Man kann zu den Versionen (und insbesondere der Iran-Version), welche erklären helfen sollen, weshalb Israel plötzlich von der Kette gelassen worden ist, durchaus unterschiedlicher Meinung sein, aber sehenswert ist die Analyse in der heutigen Folge der russischen Wochenschau sicherlich. Nur ein Beispiel – ich kann die Dinge, welche angeblich aus dem letzten IAEA-Bericht (der bis dato noch nicht veröffentlich worden ist) nacherzählt werden, nicht in den Meldungen der Medien nachvollziehen. Insofern ist das Garn, das hier gesponnen wird, einigermaßen originell, auch innerhalb der diversen russischen Sichtweisen (und zum Angriff auf Gaza reicht die Meinung auch in Russland von “ist eine vollkommen eigenständige Entwicklung” bis “das hat mit Syrien und Libanon zu tun”).

Aus diesem Grunde vielleicht noch ein erweitertes Vorwort.

Israel stellte der Hamas heute ein Ultimatum – wenn die Hamas bis Dienstag nicht aufhört, mit Raketen herumzuballern, könne die Militäroperation “ausgedehnt” werden. Man bekommt wirklich den Eindruck, als haben die Konfliktparteien ihre Lagerlisten ausgetauscht, auf denen vermerkt ist, wieviel Munition bis jetzt verpulvert wurde. Die gedankenschweren Hintermänner überlegen sich gemeinsam, wann die Vorräte der Hamas zur Neige gehen dürften, und nennen genau diese Frist als gar schreckliche Deadline in ihrem Ultimatum.

Die Israelis versuchen ja wahrscheinlich gerade selbst indirekt, die Version mit einer Vorbereitung des Angriffs auf den Iran zu erzählen. Die Beharrlichkeit, mit der dieses unheimlich geheime Militärgeheimnis in den Meldungen mitschwingt, führt aber zu dem Gedanken, dass die Sache sich einfacher und etwas naheliegender verhält. Einerseits bekommt die Hamas eine Entschuldigung gegenüber der iranischen Führung geliefert – “Sorry, Jungs, aber ihr müsstet uns schon noch ein paar Tausend Raketen geben, wir ha’m nix mehr, um Krieg zu führen”. Und auf der anderen Seite versucht Israel wiederum, den Iran zu schrecken, nachdem der IAEA-Bericht nun von der morgen schon fertigen iranischen Atomkeule spricht (oder sprechen soll).

Das nun ist aber nicht mehr lustig. Denn, genauer betrachtet, löst Israel seine Probleme und sitzt dabei in einem Boot mit Katar – der Hamas wird Gelegenheit gegeben, all ihre Raketen in den blauen Himmel zu ballern, alle dem Katar gegenüber illoyalen Militärkommandeure der Qassam-Brigaden werden ausgeschaltet, und auf diese Weise dirigieren die Israelis palästinensische Kämpfer Richtung Syrien – die Hamas hat ja dann einfach nichts mehr, womit sie gegen Israel Krieg führen könnte. Der Katar bekommt einige Tausend durchaus kampferprobte “Rebellen”, und der Iran muss von seinem ohnehin schon dahinschmelzenden Budget weitere Ressourcen für die Aufstockung der Hamas-Munitionslager lockermachen. Alle tun ihre Arbeit und profitieren. Mit Ausnahme natürlich der einfachen Palästinenser, die für solche trickarmen Kombinationen mit ihren Leben bezahlen müssen. Die Sache mit Katar und Palästina ist dann auch einen eigenen Text wert. Bald.

Wie dem auch sei, Film ab.

Das wichtigste Ereignis der Woche war die Entwicklung der Situation im Gazastreifen, doch davon später, zuerst soll es um Syrien gehen. Die Kampfhandlungen konzentrierten sich an der syrisch-türkischen Grenze in der Stadt Ras Al Ain. Von türkischer Seite aus sind mehr als 1.000 Rebellen in die Stadt eingefallen, die ganze Woche lang hielten dort die erbitterten Kämpfe an. Die türkische Stadt Ceylanpinar, die sich einfach auf der anderen Straßenseite befindet, ist faktisch zu einer Basis der Rebellen geworden. Die Zivilbevölkerung wurde von dort evakuiert, an der Grenze entlang sind türkische Panzerfahrzeuge zusammengezogen worden, die türkische Luftwaffe absolviert Patrouillenflüge entlang der Grenze. Das hat es den Rebellen gestattet, sich bei Notwendigkeit frei auf türkisches Territorium zurückzuziehen, ihre Verwundeten versorgen zu lassen, Waffen und Munition aufzufüllen und sich umzugruppieren. Besonders pikant ist die Sitation dadurch, dass Ras Al Ain als kurdische Stadt gilt. Sowohl die Türkei als auch die Rebellen haben Interesse daran, sie unter ihre Kontrolle zu bringen – das würde es gestatten, einen neuen Korridor zu schaffen und ihn in die weitläufige Grenzregion auszudehnen. Assad nun hat genau entgegengesetzte Ziele – die Stadt muss um jeden Preis gehalten werden, dabei soll den Kurden die Fähigkeit demonstriert werden, das eigene Territorium und ihre Existenz zu schützen. Dies sind die Gründe der erbitterten Konfrontationen in diesem Gebiet.

