“Die Obama-Administration wird weiterhin eine Resolution anstreben, in der eine militärische Option für den Fall vorgesehen ist, dass die Regierung Assad sich nicht an den Plan der USA und Russlands hält, die syrischen Chemiewaffen zum Zwecke der späteren Vernichtung in internationale Kontrolle zu übergeben…” (Quelle)

Das wird dann wohl die Hauptlinie des für den 24. September geplanten Auftritts Obamas vor der UN-Vollversammlung werden. Nimmt man diese Fristen, so ist offensichtlich, dass diese Resolution ungleich länger vorbereitet und ausgearbeitet wird, als alle vorherigen – nicht verwunderlich, denn die früheren dem UN-Sicherheitsrat vorgelegten Resolutionsentwürfe waren von vornherein nur wegzuvotierende Makulatur und dienten dem Westen zu nichts anderem, als einmal mehr die “starre Haltung Russlands” zu belegen. Diesmal ist alles anders, also dauert es. Schon in Genf haben die jeweiligen Fachleute und die Außenminister der USA und Russlands 4 Tage für die Absprachen gebraucht. Die Intensität der Arbeit spricht eigentlich dafür, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass die nächste Resolution durchkommt.

Die Verlautbarungen der Amerikaner über die unbedingt aufzunehmende Gewaltandrohung kann man erst einmal beiseite legen – momentan handelt es sich nur um ihre Wünsche und eine gewisse Druckausübung. Aber man sollte sich natürlich nichts vormachen. Sowohl die USA als auch Russland sind darauf aus, jetzt etwas zustande zu bringen. Das jeweilige Vetorecht bleibt natürlich unangetastet, aber dieses einzusetzen, entspricht ganz und gar nicht den Interessen von 4 der 5 Vetomächte (mit Ausnahme des schweigenden China). Das chinesische Abstimmungsverhalten im Sicherheitsrat hat aber eine gewisse Tradition – nicht allein gegen etwas stimmen, das China nicht direkt betrifft. Deshalb kann man davon ausgehen, dass China sich zumindest enthält, wenn die anderen übereingekommen sind.

Ein Veto gegen die kommende Resolution wäre das Fiasko aller bisherigen Bemühungen und wird sich auf der Reputation Obamas wie auch Putins niederschlagen. Die kommende Woche wird für die Lage in und um Syrien also entscheidend. Dabei geht es nicht nur um den immer noch in der Luft hängenden “chirurgischen” Angriff der Amerikaner, sondern auch um die praktische Umsetzung dessen, was die Resolution vorsehen wird – und die Umsetzung bedeutet ein unvermeidliches Eingreifen anderer Staaten in die inneren Angelegenheiten Syriens. Das Chemiewaffenarsenal muss abtransportiert werden, was ohne ein gewisses Kontingent an ausländischem Personal kaum vorstellbar erscheint. Dann ist es naheliegend, dass es massive, oder auch weniger massive, Angriffe der unkontrollierbaren Terrorbrigaden gegen dieses Kontingent geben wird, und – schwupp – wird es zu einer der Konfliktparteien.

Es geht hier schätzungsweise um eine Größenordnung, die Putin in seiner relativ locker hingeworfenen Phrase beim Valdai-Forum angedeutet hat: er lehnte es faktisch ab, einfach so eine hundertprozentige Garantie dafür zu sehen, dass Syrien seinen auf sich genommenen Verpflichtungen nachkommt. Dazu kommt die etwas seltsame, wenn auch explizit “hypothetische und theoretische” Bemerkung Iwanows, Assad könnte “cheaten”, und dann… Auf jeden Fall bereitet Russland ganz offenbar den Boden dafür vor, ein ganzes System an Garantien dafür aufzufahren, dass Syrien sich haargenau an die Forderungen der absehbaren Resolution hält. Das einzige, was eine solche handfeste Garantie darstellen würde, ist eine Beteiligung ausländischer Kontingente für die Sicherstellung der Chemiewaffen und der Objekte, an denen es sie gibt.

