Sie ist schon seit ein paar Tagen draußen, die neue Wochenschau namens “Umgestaltung der Welt”. Die aktuelle Folge widmet sich vollumfänglich den Umständen des Todes eines der wahrscheinlich letzten herausragenden Männer unserer Zeit – Oberst Muammar al-Gaddafi. Damit sind die russischen Kollegen natürlich nicht die einzigen. Gaddafi war vor ein paar Tagen in vielen Berichten wieder Thema. Die meisten werden es mitbekommen haben.

Der Autor der “Umgestaltung der Welt”, Jewgenij, hat natürlich recht – die Sache wurde praktisch gleich nach der Vorführung des Chefs der Leibwache des Oberst, Mansur Dao, mysteriös. Gaddafi wurde recht “frisch”, mit nur leichter Blessur im Gesicht, gar mit sauberen Händen aus dem Drainagerohr gezogen – und das nach über einem Monat, die er in einem Keller in Sirte verbracht haben soll, nach der Flucht des Autokonvois, dessen Bombardierung und der Erschießung aller Beteiligten – bis auf Mansur Dao. Dazu noch die goldene Pistole, ein paar Audiobotschaften (vom Oberst?). Die eilige Hinrichtung Mutassims, Gaddafis verschwundener Pressesekretär – mit anderen Worten, schon Anfang November vorigen Jahres wies ziemlich vieles darauf hin, dass hier Theater gespielt wurde. Insofern ist Tripolis der Ort, der für eine Ergreifung Gaddafis am wahrscheinlichsten ist. Dazu werden auch die NATO-Sondereinheiten an Land gegangen sein. Doch sicher nicht dazu, die schwangere Aischa zu fangen. Die damals in Tripolis festgestellten SAS werden wohl kaum unverrichteter Dinge wieder abgezogen sein.

Was muss man der Welt denn nach dem Tod Miloschewitschs, Saddam Husseins, dem ins Koma gejagten Mubarak, dem erhängten Nadschibullāh, MacCains Drohungen gegen Putin noch alles demonstrieren, damit die Menschen begreifen, was vor sich geht? Die Zeiten der edlen Dons sind vorbei. Man mordet. Entweder einfach und direkt ohne Spitzfindigkeiten, oder in komplizierten Schach- und Winkelzügen. Und eine “Pfählung”, wie Peter Scholl-Latour den Tod Gaddafis beschrieb, ist offenbar der Trend der Saison.

Man könnte sich ja langsam einmal fragen, warum die einen das können, die anderen aber nicht. Wodurch zeichnet sich denn jener füllige Emir Hamad vor allen anderen aus? Aus welchem Grunde soll denn Genosse Bürger Erdoğan ein solches Juwel für die Menschheit sein? Was ist denn mit den Weisen von House & Hill, dass sie so unantastbar und erwählt sein sollen, dass sie über Leben und Tod entscheiden dürfen, sie selbst aber keinen Mucks abbekommen dürfen? Je später der Abend, desto rhetorischer die Fragen.

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*Anmerkung. Die aktuelle Ausgabe der “Umgestaltung der Welt” enthält zwei Fehler. Erstens, in der ersten Zwischenüberschrift wird ein Umlaut nicht richtig abgebildet. Das haben die Russen nicht erkannt. Zweitens, der kurze Ansagetext bei 08:43 (“Der Mord an Gaddafi ist das Werk internationaler Geheimdienste…” – ein Zitat von Mahmud Dschibril) gehört nach 09:34. Letzteres ist die Schuld des Autors dieses Blogs. Die deutsche Vertonung entstand in Aserbaidschan, es war sehr heiß…*

Update. Die Fehler wurden inzwischen behoben!

Spezialausgabe. Wer hat Gaddafi wirklich umgebracht?

In dieser Ausgabe wird eine Version des Todes von Gaddafi vorgestellt, die auf offenen, aber kaum beachteten Quellen beruht. Wir selbst sind der Meinung, dass die Ergreifung und der Mord am Oberst eine Inszenierung gewesen sind, doch wir gehen davon aus, dass jeder für sich selbst seine Schlüsse ziehen wird. Schritt für Schritt wollen wir versuchen zu zeigen, wie schmutzige politische Spielchen getrieben werden und wie wenig dabei ein Menschenleben wert ist. Wir wollen vorwegschicken, dass einige Bilder dieser Folge zu gewaltsam für Frauen, Kinder und unausgeglichene Personen sein könnten.

