Krise in der dritten Potenz

20.08.2022, 02:01 apxwn Blog crisis

Autor: Prof. Andrej Fursow. Fursow, geb. 1951, ist Historiker, Sozialphilosoph und zuletzt Dozent an der Staatlichen Lomonossow-Universität Moskau.

Die bisherige Geschichte der Menschheit kennt drei Makro-Krisen: die des Jungpaläolithikums als Krise der Ökologie und Demographie, die der Spätantike als Krise der Zivilisation mit Merkmalen wie der Völkerwanderung und der Barbarisierung eines bedeutenden Teils der Oikumene, sowie die des Feudalismus, bei der die Lehnsherren mit der Krone gemeinsame Sache machten und die alte Ordnung stürzten, um durch die Schaffung einer neuen selbst im Sattel der Macht zu bleiben.

Die derzeitige Krise, deren Ursprung man in den Jahren 1989-1991 beim Zusammenbruch des systemischen Antikapitalismus verorten kann, kombiniert die Merkmale aller drei bisherigen Makro-Krisen. Dabei geht eine Teil-Krise nach dem Prinzip einer schachtelbaren Puppe in der nächsten auf: die Moderne – der Kapitalismus – die europäische Zivilisation – die Weltordnung (da der Kapitalismus ein weltweites Phänomen darstellt) – die Spezies des Homo sapiens. Letzteres ist zu unterstreichen, da die von den Ultraglobalisten in der „neuen Normalität“ angestrebte Art der Ausbeutung und Deprivation ihren Plänen zufolge eine Veränderung der biologischen Natur des Menschen erfordert.

Das Bestreben nach Bewahrung von Macht und Privilegien fordert von der Eliten nichts geringeres als die Demontage des Kapitalismus und die Schaffung eines neuen gesellschaftlichen Systems, das auf einer nicht-wirtschaftlichen (nicht vom Markt abhängigen) Kontrolle von Ressourcen und Informationsflüssen – einschließlich von Wissenschaft und Bildung – beruht. Ihr Vorhaben ist eine vollkommen neue Gesellschaft, deren wichtigste Werte Zeit und Information sind und bei der die Macht sicher keine demokratischen, ja, nicht einmal autoritäre, sondern geradezu magische Züge aufweist. Die psychohistorische Wegbereitung zur Akzeptanz einer solchen Macht durch die Menschen ist weltweit längst im Gange.

Die herrschende Schicht des Kapitalismus hat in den 1960-1970er Jahren nicht von ungefähr einen mächtigen Impuls hin zur Verlangsamung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, mit Ausnahme des Bereichs der Information und Kommunikation, gegeben. Zum einen bedarf letzterer Bereich keiner zahlenmäßig großen Arbeiter- und Mittelschicht. Zum anderen lassen sich Informationstechnologien für die Errichtung einer strikten Kontrolle von Menschen, ihres Bewusstseins und ihrer Psyche nutzen. Es ist dabei bezeichnend, dass der Abkehr vom wissenschaftlich-technischen und industriellen Fortschritt massive ideelle Kampagnen vorausgingen und diese weiterhin begleiten: die Schaffung der Ideologie des Ökologismus, von Jugend-Subkulturen, bei denen der Einwirkung auf Instinkte und Unterbewusstsein eine regulatorische Rolle zukommt, das Wiederaufleben der malthusianischen Theorie und des Sozialdarwinismus, die sich beispielsweise in den pseudowissenschaftlichen „Berichten an den Club of Rome“ und Konzepten wie „Grenzen des Wachstums“ und dem „Nullwachstum“ der „wachstumskritischen Bewegung“ spiegeln.

Die jetzt entscheidende Krise vom Ende des 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts ist eine Systemkrise – sie bezeichnet eine Krise und das Ende des Kapitalismus als System. Dabei verläuft sie offenkundig nicht nur spontan und aus eigenem Antrieb, sondern ist in vielerlei Hinsicht Ergebnis bewusster Entscheidungen der kapitalistischen Eliten, die den Kapitalismus im Zuge des Verfolgens eigener Interessen demontieren.

Um die gegenwärtige Krise besser zu verstehen, lohnt ein Blick auf vergangene Systemkrisen.

Feudalismus – Kapitalismus

Uns chronologisch am nächsten ist die Systemkrise des Feudalismus und das Auftreten des Kapitalismus, die Krise des „langen 16. Jahrhunderts“ (1453-1648), dessen entscheidende Phase in die Jahre 1490-1560 fiel.