Revers der russischen Medaille “Teilnehmer des Gewaltmarschs [Bosnien-Kosovo] vom 12. Juni 1999″

Bislang gibt es aber offenbar keine Übereinkunft, wer genau seine Leute entsendet, und Russland versteht wohl die Gefahr und das Risiko eines solchen Schritts, weshalb in den oben angesprochenen Phrasen schrittweise eine Begründung für die eigene Beteiligung zurechtgelegt wird. Eine mögliche Anwesenheit russischer Truppen ist keine allzu günstige Entwicklung der Situation, aber eine regelrechte Katastrophe wäre es, wenn unter dem Vorwand “Sicherstellung der Chemiewaffen” gar NATO-Leute (sagen wir, beispielsweise die Türken) in Syrien eingesetzt würden. In diesem Fall kann es bei aller Schwierigkeit einer solchen Entscheidung zu einer Wiederholung des russischen Gewaltmarschs nach Pristina kommen. Was Präsident und Chef der Präsidialadministration verlauten ließen, passt jedenfalls zu einer solchen Entwicklung.

Russland hat sich im Verlauf der jüngeren Geschichte schon in solchen Lagen befunden und weiß wohl, wie sich solche Situationen entwickeln können. Der “Georgienkrieg” von 08.08.2008 war im Grunde unter dem Vorwand ausgebrochen, dass die dortigen russischen Friedenstruppen zu einer Konfliktpartei wurden, da sie angeblich Ossetien unterstützten. In Wahrheit ging es in solchen Fällen um die Unterbindung von Provokationen von georgischer Seite, nur waren die ja genau darauf angelegt gewesen, die Friedenstruppen zu aktivieren und damit einen Grund für den Angriff auf Zchinwal zu schaffen.

Man muss es also nicht bezweifeln, dass eine eventuelle russische Präsenz in Syrien (die eines anderen Landes ist momentan schwer vorstellbar) analog ausgenutzt werden wird. Der Unterschied zu Südossetien ist dabei allerdings, dass zwischen Russland und Syrien nicht bloß der Roki-Tunnel liegt, und die georgischen Truppen in Zchinwal, die eher an ein Strafkorps erinnerten, nehmen sich gegen die Al-Nusra-Brigaden wie Meerschweinchen aus. Man erinnere sich an die Fatwa des Yussuf al-Qaradawi. Welch eine Motivation!

Das Hauptproblem aber ist etwas größer. Wie jedes Problem hat auch dieses einen Namen: Königreich Saudi-Arabien.

Am 21. August 2013 hat dieser politisch eigentlich drittklassige Staat die Region, vielleicht sogar die Welt in eine Krise und in die Gefahr eines grösseren Regionalkonflikts gestürzt, dessen Entwicklung überhaupt nicht abzusehen war. Solche Dinge kann man niemandem durchgehen lassen – und das hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun. Vielmehr ganz simple Vorsicht – lässt man den Saud das durchgehen, schafft man Präzedenzen und die Provokationen gehen weiter. Womöglich in noch größerem Maßstab.

Es ist zwar klar, dass niemand Er-Riad bombardieren wird, kaum denkbar ist auch, dass jemand nächtens heimlich am Tropf des Königs herumfuhrwerkt. Aber die Umrisse dessen, was gestartet werden könnte, kann man beispielsweise an der jüngsten Äußerung des iranischen Präsidenten Rohani erkennen. Er erwähnt in seinem Op-ed in der “Washington Post” sicher nicht einfach so Bahrain: “Wir müssen auf einen nationalen Dialog hinarbeiten, ob in Syrien oder Bahrain”. Die Entmachtung der al-Khalifa, die sich nur dank saudischer Armee und de-facto-Okkupation im Sattel halten, könnte für Saudi-Arabien zum Beginn seiner eigenen Katastrophe werden.

Ohne eine regelrechte Abstrafung der al-Saud hängen jegliche Pläne Obamas, Putins und Rohanis in der Luft des Ungewissen, und wenn die Gespräche zwischen Obama und Rohani bewirken, dass der Iran ein wenig freie Hand auf der Arabischen Halbinsel bekommt, dann ist das im Interesse aller.

Wie dem auch sei, das, was gerade in New York vor sich geht, kann man wohl gut und gern als die höchste Kunst der Diplomatie und der internationalen Politik ansehen. Kaum jemals hat es eine solche Situation gegeben, wie jetzt in Syrien. Die Diplomaten der Beteiligten schlagen sich die Nächte um die Ohren, arbeiten an Plänen und Varianten, und dabei wissen sie, dass 90 Prozent davon bald Makulatur sein werden – bis zur wahrscheinlichen Annahme der Resolution ist es nicht mehr lang.