Der Mann, der Gaddafi tötete

In dieser Woche fand in Misurata die pompöse Bestattung eines der Kämpfer gegen das Gaddafi-Regime statt. Solch hohe Ehren wurden Omran Dschumaa ben Schaaban für seine herausragende Tat, die Ergreifung Gaddafis, zuteil. Er war es, der den Oberst in dem Drainagerohr auffand. Die Bilder, die um die Welt gingen, zeigen, wie der Rebell freudig vor der Kamera posiert und den wehrlosen Mann verspottet. Er hatte weniger als ein Jahr, um in seinem Ruhm zu baden. Omran ben Schaaban teilte das traurige Schicksal des Oberst.

Im Juli diesen Jahres wurde ben Schaaban mit dreien seiner Mittäter in wichtiger Mission nach Bani Walid gesandt. Bemerkenswert, dass alle drei seiner Begleiter ebenso bei der Ergreifung Gaddafis zugegen waren. Diese ganze verdiente Truppe wurde also nach Bani Walid entsandt, um dort mit den Ältesten über die Freilassung von zwei dort festgehaltenen Journalisten zu verhandeln. Bani Walid ist die Stadt, die bis zuletzt für Gaddafi kämpfte, weder die täglichen NATO-Bombenangriffe, noch die zahlreichen Erstürmungsversuche der Rebellen konnten den Widerstand brechen. Durch ihre Standhaftigkeit hat diese Heldenstadt sich das Recht verdient, in der gegenwärtigen Zeit recht autark gegenüber den neuen Machthabern zu sein. De facto ist sie selbständig – die neue Hymne wird dort nicht anerkannt, in den Schulen gelten die alten Unterrichtsprogramme. Die neue Staatsmacht kann nichts dagegen unternehmen. Bani Walid ist die Hauptstadt des Warfalla-Stamms, und die Leute dieses Stamms haben keine Veranlassung, die proamerikanischen Machthaber zu lieben. Unter Gaddafi hatte dieser Stamm zahlreiche Privilegien, nunmehr sind die Warfalla von allen höheren Regierungsposten vertrieben worden und werden regelrecht diskriminiert. Es scheint fast, als müsse die neue Staatsgewalt die aufmüpfige Stadt erneut stürmen, damit dieses Problem ein für alle Mal gelöst ist. Doch das ist nicht machbar. In Bani Walid leben insgesamt rund 100.000 Menschen, und die sind bestens bewaffnet und an diesen Waffen ausgebildet. Wenn die Stadt selbst mit Unterstützung der NATO-Luftwaffe nicht gefallen ist, so sollte man sich jetzt da gerade heraushalten.

Deshalb entsenden die neuen Machthaber auch “diplomatische Vertreter” nach Bani Walid, als sei das kein libysches Territorium, sondern ein Nachbarstaat.

Also kam ben Schaaban mit drei genau solch Halbstarken und fehlgeleiteten Revoluzzern, wie er selber einer war, nach Bani Walid. Die Ansässigen haben aber angesichts solch hoher Gäste die Regeln der Diplomatie glattweg vergessen und alle vier eingesperrt. Was dort mit ihnen geschah, kann man nur mutmaßen. Um diese neuerlichen Gefangenen freizuhandeln, kam der zeitweilige libysche Führer, Mohamed Yusuf Al Magariaf, persönlich vorbei.

Die Ansässigen gaben nur drei Gefangene, darunter ben Schaaban, heraus. Der vierte, so muss man annehmen, hat diesen Zeitpunkt einfach nicht mehr erlebt. Aber auch die Befreiten sahen nicht gerade gut aus: ben Schaaban war gelähmt, er wurde schleunigst in ein Krankenhaus in Paris überführt, aber auch die dortigen Leuchten der Medizin konnten nichts mehr retten.

“Der Mann, der Gaddafi fing” starb nach wahrscheinlich noch schrecklicheren und länger dauernden Foltern als der Oberst.

Zu viele Zufälle

Und hier beginnt der intrigante Teil. Der Hauptheld der Festsetzung Gaddafis ist tot, drei seiner Kumpane sind entweder tot oder nahe daran. Mehr noch, weitere drei Männer, die am Mord an Gaddafi beteiligt waren, sind kurz zuvor unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommen. Noch ein wenig, und es wird keine lebenden Zeugen der Ermordung des Oberst mehr geben. Passiert das rein zufällig? Es sieht nicht so aus. In dieselbe Verkettung von Umständen passt auch der kürzliche Mord am US-amerikanischen Botschafter Christopher Stevens, welcher einer der Organisatoren der Aggression gegen Libyen war und mit Sicherheit von vielen Einzelheiten Kenntnis hatte.