Marx Theorie zufolge erfolgt ein Übergang von einem System zum anderen – also eine gesellschaftliche Revolution – dann, wenn die Produktivkräfte des alten Systems über dessen Produktionsverhältnisse hinauswachsen, letztere zerbrechen, und schließlich ein neues System solcher Verhältnisse auftritt, das den sich entwickelnden Produktivkräften Rechnung trägt. Hätte Marx damit recht, so würde jede neue Gesellschaftsformation auf einer höheren Ebene der Produktivkräfte beginnen als der, welche für die vergangene Formation typisch gewesen ist.

In der historischen Realität verhält es sich indes anders. Der Feudalismus erreichte erst im 11.-12. Jahrhundert das Niveau der Produktivkräfte der Spätantike, das heißt, der frühe Feudalismus war in dieser Hinsicht der Spätantike unterlegen; der Kapitalismus wiederum erreichte das Niveau der Produktivkräfte des Feudalismus erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Mit anderen Worten, 300-400 Jahre war er damit beschäftigt, die Vergangenheit einzuholen.

Die Ursprünge von Krisen müsste man also, ganz wie die Wurzeln der Kapitalismus-Genese, an anderer Stelle suchen, nämlich in den Interessen der „systembildenden“ historischen Subjekte. Historische Forschungen der letzten Jahrzehnte konnten beschreiben, dass es das Interesse der Feudalherren an der Bewahrung ihrer Macht und Privilegien und der Kampf um selbige sind, die im Grunde der Kapitalismus-Genese liegen. Wie lief dieser Kampf ab?

Mitte des 14. Jahrhunderts grassierte die Pest in Europa und raffte ein Drittel der Gesamtbevölkerung – 20 von 60 Millionen Menschen – dahin. Es kam zu einem Mangel an Arbeitskräften, so dass sich die sozialwirtschaftliche Position eines Bauern (ebenso eines Pächters und eines Tagelöhners) gegenüber dem Lehnsherrn deutlich verbesserte. Die Lehnsherren versuchten auf die eine oder andere Weise, die Lage wieder zu verändern, dies gipfelte jedoch in den Jahren 1378-1382 in gleich drei großen Aufständen (dem der Ciompi in Florenz, der „Chaperons blancs“ in Flandern und dem Bauernaufstand unter Wat Tyler in England). Ihrem Wesen nach stellten sie jedoch Episoden einer antifeudalen Revolution dar, welche dem westeuropäischen Feudalismus schließlich das Genick brach.

Von diesem Zeitpunkt an zeichnete sich eine Entwicklung in Richtung einer Gesellschaftsform ab, in der die Lehnsherren sich einfach in reiche Landbesitzer oder reiche Bürger transformierten, dabei einen bedeutenden Teil ihrer Privilegien und ihres Status einbüßten. Die Lehnsherren standen vor der Wahl, entweder ihre Privilegien an die Massen zu verlieren oder darin Eingeständnisse gegenüber der königlichen Macht einzugehen. Sicher, sie mochten die Könige nicht, führten selbst Kriege gegen sie, doch durch die unteren Schichten waren sie bereits an die Wand gedrängt, so dass die Lehnsherren sich schließlich auf ein Bündnis mit der Krone einließen. So wurde die Wandlung der Feudalherren in Kapitalisten und deren Zuschaltung zum im 16. Jahrhundert bereits aufkommenden Weltmarkt zur zentralen Entwicklung dieser Zeit¹.

Ein erstes Ergebnis des Bündnisses zwischen Krone und Lehnsherren war das Auftreten der sogenannten „neuen Monarchien“ (Ludwigs XI. in Frankreich, Heinrichs VII. in England); sie brachten Strukturen mit sich, die einerseits wesentlich „industrialisierter“, andererseits wesentlich repressiver waren als die feudalen. Der König wurde zum unmittelbaren Souverän gegenüber allen Untertanen und nicht mehr, wie bisher, nur gegenüber seinen Vasallen. Die Verpflichtungen des neuen, postfeudalen Adels gegenüber der Krone waren wesentlich umfangreicher und wogen schwerer, als die der Vasallen der Epoche des Feudalismus. Für die „neuen Monarchien“ gab es keinen Begriff, also wurde dieser geschaffen. Dies tat Macchiavelli, welcher den Begriff „lo stato“ – „der Staat“ – in die Welt setzte. Der Staat wurde zur mächtigsten Waffe der früheren Feudalherren gegen die Unterschicht.

