Nach Herrn Kerry eilt der britische Premier Cameron nach Moskau. Zum gleichen Thema – Syrien. Das Motto dieser Visiten: “Die Gewalt nimmt weiter zu, deshalb müssen wir schleunigst einen Ausweg aus dieser Situation besprechen.”

Die Frequenz, mit der Führungspersönlichkeiten und oberste Amtsträger derzeit in Moskau vorsprechen, zeugt zweifelsfrei von zwei Fakten: Erstens, die Lage in Syrien bricht insgesamt tatsächlich zugunsten der legitimen syrischen Regierung um. Geht es so weiter, wird die Lage bald irreversibel, wenn sich nicht schnell jemand einmischt – die rein militärische Niederschlagung der “terroristischen Internationale” ist durchaus wahrscheinlich.

Zweitens, der Iran hat keinerlei Anstalten gemacht, auf die Winke und Augenzwinkereien der USA einzugehen und lehnt ein “Einlenken”, d.h. einen Deal mit dem Westen, ab – exemplarisch dafür die entsprechenden Äußerungen des Großayatollah vom Februar und März diesen Jahres. Damit kann man die hier mal erfolgte Spekulation eigentlich größtenteils ad acta legen. Man hat zwar erreicht, dass der Iran bei den Verhandlungen zum Atomprogramm Zugeständnisse gemacht hat, aber es scheint, als sei es nicht das gewesen, was die USA wirklich interessiert hat. Die Phase der Präsidentschaftswahlen im Iran beginnt gerade erst, aber es ist bereits absehbar, dass die Reformer aus der Gruppe Rafsandschānī eigentlich chancenlos sind. Es sieht nicht nach Änderungen in der Politik des Iran aus. Aber in der Richtung muss “gearbeitet” werden – die nächste Chance kommt nicht so schnell.

Kerry und Cameron werden in Moskau folglich ihrerseits gewisse Deals angeboten haben. Einen anderen Grund für die plötzlichen Aufmärsche in Moskau gibt es nicht. Es ist jedenfalls nicht plausibel, dass die Sponsoren der Aggression gegen Syrien plötzlich wegen der dort herrschenden Gewalt besorgt sind.

Möglich ist nämlich, dass die westlichen “Partner” Russlands unter dem Deckmantel von Gesprächen zu Syrien das altbewährte Schema “angelsächsischer” Politik fahren: in einer bestimmten Frage wird Druck bis hin zu Drohungen aufgebaut, wonach man sich betont unwillig auf frühere Positionen zurückzieht und dabei Zugeständnisse in einer ganz anderen Sache bekommt. Simpel, aber seit Jahrhunderten bewährt.

Syrien ist Russland viel zu wichtig. Und dabei ist für Syrien ein Sieg möglich. Der Westen muss folglich drohen, die Lage zurück ins totale Chaos zu stürzen, bis hin zum Szenario einer direkten militärischen Intervention. Das Ziel der Amerikaner ist aber der Iran. USA und Großbritannien können sehr wohl bezüglich Syrien zurückrudern und dafür von Russland Neutralitätszusicherungen hinsichtlich ihrer Aktionen im Iran erwirken.

Das Problem für Russland besteht darin, dass eine “Iran-Krise” höchstwahrscheinlich von Aserbaidschan aus lanciert wird. Das kann man aus den Meldungen der vergangenen Wochen und Monate eigentlich recht deutlich erkennen. Die aserbaidschanischen Medien begannen recht exakt zum Zeitpunkt des Beginns der diesjährigen Präsidentschaftswahlen im Iran, bzw. ungefähr zum Zeitpunkt des Beginns der Registrierung der Kandidaten, deutliche anti-iranische Kampagnen, wo der Iran vielleicht noch nicht ganz als Feind, aber doch als schwieriger Nachbar dargestellt wird. Die Inhalte und Vorwände variieren, derzeit sind es gewisse Verhaftungen von Aserbaidschanern im Iran auf Grundlage von Spionagevorwürfen. Vesti.az exemplarisch zum Tenor:

Dort ist es inzwischen einfach nur gefährlich für Aserbaidschaner. Jeder Aserbaidschaner läuft Gefahr, im Iran als Geisel genommen zu werden, wonach man aus ihm Geständnisse über die Verbindung zum Mossad herausprügeln wird… nach den Worten des Analytikers [der Chef des aserbaidschanischen “ATLAS-Zentrums für politische Forschung” Elhan Schahinoglu - apxwn] seien die Worte Ahmadinedschads über seine Liebe zu Aserbaidschan eine glatte Lüge… usw.