Dabei ist es in dieser Woche zu einem weiteren Skandal gekommen – in den USA wurden die Tagebuchnotizen von Botschafter Stevens veröffentlicht. Darin schreibt er, dass sich die Siutation in Benhazi verschlechtert, er spüre von dort ausgehende Gefahr und fordert von State Department eine Verstärkung seiner Leibwache, dieses reagiert aber nicht. Auch die neuen libyschen Machthaber hatten vor einem Angriff auf das Konsulat gewarnt.

Nun hat das State Department sich entrüstet gezeigt, dass die Journalisten Stevens’ Tagebuchnotizen veröffentlicht haben, dabei wurde aber bestätigt, dass der Angriff tatsächlich geplant gewesen ist.

Allerdings zurück nach Libyen. Es sind also fast alle Zeugen der Ermordung Gaddafis tot, der informierte Botschafter ist tot, aus dem zerstörten Konsulatsgebäude wurden Dokumente gestohlen. Weshalb beseitigt man die Spuren? Doch scheinbar dazu, dass niemand mehr übrig bleibt, der Zeuge dessen ist, was Gaddafi wirklich widerfuhr. Und warum passiert solches ausgerechnet jetzt? Am 20. Oktober jährt sich der Todestag Gaddafis zum ersten Mal. Kurz danach sind Präsidentschaftswahlen in den USA. Jemand könnte eine nette Mine unter Obamas Hintern platzieren, indem er hässliche Informationen an die Öffentlichkeit gibt. Eine Mine, von deren Folgen er sich bis zur Wahl nicht mehr erholen kann.

Der Mord an Gaddafi

Gehen wir ein Jahr zurück und schauen uns die Ereignisse damals vom heutigem Standpunkt aus an. Im Oktober geriet die Situation in eine Sackgasse. Ungeachtet dessen, dass ein bedeutender Teil des Territoriums unter der Kontrolle der Rebellen stand, haben die Städte Sirte und Bani Walid jegliche Angriffe erfolgreich abgewehrt. Gaddafi selbst lebte und wahr allem Anschein nach in Sirte. Die NATO-Luftwaffe bombte und bombte, unter Trümmern und Zementstaub wurden mehr und mehr Zivilisten begraben. So konnte es nicht weitergehen, denn schon damals stand ja Syrien in der Warteschlange, wo eine ganz ähnliche Militärkampagne vorgesehen war.

Und nun Achtung. Am 19. Oktober, am Tag vor der Gefangennahme Gaddafis, kommt die US-Außenministerin Hillary Clinton plötzlich und unangekündigt nach Libyen. Sie trifft sich mit dem damaligen Chef des Nationalen Übergangsrates Mahmut Dschibril. Was war der Grund für die Eile und den Anflug des nicht eben ungefährlichen Flughafens in Tripolis? Die Sache ist die, schon zu diesem Zeitpunkt sprach die NATO-Einsatzleitung offen davon, sich in Bälde aus Libyen zurückzuziehen. Die zeit drängte, das Budget ächzte, Syrien stand bevor, und das, was in Libyen vom Zaun gebrochen war, sollten die Rebellen selbst zu Ende bringen. Doch wie sollte man sich aus Libyen zurückziehen, ohne das Hauptziel erreicht zu haben, wenn nämlich Gaddafi noch lebt? Das würde der amerikanische Fernsehzuschauer nie verzeihen, auch nicht die europäischen Steuerzahler. Damals ging Frankreich ja den Wahlen entgegen, auch die in den USA konnte man schon am politischen Horizont erahnen. Kurzum, es war undenkbar, sich aus Libyen zurückzuziehen, ohne Gaddafi umgebracht zu haben. Die Wähler hätten es sonst nicht zugelassen, in den nächsten Ländern – allen voran Syrien – Druck aufzubauen.