Eine weitere solche Waffe wurden die Armeen eines neuen Typus. Im Jahr 1492 „entdeckte“ Kolumbus Amerika, und Ströme von Gold und Silber ergossen sich nach Westeuropa. Diese Mittel wurden vor allen anderen Dingen ins Militär investiert. Im Ergebnis sieht man im 17. Jahrhundert die Revolution des Militärwesens, das Auftreten neuer Formen der militärischen Organisation, der die Unterschicht nichts mehr entgegenzusetzen hatte. Abgesehen davon brachte die Entdeckung Amerikas, das Auftreten des „Weltmarkts“ (Karl Marx) bzw. des „europäischen Weltsystems“ (Immanuel Wallerstein), dessen, was im Grunde ein neues System der weltweiten – oder zumindest nordatlantischen – Arbeitsteilung bedeutete, der Oberschicht qualitativ neue Handlungsmöglichkeiten. Die sich in dieses System einbringenden früheren Feudalherren und Kaufleute verbesserten ihre sozialwirtschaftliche Stellung gegenüber der Unterschicht nachhaltig, da sie nunmehr auf einer weit höheren Ebene des Wirtschaftsraums – nämlich einer makroregionalen, operieren konnten, während die Unterschicht der lokalen oder regionalen verhaftet blieb.

Im Ergebnis all dieser Veränderungen fanden sich zum Jahr 1648 in Westeuropa ungefähr 90% der Familien auf den verschiedenen Ebenen der Macht, die noch 1453 die herrschende Schicht gebildet hatten. Die Feudalherren hatten im Interesse des Machterhalts und der Bewahrung ihrer Privilegien und ihres Reichtums den Feudalismus demontiert und ein neues Gesellschaftssystem geschaffen. So erscheint der Kapitalismus als ein Nebenprodukt des Kampfs der Feudalherren um ihre eigene Zukunft.

Spätantike – Feudalismus

Die Krise der Spätantike, der antiken Sklavenhaltergesellschaft (4.-6. Jahrhundert) unterscheidet sich von der spätfeudalen im Wesentlichen dadurch, dass Sklavenhaltergesellschaften extensiv orientiert waren: sie lebten im Unterschied zum Feudalismus von Expansion und einer Peripherie. Außerdem führte die Krise der Spätantike dazu, dass die Eliten des Weströmischen Reichs in ihrem Zuge untergingen, sich zerstreuten oder von den Eliten der barbarischen Völker assimiliert wurden. Zwischen der Spätantike und dem frühen Feudalismus existiert keine Sukzession der Eliten, außerdem liegen zwischen dem Ende der Antike und dem Auftreten des Feudalismus die dunklen Jahrhunderte (6.-8. Jahrhundert).

Die Krise der Spätantike ist im Unterschied zur spätfeudalen ein Beispiel für Misserfolg der herrschenden Eliten und ihren Untergang zusammen mit dem System. Bezeichnend ist ebenso, dass die Krise des Feudalismus in einer Demontage desselbigen ausuferte, dabei aber nicht die westliche Zivilisation untergehen ließ – der Kapitalismus wurde zur nächsten Stufe ihrer Entwicklung. Dagegen führte die Krise der antiken Sklavenhaltergesellschaft zum Untergang der antiken Zivilisation, das heißt, es handelte sich um eine Zivilisationskrise, während sich die Krise des Feudalismus innerhalb der Zivilisation abspielte.

Paläolithikum – Neolithikum

Die dritte hier betrachtete Krise – die des Jungpaläolithikums (25.000-10.000 v.Chr.), gleichzeitig die dritte Art Krise – ist womöglich die verheerendste aller Krisen – nämlich eine Ressourcen- und Demographiekrise. Sie dauerte ganze 15 Tausend Jahre, setzte den Schlussstrich unter viele tausend Jahre der Entwicklung im Paläolithikum und erfasste den gesamten Planeten, oder genauer dessen bewohnte Bereiche. Im Ergebnis dieser Krise sieht man eine Dezimierung der Bevölkerung des Planeten wohl um 80% sowie einen Verfall von Kultur und Gesellschaft. Sie mündete in der sogenannten neolithischen Revolution – nämlich dem Auftreten von Ackerbau und Viehzucht, von Städten, Ständen und so weiter, oder mit einem anderen Wort: der Zivilisation.