Man muss dabei feststellen, dass je näher der Winter rückt, desto eifriger versucht die Türkei, die syrische Frage zu lösen. Das liegt an den offiziell 150.000, inoffiziell aber auf 200.000 bezifferten syrischen Flüchtlingen, die sich in den Lagern auf türkischem Gebiet angesiedelt haben. Der Flüchtlingsstrom reisst nicht ab, die Situation in den Lagern ist äußerst gespannt. Stellt euch einfach einmal 100.000 arabische Männer vor, die in Zelten hausen müssen und nichts zu tun haben. Früher oder später kommt diese Ladung zur Detonation, das nun aber schon auf türkischem Gebiet. Je kälter es wird, desto schwieriger die Lage, denn damit gibt es noch einen Grund mehr für die Flüchtlinge, Unmut zu bekunden.

Die Zeit drängt Erdogan also, so dass er wieder freigebig Drohungen versprüht. Doch die USA haben es immer noch nicht so eilig damit, ihn zu unterstützen. Weshalb? 

Krieg im Gazastreifen

Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Militärschlag Israels gegen den Gazastreifen geplant und nicht etwa nur die Reaktion auf Beschuss durch die Palästinenser war. Vielleicht erinnert ihr euch, vor kurzem [Ausgabe 49] haben wir von gemeinsamen Übungen der israelischen Luftabwehr mit US-Streitkräften namens “Austere Challenge 2012” berichtet, die Ende Oktober liefen. In deren Zuge wurde die Funktion der Luftabwehr geprüft, einschließlich des neuesten israelischen Raketenabwehrsystems “Chetz-3”. Das Szenario der Übungen beschrieb eine Situation, in der Israel von einem starken Erdbeben heimgesucht worden ist, welches tausende Menschenleben kostete und große Zerstörung der Infrastruktur nach sich zog.

Am 6. November gab es in den USA Präsidentschaftswahlen, Obama blieb im Amt, und das gab Israel freie Hand. Es begann am 14. November, als die israelische Luftwaffe den Militärkommandeur der Hamas, Ahmed al-Dschabari, tötete, als dieser mit seinem Sohn in seinem Privat-Pkw unterwegs war. Bemerkenswert, dass Dschabari zu der Zeit gerade den Entwurf eines dauerhaften Waffenstillstands mit Israel prüfte. Als Reaktion darauf beschoss die Hamas Tel-Aviv und andere israelische Städte, doch das moderne Raketenabwehrsystem der Israelis hat den Großteil der Raketen, die gefährlich werden konnten, abgefangen. Israel unternahm wiederum massive Luftschläge gegen mehr als 200 Ziele im Gazastreifen. Es konnte gar nicht anders kommen, als dass eine Vielzahl friedlicher Palästinenser Opfer dieser Attacken wurde.

In den folgenden Tagen ging der wechselseitige Beschuss weiter. Auf israelischer Seite kamen drei Zivilisten ums Leben, einige Armeeangehörige wurden verletzt. Israelische Bomben trafen den Sitz des Premierministers der palästinensischen Autonomie Ismail Haniyya, weitere Militärkommandeure wurden getötet, zerstört wurden außerdem Umspannwerke, so dass für rund 400.000 Palästinenser kein elektrischer Strom mehr verfügbar ist.

Der palästinensische Vizepremier Sijad as-Sasa bot Israel einen Waffenstillstand an, stattdessen bereitet Israel scheinbar eine Bodenoffensive vor.

Die Reaktion der Weltöffentlichkeit

Die Reaktion der Weltöffentlichkeit war alles in allem vorhersehbar, doch paradoxerweise sind die Angehörigen verschiedener Lager hier durcheinandergeraten.

Israel wird von den USA und den Westmächten unterstützt, sie machen die Hamas für das Blutvergießen verantwortlich. Dagegen haben Russland, Ägypten, die Türkei, Katar, der Iran, Syrien und andere arabische Staaten das Vorgehen Israels verurteilt.

Warum jetzt?

