Rinat Achmetow, der “reichste Mann der Ukraine”, Oligarch, und – zumindest bis vor kurzem – erbitterter Feind anderer solcher Gestalten wie beispielsweise Kolomojskij – hatte in der Nacht zum 19. Mai relativ unerwartet zu Protesten und Streiks im Donbass aufgerufen. Höchst interessant – ein Oligarch ruft zum Streik und zum Protest. Nicht nur der Fakt allein, dass er sich damit in der momentanen ukrainischen Gemengelage entschieden hat und sich gegen die Willensbekundung der Menschen vom Referendum am 11. Mai wendet – nicht minder interessant ist auch der Zeitpunkt, zu dem er das tut.

Was der Aufmerksamkeit der meisten entgangen sein wird, ist die kleine “Palastrevolte” am 16. Mai in der Führung der Volksrepublik Donezk. Die bis dahin sehr an PR interessierte, von ihren reellen Aktivitäten her aber recht träge Führung wurde etwas beiseite gedrängt; nunmehr ist der russische Staatsbürger Alexander Borodaj Premierminister der VRD. Borodaj ist eher der aktiveren, “Strelkow”-Fraktion zugehörig und macht kein Hehl daraus, dass er vorher schon auf der Krim aktiv war, bevor diese sich der Russischen Föderation angeschlossen hat.

Achmetows Aufruf folgte relativ zeitnah auf den Wechsel an der Spitze der “Volksrepublik Donezk”, was die vorher bestehenden Gerüchte stützt, weite Teile des “Projekts” der Unabhängigkeit des Donbass seien von Achmetow gebilligt, wenn nicht gar von ihm als Joker in der Positionierung in der Ukraine nach dem “Euromaidan” gebraucht worden. Bis dahin musste nicht einmal Strelkow und sein Trupp ihm großes Unbehagen bereiten, denn er versteht sehr wohl, wie sehr ein politisches Resultat allen möglichen paramilitärischen Teilerfolgen vorzuziehen ist. Es lief bis vor kurzem auch alles darauf hin, dass die relativen Erfolge der Bürgermilizen durch Geplänkel und Ränkespiele innerhalb der Kabinetts und neuen Organe kaputtgemacht wurden; von Achmetow handzahm gemachte politische Führungspersönlichkeiten der VRD waren allein durch ihr relativ zielloses Agieren und lasches Auftreten drauf und dran, die Erfolge der Bürgermilizen und des Referendums zu zersetzen. Eines der Zeugnisse dafür ist der dramatische Aufruf Strelkows von vor ein paar Tagen, wo er sich über fehlenden Zustrom von Freiwilligen in die Reihen der Bürgermilizen beklagt – de facto aber konstatiert, dass dieser Prozess massiv behindert wird.

Nun hatte Strelkow und sein Trupp eben offenbar wenig Lust auf die Rolle von Opfern und Bauern in den gewieften Spielchen der ukrainischen Magnaten. Wie genau die kleine Palastrevolte vom 16. Mai in Donezk verlief, wird vielleicht gar nicht an die Öffentlichkeit kommen, aber Fakt ist, dass Achmetow danach langsam Lunte zu riechen begann. Und sich nun entgegen all seinen vorherigen Verlautbarungen von den “vier Szenarien” einer Beilegung des Konflikts im Donbass offen auf die Seite der Junta stellte.

Indes ist der für heute erstmals anberaumte “Streik” und der “Protest” eher verpufft:

Stadion von Donezk, 20.05.2014 – Warnstreik und Protest von Arbeitern nach Aufruf von Achmetow

Ungefähr 1.000 Leute sind Achmetows Aufruf heute gefolgt (andere Meldungen sprechen von nur der Hälfte). Sie füllten mit Mühe und Not einen Block im Donezker Stadion “Schachtjor”. Die Sache sieht bislang also eher komisch aus.

Wenn Arbeiter streiken, dann ist das klar und verständlich, passt normalerweise in solche Kategorien wie “Gewerkschaft”, “Lohnerhöhung” oder auch “Klassenkampf”. Wenn allerdings die Besitzer von Großunternehmen streiken und dazu aufrufen, dann nennt man das ganz anders: Sabotage. Nichts anderes lief im nachrevolutionären Russland der Jahre 1917 und 1918. Firmen- und Großgrundbesitzer, Banken und andere Unternehmen haben versucht, die damals noch junge Sowjetmacht mit solchen Maßnahmen in die Knie zu zwingen.

Wie die Sowjets damals geantwortet haben, ist auch bekannt. Stichwort Tscheka. Diese Organisation wurde überhaupt aus der Notwendigkeit heraus geschaffen, Sabotage von Seiten der damaligen “Oligarchen” und Beamten zu bekämpfen. Die Tscheka sorgte dann – teilweise durchaus nicht unblutig – für den Übergang von Privateigentum in staatliche Kontrolle. Auf diese Weise waren solche Sabotageaktionen schließlich unterbunden worden.

Ob die Volksrepubliken Donezk und Lugansk – kurz: Neurussland – die Mittel und die Entschlossenheit haben, Achmetow einer ähnlichen “Nationalisierung” zu unterziehen, bleibt natürlich fraglich. Aber letztendlich hat der Oligarch nichts anderes ausgesagt, als dass er die eigentliche Macht im Donbass ist. Und diese Herausforderung hängt viel zu deutlich im Raum, als dass man sie einfach ignorieren könnte.

Anfänge eines solchen Prozesses scheint es auch zu geben; RIA meldete heute, die VRD habe im Zusammenhang mit dem Unwillen “einiger” Unternehmer und Oligarchen, ihre Steuern ins Budget der neuen Volksrepublik zu zahlen, einen Prozess der “Nationalisierung” (ihrer Betriebe) angestoßen. Dass sie sich damit einzig auf die Twitter-Meldung von PR-Mann Puschilin berufen, macht die Sache erst erst einmal wenig fest. Es wäre also sinnvoller, offizielle Meldungen dazu abzuwarten. Es soll demnächst eine Liste an Unternehmen veröffentlicht werden, welche “nationalisiert” (lies: enteignet) werden.

In keinem Fall aber geht es, Achmetows Positionierung und seine Sabotageaufrufe zu ignorieren; dazu hat er wirklich zu viel an realer Macht. Wer genau die Macht in Neurussland ist, sollten die Menschen dort sicher in Bälde klären.