Die Globalisierung ist zu einem vollständigen Triumph des Kapitals geworden, das – in Form elektronischer Signale – geradezu alle Beschränkungen (räumliche, soziale, politische) überwindet. Das Reale ist nicht mehr dazu in der Lage, das Virtuelle vollständig zu kontrollieren. Inzwischen ist die ganze Welt kapitalistisch-neoliberal geworden, einen nichtkapitalistischen Raum gibt es nicht mehr, so dass der Kapitalismus seine Probleme nicht mehr „nach außen“ abstoßen kann. Er kann sie nur noch intern zu lösen versuchen.

Die Sache ist allerdings, dass der Kapitalismus ein auf Expansion orientiertes System ist, und wollte man diese Orientierung ändern, so müsste man die „systembildenden“ Elemente, folglich das System selbst ändern und an seiner Stelle ein anderes etablieren, das typologisch dem Feudalismus ähnelt, oder besser: eine Rückkehr zu dessen Organisationsprinzipien, jedoch auf einer neuen, höheren Windung der Entwicklungsspirale darstellt. Zum Beispiel mit Anpassungen bezüglich dessen, dass dieser neue Feudalismus nicht mehr westlich und christlich ist und auch keine lokale Gesellschaft mehr darstellt.

Ob aber eine Demontage à la Feudalismus in der Zeit 1453-1648 jetzt noch funktioniert? Wohl kaum: Der Feudalismus hatte keine Peripherie, die sowohl das Wesen der Krise, ihren Verlauf und die Richtung der Entwicklung aus ihr heraus wesentlich beeinflusst. Dadurch, dass der Kapitalismus riesige Bevölkerungsmassen – eigentlich den gesamten Planeten – zu seinen Prozessen, dem Weltmarkt, zugeschaltet hat, züchtete er sich seine afro-asiatische und lateinamerikanische Peripherie, wie sie ohne ihn von allein nicht gewachsen wäre.

Nun wird diese Peripherie, die der Kern nicht mehr so braucht wie in den guten alten Zeiten, nicht locker lassen und den Kern unter Druck setzen; der globale Süden drängt nach Norden, bildet seine Enklaven, unterminiert ihn. Dies fördert eine „Peripherisierung“ des Kerns, seine Übernahme durch die Peripherie, einschließlich der unmittelbaren Gefahr eines wenn nicht Austauschs, so doch zumindest einer bedeutenden Modifikation der Eliten oder ihres Großteils. Aus diesem Grunde würde eine Demontage des Kapitalismus nach Vorbild der Demontage des Feudalismus die Krise nicht nach dem spätfeudalen, sondern nach dem spätantiken Muster verlaufen lassen. Im Grunde kombiniert sie Merkmale beider Krisen.

Es gibt weitere schlechte Nachrichten. Der Kapitalismus ist ein globales, geradezu planetares System, das auf der Ausbeutung nicht nur des Menschen, sondern auch der Natur basiert. Indem die gesamte Biosphäre in wirtschaftlichen Prozesse integriert wurde, brachte der Kapitalismus diese in eine ökologische, und die Menschheit damit in eine Ressourcenkrise. Typologisch hat es das seit der Krise des Jungpaläolithikums nicht gegeben. Und dabei sind die Ausmaße der heutigen Krise ganz anders dimensioniert als die der Krise des Jungpaläolithikums.

Die Demontage des Kapitalismus spielt sich also vor dem Hintergrund einer globalen Biosphären- und Ressourcenkrise ab, und zu den Merkmalen, die sie sich mit den Krisen der Spätantike und des Spätfeudalismus teilt, gesellen sich die ihrem Gewicht und ihren Folgen nach wesentlich schwereren Merkmale der Krise des Jungpaläolithikums. Wir haben es also mit einer Schachtelpuppe aus Krisen, mit einem Krisendomino zu tun, bei dem eine Krise die nächste, größere und schwerere, nach sich zieht.

Zu den Merkmalen der drei weiter oben beschriebenen Krisen treten bei der Demontage des Kapitalismus weitere. Erstens handelt es sich um eine Krise der westlichen Zivilisation in der Form, wie sie sich in den letzten tausend Jahren herangebildet hat. Zweitens handelt es sich auch um eine Krise des Christentums in all seinen Aspekten: im persönlichen (Konsum und Hedonismus anstelle der protestantischen Einstellung zu Arbeit, Sinnleere und mehr oder weniger aktives Nichtstun sowohl der Ober-, als auch der Unterschicht), sowie im allgemeinen (im Sinne einer Krise des christlichen Persönlichkeitstyps).