Auf die gleiche Weise äußern sich in dem Beitrag bei Vesti.az ranghohe Militärs, ehemalige Präsidentenberater und andere “hohe Tiere”. Sieht ganz so aus, als mache man den Iran in den Augen der Aserbaidschaner langsam und stetig zu einer Ausgeburt der Hölle. Wenn es bei um die oder nach den Präsidentschaftswahlen zu erwartenden (weil geplanten) Unruhen im Iran gelingt, den Eindruck von gepeinigten, unterdrückten, gevölkermordeten iranischen Aserbaidschanern zu vermitteln, so hat man den Boden für das übliche “alle Optionen auf dem Tisch” schon bereitet.

Bestimmte aserbaidschanische Politiker werden aktiv, speziell solche, die noch vor ungefähr einem Jahr mit der These aufgetreten sind, ihr Land in “Nordaserbaidschan” umzubenennen – als Analogie zu Nord- und Südkorea, weshalb es also auch Nord- und Südaserbaidschan (also den jetzt iranischen Teil) geben könne, und Westaserbaidschan (sprich Armenien) gleich mit.

Kurzum, es gibt die Wahrscheinlichkeit von Provokationen aus Richtung Norden. Und damit zurück zu Kerry und Cameron in Moskau und dem, was Russland zu überlegen hätte, wäre die russische Neutralität zu den geplanten Vorgängen im Iran wirklich des Pudels Kern: Spannungen in Transkaukasien bleiben nicht dort stecken, sondern schwappen unweigerlich in den ohnehin geladenen Nordkaukasus über. Die USA müssten der aserbaidschanischen Führung zusichern können, dass Russland bei jeglicher Reaktion auf Vorgänge im Innern des Iran neutral bleiben wird.

In diesem Lichte sieht auch der Angriff Israels auf Damaskus etwas anders aus. Israel demonstriert nicht Syrien, sondern Russland, dass – sollten die Russen beim Angebot von Kerry und Cameron etwa starrköpfig sein – die israelischen Angriffe gegen Syrien auch auf die Gefahr eines größeren regionalen Konflikts hin weitergehen werden. Israel fürchtet Syrien nicht, das ist Fakt. Aber es braucht auf Teufel komm raus den Iran. Und den fürchtet es.

Die USA, Großbritannien und Israel spielen ein und dasselbe Spiel. Sie überlassen Syrien Russland im Austausch für den Iran. Der “Austausch” wäre recht unvorteilhaft, da die syrische Regierung sich inzwischen wirklich recht gut freigekämpft hat und die Entwicklung positiv ist. Aber die Aggressoren müssen den Eindruck erwecken, dass sie das nicht zulassen. Egal wie: “chemische Waffen”, Bewaffnung der “Rebellen”, direkte Angriffe auf das syrische Militär und so weiter. Ein Bluff. Aber sehr überzeugend. Der israelische Angriff auf Damaskus ist überzeugend. Die durch den US-Kongress beschlossene Bewaffnung der “Rebellen” ist es auch.

Kerry und Cameron wollen Putin glauben machen, dass sie weiterhin Druck auf Syrien ausüben und ihn erhöhen werden. Sobald er daran glaubt, bieten sie ihm den Tausch. Dabei drängt die Zeit, die Präsidentschaftswahlen im Iran sind bereits am 14. Juni.

Kann man “dem Westen” vertrauen? Natürlich nicht. Es wird so oder so weiterhin Druck auf Syrien geben. Wenn jetzt nicht mehr, so später sicher wieder. Dabei wäre der simpel ausgedrückte “Austausch” Syrien gegen Iran natürlich abzulehnen. Der Iran schafft das allein. Genau wie Syrien. Es sei denn, sie werden zynisch verraten, und das wahrscheinlich – wie gehabt – ohne irgendwelche Vorteile für den, der sie verrät. Auf einen Bluff hereingefallen, der freilich sehr überzeugend daherkommt.