In den inzwischen fast vier Jahren blühender Freiheit und Demokratie ist Libyen ein Aushängeschild und Paradebeispiel US-amerikanischer Außenpolitik geworden, ein anschauliches Beispiel für die Errungenschaften der Feste von Freiheit und Demokratie, ähnlich, wie seinerzeit die Deutsche Demokratische Republik ein Aushängeschild für die Politik der Sowjetunion war. Die sogenannten „farbigen Revolutionen“, wie der „Arabische Frühling“ eine gewesen ist, haben dabei längst nicht mehr das Ziel, ein „Regime“ zu beseitigen und loyale Machthaber zu installieren. Für die USA und die NATO ist es viel vorteilhafter, in den interessierenden Ländereien schwache Regierungen und Politiker an die Reste der Staatsmacht zu bringen, die bis Oberkante Unterlippe mit inneren Problemen und Chaos beschäftigt sind und bestenfalls noch die Mittel haben, einige der staatlichen Funktionen – besonders die exportorientierten – halbwegs am Laufen zu halten. Wenn das „gesteuerte Chaos“ wurde in vielen Fällen als Rammbock gegen unliebsame Regierungen verwandt wurde, ist es heute Selbstzweck und wird auf halbem Wege in nur dosiert gelenkte Prozesse entlassen, der überwiegende Rest soll aber Chaos bleiben.

In diesem Sinne ist Libyen wirklich ein Schüler mit Bestnoten – alles läuft, wie es laufen soll. Die durchaus „pro-westlichen“ Ali Seidan und Mahmoud Dschibril wurden von Islamisten der Kategorie „Moslembrüder“ hinweggefegt, die, wie sattsam bekannt, wiederum von Katar, dem regionalen Umsetzer US-amerikanischer Außenpolitik finanziert und organisiert werden. Nun gibt es eine neue Personalie – den US-amerikanischen Staatsbürger General Khalifa Haftar, der über 20 Jahre in den Staaten verbracht hat und kein Hehl aus seinen Verbindungen zur CIA macht; dieser geht nun seit ein paar Wochen verstärkt an die Beseitigung der Islamisten.

General Khalifa Haftar

General Haftar hat dabei offensichtlich Ambitionen, zum „Chef von Libyen“ zu werden, oder zumindest eine Art Erster unter Gleichen, analog zu as-Sisi in Ägypten. Vor zwei Wochen begannen ihm loyale Truppen mit dem Ausräuchern von Salafiten der „Ansar al-Scharia“ in Bengasi; die Opfer gehen inzwischen in die Hunderte. Kurz darauf führte er bewaffnete Kämpfe in Tripolis und ließ das Parlament besetzen.

Genau wie Naliwaitschenko in der Ukraine ist Haftar engstens mit dem CIA verbandelt. Nach dem Krieg gegen Tschad floh er 1990 aus Libyen, kehrte 2011 in der heißen Phase des Kriegs gegen Libyen zurück und versuchte sich nach dem Untergang Gaddafis in der Schaffung eines Generalstabs der Armee. Die „revolutionären Massen“ lehnten seine Initiative aber ab, so dass er sich ein neues Betätigungsfeld suchen musste – im Wesentlichen war das der Kampf gegen Salafitenbrigaden, anfangs – im Einklang mit der damaligen Politik Obamas – in Allianz mit den „Moslembrüdern“. Die „Ansar al-Scharia“ sind Zöglinge Saudi-Arabiens, seit jeher in Opposition zu den „gemäßigten“ Islamisten und naturgemäß zu den säkularen Eliten Libyens. Gegenüber den lokalen Milizen in Zintan und Misurata verhielt sich die „Ansar al-Scharia“ größtenteils neutral, aus diesem Grunde sind diese an den gegenwärtigen Rangeleien weder für noch gegen Haftar beteiligt.

Die vier militärischen Hauptmächte in Libyen und ihre etwaige Lokalisation. Das “Schild Libyens” ist der Rest eines Versuchs, verschiedene Rebellengruppen unter einem Kommando zu sammeln und untersteht Misurata. Die “offizielle” Armee untersteht dem Verteidigungsministerium, das von Zintan kontrolliert wird. Die “Erdölverteidigungsgarde” ist eine eigenständige Struktur mit Kommando in Adschdabiya, die “Barqa” untersteht dem Rat der Kyrenaika mit Sitz in Bengasi. Dazu kommen Unmengen an kleineren Banden und Gruppierungen sowie die Islamistenbrigaden, insb. in Sebha und Derna.

Von einer unabhängigen oder selbständigen Position Haftars kann alles in allem keine Rede sein. Er tritt lediglich als einer der aktuellen Umsetzer von Interessen auswärtiger Stakeholder auf und macht offensichtlich die „Drecksarbeit“.

Schafft er es, das „Ansar al-Scharia“-Problem in Libyen in den Griff zu bekommen, so wird sein politisches Gewicht sicher erst einmal zunehmen.

Welche Politik er dann verfolgt, wird sicherlich nicht in Tripolis entschieden, weil das Konzept eines Failed State solche Eigenmächtigkeiten gar nicht vorsieht. Dabei kann es gar keinen Zweifel daran geben, dass wenn ihm auch nur ein Minimum an Ordnung und Stabilität gelingen sollte, die Amerikaner ohne mit der Wimper zu zucken die nächste Mischpoke dazu anstiften und finanzieren, wieder für Chaos zu sorgen – und sei das auch der mythische „Grüne Widerstand“. Hauptsache, es kommt zu einer neuen Runde an Unruhen, und nach dieser nächsten Runde unterstützen sie wieder die anderen „Gegner“, und so weiter.

Überhaupt bieten der Nahe Osten und Nordafrika ein umfangreiches Lehrmaterial. Wir haben Libyen, wo man anschaulich erkennen kann, was mit den Völkern passiert, die ihr eigenes Land um irgendwelcher schwammigen Ideale willen zerstören. Wir haben Ägypten, wo man – besonders derzeit – sehr gut sehen kann, auf welche Weise man gegen eine selbst schon siegreiche „Farbige Revolution“ vorgeht, und wir haben Syrien, das überhaupt zum Versuchsfeld aller erdenklichen Vernichtungsmethoden widerborstiger Staatswesen und dessen Repräsentanten ist. Es hätte den Ukrainern zweifellos geholfen, sich diese Dinge einmal zu betrachten, bevor sie sich vor den Karren der Imperialisten von der anderen Seite des Ozeans spannen ließen.