Es ist also klar, dass die “Operation Wolkensäule” durchaus kein Zufall ist, doch warum ist sie ausgerechnet jetzt angelaufen? Es gibt einige Versionen, das zu erklären. Die wichtigsten Faktoren, welche Israel in den Krieg treiben, sind die folgenden:

  • Im Januar finden vorgezogene Wahlen statt, und durch einen “kleinen siegreichen Krieg” versucht Netanjahu, sich den Wahlsieg zu sichern. Diese Version ist durchaus realistisch, da es in der Geschichte Israels bereits solche Präzedenzfälle gegeben hat.
  • Kurz vor Beginn der “Operation Wolkensäule” wurde der Gazastreifen durch den Emir des Katar, Scheich Hamad Bin Khalifa Al Thani besucht. Er brachte der Hamas eine Zusicherung über Finanzhilfen im Umfang von 400 Millionen US-Dollar mit, was zu einer zornigen Reaktion Israels führte, da Israel davon ausgeht, dass diese Mittel für Waffen eingesetzt werden.
  • Der dritte, unserer Ansicht nach wichtigste Faktor, ist der Iran. Dazu wollen wir etwas ins Detail gehen.

Es ist bekannt, dass Israel die USA schon seit längerem zu einer gemeinsamen Operation gegen iranische Atomobjekte antreibt. Bekannt ist ebenso, dass Obama vor den Wahlen auf eine solche Initiative eher vorsichtig reagierte und Sanktionen als Druckmittel bevorzugte. Israel wartete geduldig den 6. November ab und hoffte scheinbar, dass sich die Lage nach den Wahlen ändert. Wie es nun aussieht, ist Obama auch nach seiner Wiederwahl nicht gewillt, ein Militärabenteuer gegen den Iran zu riskieren. Mehr noch, es gab Meldungen, denen zufolge die US-Administration die Sanktionen gegen den Iran im Austausch für Zugeständnisse Teherans lockern will. Das nun stimmt Israel traurig, so dass man dort nun alles zu riskieren bereit ist. Der Iran unterhält direkte Beziehungen zur Hamas und reagierte auf die Angriffe Israels natürlich mit einer neuen Portion an Drohungen. Obama sah sich nun gezwungen, sich offen auf die Seite Israels zu schlagen. Auf diese Weise führt die Eskalation des Konflikts dazu, dass die amerikanisch-iranischen Gespräche erst einmal zu nichts führen. Und je weiter Israel in diesem Konflikt geht, desto größer wird die Kluft zwischen Washington und Teheran.

Doch Israel wäre nicht Israel, wenn es nur ein Ziel verfolgen würde. In der Militäroperation im Gazastreifen werden Luftangriffe auf unterirdische Objekte – also Waffenlager und Tunnel – praktiziert. Die iranischen Atomobjekte nun befinden sich ebenfalls tief unter der Erde und gelten als schwer zu treffende Ziele. Außerdem schaltet Israel methodisch die Militärführung der Hamas aus. Als diese Ausgabe noch in Arbeit war, kam die Meldung über die Tötung eines weiteren Miltärkommandeurs im Gazastreifen. Diese Aktionen kann man durchaus als eine Säuberung des Hinterlandes vor einem Angriff auf den Iran werten.

Der Iran seinerseits wird in diesen Konflikt hineingetrieben. Es ist bekannt, dass es iranische Rakten vom Typ “Fadschr-5” sind, welche auf israelische Städte abgefeuert werden. In den Gazastreifen gelangen sie über den Sudan und den Sinai.

Und nun das wichtigste. 10 Tage nach den US-Präsidentschaftswahlen hat die IAEA einen weiteren Bericht zum iranischen Atomprogramm veröffentlicht. Darin ist die Rede davon, dass die iranische Führung die Anreicherung von Uran in Fordo massiv forcieren will. Ebenso wird ausgesagt, dass der Iran seit der Veröffentlichung des vorangehenden Berichts die friedlichen Atomprojekte auf Eis gelegt und sein Atomprogramm stattdessen voll auf die militärische Komponente ausgerichtet habe. In dem IAEA-Bericht wird besonders betont, dass iranische Massenvernichtungswaffen “faktisch dieser Tage” fertiggestellt sein können.

Auf diese Weise hängt jetzt alles von der Entscheidung Barack Obamas ab; er wird seine neue Amtsperiode wohl mit einer Wahl von entscheidender Tragweite beginnen müssen. Entweder hält er sich in dem Konflikt zurück, womit die Beziehungen zu Israel auf lange Sicht verschlechtert werden und sich sein Image, er unterstütze die Islamisten, festigt, oder er betätigt den Hebel zum Beginn eines großen Krieges im Nahen und Mittleren Osten. Wir werden in der kommenden Zeit Zeugen dieser Entwicklungen werden.