Quelle: itar-tass.com

Wäre da nicht das “Weihnachtsgeschenk” der alles übertönenden Terroranschläge in Wolgograd, könnte man sich ganz einfach mit einer Aufzählung der schönen Dinge und verdienten Erfolge Russlands auf außenpolitischem Terrain begnügen. Leider sind diese aber nur wenig durch Fortschritte im Lande selbst gesichert.

Dieses Fehlen von erkennbaren und ernstzunehmenden Fortschritten in der Innenpolitik macht die außenpolitischen Erfolge in vielerlei Hinsicht zunichte. Diese Schieflage ist allzu offensichtlich, und, offen gesagt, sogar gefährlich. Ein Sieg, dessen Früchte man nicht genießen kann, macht wenig Sinn.

Möchte man für Russland eine Bilanz der Erfolge und Misserfolge im Jahr 2013 ziehen, muss man genau aus diesem Grund besonders vorsichtig mit seinen Bewertungen sein. Die besorgniserregende wirtschaftliche Situation, welche die Regierung eingestehen musste, nivelliert die nicht abzusprechenden Durchbrüche unseres Landes in der Nahostpolitik.

Den Rückzug der USA aus der Nahost-Region darf man nicht als vollendete Tatsache ansehen – bisher gibt es zum Ausklang des Jahres 2013 und zu Beginn 2014 nur eine offensichtliche Tendenz Obamas zur Umverteilung der eigenen Ressourcen in eine für die USA viel gefährlichere Richtung: die Asiatisch-Pazifische Region. Allerdings werden seine Möglichkeiten durch den harten Widerstand der politischen Kräfte innerhalb der USA selbst eingeschränkt. Eine bestimmte Korrektur der Pläne Obamas ist daher nicht nur wahrscheinlich, sondern wird sogar unumgänglich sein.

Deadline bis zum Supermachtstatus Chinas

Während dessen verfolgt China seine Politik wesentlich hartnäckiger, als es dies noch vor einigen Jahren getan hat. Diese Hartnäckigkeit sieht zwar nach traditionellem chinesischem Gebahren, in der Art der bekannten “allerletzten chinesischen Warnungen”, aus. Aber schon kurz darauf hatten die Chinesen nach ihrer symbolhaften Errichtung einer alle aufschreckenden neuen Militärzone sogleich den demonstrativen Überflug des Gebietes durch US-amerikanische Militärflugzeuge zu ertragen. Nichtsdestotrotz sind die auf dem 18. Parteitag der KP Chinas getroffenen Entscheidungen für die USA äußerst unangenehm. Hierdurch entstand eine Quasi-Deadline, bei der China nach Ablauf einer gewissen Frist eine nicht rückgängig zu machende Situation schaffen kann, in der entweder das Ende der globalen Dominanz der USA besiegelt oder ein direkter Konflikt mit katastrophalen Folgen für alle Beteiligten kommen wird.

  1. Parteitag der KP Chinas

Keiner der beiden Ausgänge kann die USA zufrieden stellen. Eine Wiederholung der Szenarien der beiden ersten Weltkriege, als die Europäer für die Interessen der USA in den Krieg zogen, scheint in diesem Zusammenhang nicht besonders wahrscheinlich. China steht um einiges mächtiger da als damals Hitlerdeutschland, während Japan es wohl kaum schaffen wird, aus sich selbst heraus die Neuauflage einer “Antihitlerkoalition” zu schaffen, selbst wenn es ihm dazu auf irgendeine wundersame Weise gelingt, einen antichinesischen Block zusammenzimmern. Ein direkter Zusammstoß zwischen den USA und China macht den Konflikt selbst sinnlos: gemäß dem gängigen Drehbuch steigen die USA in einen Konflikt immer erst in dessen letzter Etappe ein, um allen Beteiligten die Friedensbedingungen diktieren zu können. Im gegebenen Fall kann es sogar dazu kommen, dass der Konflikt gar nicht offen ausbricht – dazu befinden sich das wachsende China und das kriselnde Japan in viel zu unterschiedlichen Gewichtskategorien.

Bleibt nur die Variante einer indirekten Konfrontation, die von den Vereinigten Staaten die Konzentration all ihrer schwindenden Ressourcen in der einen und wichtigsten Richtung verlangt. Und der Nahe Osten ist das nicht mehr.

Die Umstände zwingen Obama eben so und nicht anders zu handeln. Der Rückzug der USA aus der Nahost-Region ist unausweichlich. Die Alternative wäre, dass die Vereinigten Staaten die umfangreichen und komplexen Aufgaben, welche Chinas Weg zur Supermacht behindern sollen, bis zur erwähnten Deadline einfach nicht werden erledigen können.