Wie auf Bestellung wird Gaddafi am nächsten Tag gefangen. Allerdings unter sehr rätselhaften Umständen. Es wird gemeldet, dass er in einem Autokonvoi Sirte verlassen hat. Die NATO-Luftwaffe griff diesen Konvoi an, doch der Oberst entkam dem Angriff und verbarg sich in einem Wasserrohr, wo er dann von unserem Helden Omran ben Schaaban gefangen wurde. Die Gefangennahme sah dabei doch recht theatralisch aus. Aus irgendeinem Grund hatte Gaddafi seine Paradeuniform an, in der man ihn von den Fernsehbildern kannte. Er hatte seine goldene Pistole dabei, das besondere Merkmal, welches das Bild eines arabischen Diktators in der Vorstellung der Fernsehzuschauer noch vervollständigte. Wie dem auch sei, wichtiger ist, dass der Leichnam Gaddafis nach der ganzen großen Show einfach verschwand. Erst ließen die neuen libyschen Machthaber verlauten, er sei an einem geheimen Ort bestattet worden, dann hieß es, der Leichnam sei eingeäschert worden, wonach man die Asche im Meer ausstreute. Damit war die Sache erledigt, ganz ähnlich wie im Fall mit Osama bin Laden.

Direkt nach der Ermordung Gaddafis stellt die westliche Koalition die Militäroperation in Libyen ein, die öffentliche Wahrnehmung schwenkt auf Syrien um. Die Fragen bleiben aber bestehen. Wer hat denn nun wirklich Gaddafi umgebracht, falls er überhaupt umgebracht wurde?

The Missing link

Wir erwähnten ja bereits Mahmud Dschibril, der am Tag vor Gaddafis Tod von Clinton besucht wurde. Dieser Tage ließ der gute Alte eine interessante Verlautbarung ab. Auf der Kairoer Konferenz der Länder des “Arabischen Frühlings” gab er dem ägyptischen Fernsehkanal “Dream TV” ein Interview, in welchem er den Mord an Gaddafi direkt einem “internationalen Sicherheitsdienst” anlastete.

Der Mord an Gaddafi ist das Werk internationaler Geheimdienste, und nicht etwa der libyschen Revolutionäre, wie es alle glauben. Ziel war es, Gaddafi zum Schweigen zu bringen, denn er kannte viel zu viele Geheimnisse und besaß immer noch einiges an Geheimdokumenten.

Auf diese Weise rückt alles an den rechten Platz: Gaddafis verdächtig theatralischer Tod, die Vernichtung des Leichnams, die methodische Liquidierung aller Zeugen, der rätselhafte Mord am amerikanischen Botschafter Christopher Stevens, das Verschwinden seiner Archive.

Es ist möglich, dass Gaddafi lange vorher von Sicherheitsdiensten festgesetzt wurde, vielleicht noch als Tripolis gefallen ist. Man ließ das jedoch nicht an die Öffentlichkeit gelangen, da man ihn eben noch ein wenig bearbeiten musste. Ausserdem brauchte man da noch die Bedrohung durch einen nicht zu fangenden Gaddafi, um weiter militärisch gegen seine Anhänger vorgehen zu können.

Es gibt natürlich auch noch die Version, dass Gaddafi gar nicht umgebracht wurde, sondern in eines der afrikanischen Nachbarländer fliehen konnte. Der Welt wurde eine Inszenierung vorgeführt, die entweder vorher oder mit einem Doppelgänger des Oberst gefilmt worden war. Wie es wirklich gewesen ist, wissen wir nicht, doch wir werden versuchen, die Sache in künftigen Folgen weiter im Auge zu behalten.

Nachwort

Am 6. September veröffentlichte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch einen Bericht, aus dem hervorgeht, dass die westlichen Geheimdienste bereits seit 8 Jahren faktisch direkt mit Gaddafi zusammengearbeitet haben. Seine Feinde wurden weltweit verfolgt und aufgespürt, sie wurden verhört und gefoltert und dann in die Hände des Oberst nach Libyen ausgeliefert, der ihnen gegenüber durchaus nicht immer gnädig war.

Tags zuvor hat Mauretanien den ehemaligen Geheimdienstchef der Dschamahirija, Abdallah as-Senussi, an Libyen ausgeliefert. Dieser Mann ist Träger von höchst wichtigen Geheimdienstinformationen, die sich jetzt “unter Kontrolle” befinden.

Am 27. September, nach der Veröffentlichung von Stevens’ Tagebüchern, forderte der US-Kongress von der Obama-Administration eine vollständige Aufklärung der Vorfälle. Das State Department ließ eine Untersuchungskommission bilden, welche im kommenden Frühjahr einen Bericht zu den Ereignissen liefern soll, aber die Senatoren von den Republikanern sind ungeduldig. Sie wollen natürlich noch vor den Präsidentschaftswahlen die entsprechenden Ergebnisse bekommen.