Drittens ist die Krise des Kapitalismus eine Krise der Zivilisation, d.h. der menschlichen Zivilisation in der Form, wie sie in den jüngsten 10-12 Tausend Jahren existiert. Die wissenschaftlich-technische Revolution hat die Menschheit inzwischen in ein Stadium gebracht, in dem immaterielle Faktoren (Information) Vorrang vor materiellen (realen) bekommen, und dabei handelt es sich nicht einfach um die nächste industrielle Revolution, sondern um etwas weit bedeutenderes, das man von seinen Auswirkungen mit der neolithischen Revolution vergleichen muss.


Welche Varianten der Entwicklung nach dieser Krise gibt es – gesetzt den Fall, es gelingt, diese möglichst ohne globale Katastrophen zu überstehen? Theoretisch sind einige Varianten möglich – von einer Hightech-Zivilisation des Typs, wie sie in früheren Science-Fiction-Werken beschrieben wurde bis hin zu futuroarchaischen Imperien, wie sie George Lucas in „Star Wars“ zeichnet. Am wahrscheinlichsten scheint derzeit die futuroarchaische Variante zu sein – eine Hightech-Welt und parallel dazu neoarchaische und selbst neobarbarische Strukturen.

Wie in der Zeit vom 14. bis zum 16. Jahrhundert wird es auf dem Planeten ein Mosaik aus verschiedenen Formen gesellschaftlicher, machtpolitischer und wirtschaftlicher Ordnungen geben. Neben hochmodernen Enklaven („regionale Wirtschaftszonen“ bei Kenichi Ohmae) wird es entmodernisierte, archaische und selbst asoziale Zonen geben.

Es scheint, als sei die heutige Zivilisation eine kurzzeitige Exponentialfunktion zwischen zwei Asymptoten gewesen – dem Paläolithikum und dem, was anstelle dieser Zivilisation rücken wird. Die Zukunft ist jedenfalls keine lineare Fortsetzung der Epoche des Kapitalismus, sondern etwas ganz anderes, das komplizierter und einfacher zugleich sein dürfte.

Das Entstehen dieses neuen Systems – und wie die Mehrzahl gesellschaftlicher Systeme wird es ungefähr 600, maximal 1.000 Jahre existieren – wird vor dem Hintergrund immer ungünstiger werdender Umweltbedingungen vonstatten gehen. Deshalb ist es durchaus möglich, womöglich auch unvermeidlich, dass sich einzelne Bereiche des Planeten archaisieren und barbarisieren. In jedem Fall wird eine der Hauptaufgaben der Menschen dieser insgesamt recht unsanften Zukunft darin bestehen, Wissen zu bewahren und sich gegen Naturkatastrophen zu wappnen – vor allem gegen eine neue Eiszeit. Freilich muss man sich diese Zukunft, die in etwa in das 23. bis 30. Jahrhundert fallen wird, im heutigen 21. und im 22. Jahrhundert erst noch erkämpfen.

Was könnte man den Damen und Herren Demonteuren entgegensetzen? Es ist nicht viel, aber auch nicht gerade wenig: Willen und Verstand. Den Willen, dem sozialdarwinistischen Fortschritt die Ethik der Brahmanen und Kshatriyas entgegenzusetzen. Mit anderen Worten, der Ethik der Geldwechsler mit ihrer Geschäftsphilosophie muss die Ethik der Krieger und Priester entgegenstehen. Den Verstand als neues, rationales Wissen über die Welt. Eine neue Ethik und neues Wissen – das wären Schild und Schwert gegen die Zivilisation der Geldwechsler. Ist der Sieg damit garantiert? Mitnichten. Sieg ist die Frucht eines Kampfes. Garantiert ist damit aber Wille zum Sieg und Würde als Zustand des Geistes und der Seele. Und die Hoffnung darauf, dass wir die Krise, in die der Kapitalismus und die westliche Zivilisation heute stürzen, überstehen werden und wir an Bord des Schiffs bleiben, das auf den Wellen des Ozeans der Zeit dahingleitet.


Quelle, 02.05.2022

Fußnoten

¹ siehe z.B. Richard Lachmann, „Capitalists in Spite of Themselves: Elite Conflict and Economic Transitions in Early Modern Europe“. New York: Oxford University Press, 2000.