Einstieg Russlands in zwei sehr bedeutende Regionen

Als Vorbereitung für diesen Rückzug der USA können alle Aktivitäten von Präsident Obama in dieser Richtung innerhalb der letzten vier Jahre gelten. Eigentlich machte er auch kein Geheimnis darum, dass sein Ziel darin besteht, die US-Streitkräfte aus dem Irak und Afghanistan herauszuführen. Sowohl die Unterstützung der “Muslimbrüder” als auch die massenweise Aufgabe aller bisherigen Verbündeten in der Region erscheinen ebenfallsin diesem Lichte. Der Fehlschlag der anfänglichen, auf die Muslimbrüder ausgerichteten Politik, zwang Obama zu dem viel schwierigeren und weniger eindeutigen Weg des Beziehungsaufbaus mit dem Iran. Und auch das passiert wiederum unter Zugzwang, da ihm die drängenden Fristen keinen Handlungsspielraum für Manöver lassen.

Atom-U-Boot „Sewerodwinsk“. Bild: RIA Novosti

Unter solchen Bedingungen wird der Platz, den die Vereinigten Staaten in der Region eingenommen hatten, schon jetzt langsam frei, und schon beginnt das Gerangel darum. Russland hat mit seinem durchaus kompetenten und selbstbewussten Kampf in Syrien eine überaus gute Ausgangsposition auf diesem freiwerdenden Terrain errungen. Genaugenommen ist das russische Militärprogramm der Anspruch auf einen gebührenden Platz in all diesen “frei” werdenden Gebieten. Es ist sogar durchaus wahrscheinlich, dass Obama genötigt sein wird, einen Teil Lateinamerikas zu verlassen, da er sich einen Kampf an mehreren Fronten kaum wird leisten können. Für ihn bleibt jetzt nur die eine, die einzige und wichtigste.

Dass sich Lateinamerika für uns öffnet, kann man ebenso bereits wahrnehmen – und das ganz ohne die sonst in einem solchen Fall üblichen Demarchen der US-Amerikaner. Das Fußfassen Russlands in Venezuela im Jahre 2013 erfolgte fast wie nebenbei, dabei ist die Bedeutung dieses Ereignisses um keinen Deut geringer als etwa die Revolution auf Kuba und der russische “Einstieg” dort. Natürlich ist Maduro nicht mit Fidel zu vergleichen und es bestehen zudem Befürchtungen um die Zukunft Venezuelas unter seiner Führung. Dies ist der Punkt, an dem Russland erst einmal mit Unannehmlichkeiten rechnen und schon im Vorfeld Brücken zur venezolanischen Opposition, welche den Erben Hugo Chavez’ immer selbstbewusster vor sich hertreibt, schlagen muss.

Die mit Venezuela auf dem Gebiet der Erdölförderung und im Bereich der militärisch-technischen Kooperation geschlossenen Verträge gehen allein schon auf Grund ihres Umfangs weit über die Grenzen einer üblichen wirtschaftlichen Zusammenarbeit hinaus. Solche Investitionen und Einlagen möchten natürlich gut und gern geschützt werden, daher wird sich die russische Präsenz in diesem Land und der Region insgesamt eher noch verstärken, was natürlich Kritik an der Politik der Obama-Administration von Seiten seiner Widersache zur Folge haben dürfte.

Nichtsdestotrotz kann man feststellen, dass 2013 ein Jahr der intensiven Vorbereitungen zum Einstieg Russlands in zwei sehr bedeutende Regionen war. Für die entstehende Zollunion, welche in der Perspektive der zweitgrößte Binnenmarkt nach der EU werden könnte, bietet die Öffnung Lateinamerikas und des Nahen Ostens ausgezeichnete Startvoraussetzungen, um noch über Europa hinauszuwachsen. Bis jetzt sind das zwar nur kühne Träume, aber im Jahr 2013 wurde unheimlich viel für die Verwirklichung getan. Zum Ende des Jahres hin ist es Russland nicht so sehr gelungen, die Ukraine der EU abzuringen, sondern sie nicht an diese zu verlieren – was umso mehr Russlands Interessen im beginnenden Spiel unterstreicht.

Die russische Achillesferse ist die Innenpolitik

Aber. Bei allen wunderbaren Errungenschaften außerhalb des Landes erscheint die Situation im Land selbst wenn nicht jämmerlich, so doch ausgesprochen schlecht. Dabei haben die Terroranschläge von Wolgograd am Jahresende gleich alle Probleme mit einem Mal auf’s Tablett gebracht. Die untaugliche russische “Machtvertikale”, die Anfang der 2000er Jahre für die recht eng umrissene Aufgabe des Erhalts der Einheit des Landes ausgelegt worden war, hat ihren Dienst längst getan. Im Kern handelte es sich um das Modell einer Krisenregierung, eine temporäre Struktur, die ersetzt werden muss, sobald sie die Aufgaben erledigt hat, die zu ihrer Entstehung führten.

Das Problem besteht darin, dass eine für die Krisenzeiten geschaffene Struktur nur unter Krisenbedingungen funktioniert. Dabei scheint es fast so, dass die jetzige Krise in Russland in vielerlei Hinsicht durch die Bedürfnisse eben dieser Struktur hervorgerufen wurde. Ein objektives Erfordernis, nichts persönliches, wie man so schön sagt.

