Verurteilte türkische Militärgeneräle

Im derzeit laufenden Machtkampf in der Türkei sucht Premier Recep Tayyip Erdoğan wohl nach einem Mittel, dessen er sich bedienen kann, um auf Opponenten einzugehen: er ist nun plötzlich dazu bereit, die Prozesse gegen die “Putsch-Generäle” wieder aufzunehmen.

Ein kleines Lehrstück darüber, wie “Demokratie” funktioniert. Es genügt eben nicht, irgendwelche Wahlen zu gewinnen. Man braucht die Loyalität der Gewaltstrukturen, und die hängt nicht von Wahlen ab – zumindest nicht im Orient. Mursi in Ägypten hatten wir da gerade im “Jahresrückblick” als ein vorzügliches Beispiel dafür besprochen, wie es eben nicht geht. Der Vorwurf eines Putschversuchs und die daraus resultierenden Urteile gegen türkische Armeegeneräle waren die Leine, mithilfe derer sich die Islamisten in der Türkei die Macht sichern konnten, indem sie die Armee unter Kontrolle zu nehmen versuchten. Der Versuch besteht in einer “Enthauptung” dieser Gewaltstruktur und dem Bestreben, das Offizierskorps mit jungen und loyalen Kadern anzufüllen. Ein Versuch ist es bislang, weil dieser Prozess noch nicht abgeschlossen war. Für Erdoğan ist es zum jetzigen Zeitpunkt eben noch nicht so sicher, ob die Armee auch wirklich hinter ihm steht.

Denn er hatte es inzwischen mit mehr oder weniger offenenem Ungehorsam des Polizeiapparats – einer weiteren Gewaltstruktur – und auch der Justiz zu tun. Die Logik gebietet es Erdoğan, jetzt in der Armee nach einer Stütze – und damit möglichst auch gleich nach dem Hammer – zu suchen. Solange die “Putsch-”Generäle allerdings in Haft sind, ist es fraglich, ob die Armee sich zu einem Deal hinreißen lässt. Es ist nicht einmal so wichtig, ob die Vorwürfe, welche zu den Urteilen gegen sie und zu ihrer Verhaftung führten, auf Tatsachen beruhen oder nicht.

Erdoğans Zug jetzt ist eine Einladung an die Militärs. Zeit zu schachern. Lassen sich die Militärs darauf ein, so kann Erdoğan mit dieser Rückendeckung daran gehen, die Prozesse wiederaufzunehmen und eventuell Urteile revidieren zu lassen. Freilich würde das einen endgültigen Bruch mit der Fraktion des Fethullah Gülen bedeuten, der einer Kriegserklärung gleichkommt. Noch gibt es keine Verständigung mit der Armee, und so lange bleibt Erdoğan verwundbar. Seine politischen Gegner können allein durch diese Ankündigung zu etwas aktiveren Mitteln der Konfrontation greifen, denn im Gegensatz zum Erdogan wissen sie gewisse Gewalten hinter sich.

In der heutigen Türkei sind Staatsstreiche und selbst gehenkte Premierminister gar nicht mal so phantastisch. Früher hat freilich die Armee diese Dinge gelenkt, aber wer sagt, dass es nicht einmal der Polizeiapparat versuchen kann?