gar nicht daran, mit dem Schießen aufzuhören. Unsere Jungs verteidigten sich bis zum Ende, und vier von denen, die bei der Verteidigung der Moschee umgekommen sind, stammen aus christlichen Familien.

Aus Achtung vor den Traditionen der Moslems hatten auch die Christen unter den Soldaten ihre Schuhe abgelegt, sie kämpften barfuß, trotz der Scherben, Patronenhülsen und Splitter. Die Eltern von Pierre sagen: nie wurde man in Syrien von irgendwem nach Konfessionen eingeteilt. Deswegen kämpfen auch alle gemeinsam für ihr Land.

Hanni Asishaïd, Mutter eines getöteten Soldaten:

Er wurde von Granatsplittern getroffen, ein Kamerad wurde am Bein verletzt. Er trug ihn auf seinen Armen hinaus, wollte selbst aber nicht ins Krankenhaus. Er sagte, er verläßt die Moschee und seine Kameraden nicht. Als er eine Treppe hinaufkam, wurde er von zwei Kugeln getroffen.

Er hat seiner Mutter immer gesagt, sie soll nicht weinen, sondern beten. Zuletzt rief er am Tag vor seinem Tod an. Er war mehr als zwei Monate nicht zu Hause, versprach, am Morgen heimzukomen. Er wollte seine Schwester und die kleine Tochter wiedersehen.

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**Estel Asishaïd, Schwester des getöteten Soldaten:

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Mein Bruder sagte mir immer: bete zuerst für Syrien, dann für mich. Syrien war ihm wichtiger. Ich rief ihn an und sagte, dass ich ihn sehr vermisse. Er sagte: gedulde Dich noch einen Tag. Aber er kehrte nicht zurück.

Vor der Krise hat sich niemand darum gekümmert, wer woran glaubt. Aber in den vergangenen 18 Monaten werden die Menschen beharrlich aus religiösen Motiven gegeneinander aufgehetzt.

Anastasia Popowa:

So haben die Rebellen im Zentrum von Aleppo versucht, ein christliches und ein sunnitisches Stadtviertel voneinander zu trennen. An dieser Strasse entlang verlief eine Art Grenze. Die Anwohner wurden hier festgehalten, wer Widerstand leistete, wurde weggesprengt. Man rief die Armee und es kam zu schweren Kämpfen zwischen Soldaten und Rebellenbanden.

Die Rebellenkämpfer wurden ohne den Einsatz schwerer Technik ausgehoben. In den engen Gassen wäre dafür gar kein Platz. Ein Teil der Rebellen wurde liquidiert, ein anderer floh über Tunnel in benachbarte Stadtviertel.

****Atlas Hori, Einwohnerin von Aleppo:

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Sie haben versucht, die Tür aufzubrechen und haben das Schloss zerstört. In die Wohnung über uns schossen sie aus einem Granatwerfer. Sie brüllten “Allahu akhbar” und schossen aus MGs. Sie wollten uns verschrecken, aber ich bin Christin und lebe seit 50 Jahren hier – ich gehe nirgendwohin.

Eine griechisch-orthodoxe Kirche, Baujahr 1843. An der Wand die Spuren einer Granatenexplosion. Der Innenhof wurde aus Mörsern beschossen. Eine Granate ist wie durch ein Wunder nicht explodiert, nach dem Treffer einer zweiten wurde das Treppenhaus zerstört.

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**Mariam Mariet, Ostarier einer orthodoxen Kirche in Aleppo:

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Unser Gemeindepriester war im zweiten Geschoss, er fiel, das ganze Gesicht war von Scherben zerschnitten, er lag blutüberströmt da und wurde am Rücken verletzt. Jetzt passe ich auf die Kirche auf. Diese Teufel wollen unsere Gesellschaft spalten, aber wir werden einander trotzdem weiterhin als Brüder betrachten und friedlich miteinander leben.

Sowohl Moscheen als auch Kirchen werden in Syrien nach wie vor mit ein und demselben Wort bezeichnet: als “Tempel”, in denen alle Einlass haben, unabhängig von ihrer Religion. Der Soldat aus unserer Begleitung ist Moslem, er berührt die Ikonen und betet zusammen mit der christlichen Frau – auf seine Weise. Es ist nicht so wichtig, wo und wie man das tut. Hauptsache, der Frieden kehrt nach Syrien zurück.

Anastasia Popowa, Michail Witkin, Jewgenij Lebedew. Vesti aus Aleppo, Syrien.