Denn leider hat die jetzige russische Führung scheinbar kein Veständnis für andere Aufgaben als die, eine endlose Kette an Krisen zu überwinden. Daher rührt wohl auch die Ablehnung grundlegender Reformen, die schon längst überfällig wären.

In Russland gibt es zwei Probleme: Dummköpfe und Straßen

Die Erfahrungen im Nahen Osten lehren, dass einem die heutige Welt wenig Zeit lässt, in die Spur zu kommen. Wer seine Probleme nicht beizeiten löst, dem werden sie noch erschwert werden. Wer wie Russland in ein Spiel mit einem dermaßen hohen Einsatz wie der Schaffung eines übernationalen Marktes bei offenkundigem eigenen Führungsanspruch einsteigt, provoziert seine Gegner selbst dazu, einen durch eine miserable innere Lage wieder auf den Boden zu ziehen. Die Terroranschläge von Wolgograd sind genaugenommen eine Warnung. Es ist schwer zu sagen, wieviele davon es, wenn überhaupt, noch geben wird. Doch der kritische Punkt, nach dem man uns sowohl von außen als auch von innen demontieren wird, ist sehr nah. Und das ist bestimmt keine Panikmache, sondern objektive Tatsache. Die Vision einer Zollunion berührt die Interessen äußerst mächtiger Kräfte auf der ganzen Welt, die nicht darauf warten werden, bis es Russland gelingt, eine für sich günstige Balance zwischen Innen- und Außenpolitik auszutarieren.

Auch das ist ein Fazit aus dem Jahr 2013. So absurd es auch klingen mag, die Worte Stalins darüber, dass sich der Klassenkampf in dem Maße verstärken wird, je weiter man in Richtung Sozialismus vorankommt, treffen auch in der heutigen Situation vollkommen zu. Je weiter Russland seine ausgesprochen ehrgeizigen Pläne realisieren wird, desto stärker wird auch der Widerstand gegen sie werden, und desto größer auch die Wahrscheinlichkeit der Anwendung aller denkbaren Demontage- und Zersetzungstechnologien gegen uns.

Die Achillesferse Russlands ist die Innenpolitik. Dahinter steckt ein ganzer Problemkomplex – angefangen bei Korruption und der Umgestaltung des Führungsapparats bis hin zu grundlegenden konzeptuellen Ideen. Es ist schon jetzt offensichtlich, wie fatal der der Kapitalismus der Oligarchen und Comparadores für das Land ist. Dieser stellt den Hauptgrund für die meisten Krisen dar. Dabei wirken die trübseligen und systemlosen Ideen der Opposition, angefangen bei der Kommunistischen Partei bis hin zu der vom Bolotnaja-Platz, ausgesprochen paranoid und eignen sich mehr dazu, das Land zur grenzenlosen Freude seiner es umgebenden Feinde zu Grabe zu tragen.

Das Problem sieht sehr umfassend, vor allem aber systemimmanent aus. Das heißt, dass wir im Rahmen des gegebenen politischen, ökonomischen, sozialen und Führungssystems nicht in der Lage dazu sein werden, mit dem ganzen Aufgabenkomplex zurechtzukommen, der angegangen werden muss, um unser Land von innen heraus zu stärken. In diesem Falle werden alle unsere Erfolge im Ausland unnütz und einfach sinnlos.

Dmitri Sokolow, ein russischer Wahhabit

Wie das Jahr 2013 zeigt, bleibt nur sehr wenig Zeit. Innerhalb des Landes wachsen soziale Spannungen. Der wahhabitische Faktor hat eine neue Dimension erreicht: gegen uns kämpfen jetzt slawische Wahhabiten, und die Dynamik, mit der sie sich zu diesem neuen radikalen Glauben bekehren, ist erschreckend. Das Land hat größte nationale Probleme, vollkommen unlösbar scheint die Frage sowohl der in- als auch der ausländischen Migranten. Das ideologische Vakuum wird entweder von religiösen Schaukulten, die nicht fähig sind, sich gegenüber der jungen und bösartigen Konkurrenz durchzusetzen, oder von unverhüllt feindseligen Ideologien gefüllt, welche ihren klaren Ausdruck in den Worten des erschossenen Wahhabiten Sokolow finden: „Es reicht aus, dass SIE nicht gläubig sind“. Was nicht von diesen Ideen erfasst wird, unterliegt dem Kult von Gier und Konsum.

Auf dieser eklektischen und vollkommen unkonstruktiven ideologischen Grundlage kann man nichts aufbauen – nur zerstören. Und zum zigsten Mal wurde unser Land im Jahr 2013 auf diesen steinharten Fakt gestoßen. Schwer zu sagen, wie oft wir noch gegen die Wand laufen müssen. Doch jedes Widerstandsvermögen hat seine Grenzen. Und irgend etwas wird man ohnehin zerbrechen müssen – entweder den Kopf, oder die Wand.

Anmerkung d.Ü.: Der Text oben stellt einen Artikelentwurf für itar-tass.com dar, wo er m.W. nicht veröffentlicht wurde. – apxwn