Die syrische Opposition benennt erstmals einen Kandidaten auf den Posten des Chefs einer „Regierung der nationalen Einheit“, wie sie in Genf vereinbart worden ist. Dessen Name fiel in einem Interview, das Michel Kilo, der Führer der „Demokratischen Tribüne“ Syriens, gegenüber dem russischen Radiosender „Stimme Russlands“ gab.

In dieser Woche werden Vertreter einiger syrischer oppositioneller Gruppen in Moskau erwartet. Am 10. Juli wird sich beispielsweise der Chef des SNC, Abdulbaset Sieda, mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow treffen. Heute, am 9. Juli, war bereits Michel Kilo an der Reihe.

Quelle des Interviews: ruvr.ru

Stimme Russlands: Die Führer der syrischen Opposition haben sich bereits mehrmals mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow getroffen. Die Position Russlands ist Ihnen gut bekannt. Weshalb kommen Sie abermals nach Moskau? Rechnen Sie mit irgendwelchen Änderungen?

Michel Kilo: Wir rechnen mit einer Fortführung des Dialogs. Das ist das Wichtigste. Bis jetzt ist noch kein Ausweg aus der Krise in Syrien gefunden. Das bedeutet, dass man sich weiter bemühen muss, ihn zu finden. Wir sind, wie Moskau, an einer Lösung interessiert. Das heißt, es gibt eine gute Grundlage für die Fortsetzung des Dialogs. Gemeinsam wird es leichter, einen Ausweg zu finden.

Außerdem scheint es uns nicht, dass die Position Russlands unveränderlich ist. In den letzten Wochen sind von russischen Politikern gewisse Statements zu hören gewesen, die etwas andeuten wollen. Wir wollen für uns klären, wovon genau hier die Rede war. Es sind einige andere oppositionelle Gruppen nach Moskau gekommen. Unsere Organisation jedoch wird sich erstmals mit dem Chef und anderen Beamten des Außenministeriums treffen.

SR: Moskau hat in den letzten Tagen scharfe Kritik am Westen für dessen einseitige Unterstützung der Opposition geübt, die syrische Opposition selbst bekam Kritik für die Weigerung, sich an den Verhandlungstisch zu begeben, zu hören. Was würden Sie dieser Kritik entgegnen?

MK: Was die Kritik am Westen angeht, so ist das Russlands gutes Recht. Wir sind nicht für die Politik der westlichen Staaten verantwortlich. Wer den Westen kritisieren möchte – bitteschön, kritisiert ihn, damit haben wir kein Problem. Doch was den Vorwurf angeht, die Opposition wolle nicht mit der Regierung verhandeln, so verhält es sich nicht so. Die Opposition sucht seit 2001 Berührungspunkte mit der Regierung. Es gab auch Versuche, einen nationalen Dialog zu starten. Allerdings ist dies bekanntermaßen nicht gelungen, und das war nicht unsere Schuld. Denn die Krise, die sich seit 2011 entlädt, ist lange gereift. Noch vor 12 Jahren war klar: entweder gibt es Reformen, oder die Lage explodiert.

SR: Doch auch in den Reihen der Opposition selbst ist nicht alles bestens. Anfang Juli gab es ein Treffen der Opposition in Kairo, und obwohl es versöhnliche Töne und eine gemeinsame Plattform gab, gelang es nicht, die inneren Streitpunkte zu verbergen. Es kam zu einem verbalen Schlagabtausch, öffentlichen Konflikt, zum Beispiel zwischen den Arabern und den Kurden Syriens. Worin liegt das Problem?

MK: Das Problem zwischen uns und unseren kurdischen Brüdern besteht darin, dass wir zu einer Demokratie übergehen wollen, die den Anforderungen der jetzigen Zeit entspricht, und einige Kurden verweilen immer noch in der Vergangenheit, in welcher der Nationalismus die entscheidende Rolle spielte. Wir sagen ihnen: lasst uns doch erst einmal für alle eine echte Demokratie in Syrien erwirken, und dann kommen wir auf eure Frage zurück. Sie entgegnen – nein, gebt uns erst diese und jene Garantien für nationale Freiheiten und Machtbefugnisse. Das ist ein ernstes Problem, aber ich denke, es ist lösbar. Wir haben gemeinsam gekämpft und sind weiter dazu bereit, und das eint uns.

Das betrifft aber nicht nur die Kurden. Manche anderen Oppositionsparteien und -bewegungen leben leider auch immer noch in der Vergangenheit, weshalb es einige Meinungsverschiedenheiten beim politischen Programm gibt. Übrigens gibt es die wenigsten Meinungsverschiedenheiten mit den inländischen Oppositionellen, die sich mit konkreten, praktischen Fragen befassen.

SR: Vertreter von der Freien Syrischen Armee sind gar nicht erst nach Kairo zu der Konferenz gekommen. Aus welchem Grund gibt es Meinungsverschiedenheiten mit dem bewaffneten Arm der Opposition?

MK: Erstens, ob wir das wollen oder nicht, die Freie Syrische Armee ist bereits zu einer realen und auch zu einer grundlegenden Kraft der Opposition geworden. Aber ich und einige Kollegen sind dagegen, dass die Opposition ihren Kampf mit den Waffen führt. Wir in der „Demokratischen Tribüne“ sind der Meinung, dass wir unsere Ziele auf friedlichem Weg erreichen können. Andere Oppositionelle bestehen darauf, dass die Oppositionsbewegung bewaffnet werden muss. Hier gibt es unter uns ernsthafte Meinungsverschiedenheiten.

SR: In der letzten Zeit gab es von Ihrer Seite mehrere Publikationen über die wirtschaftliche Lage in Syrien. Gegen das Land bestehen Sanktionen von Seiten der USA und der Europäischen Union. Wie sieht es damit aus?

MK: Man muss zugeben, dass bislang nicht das Regime, sondern das Volk den hohen Preis dafür zahlt, was vor sich geht. Zum Beispiel mangelt es den Menschen vielerorts an Kochgas. Oder stellen Sie sich vor, noch vor kurzem wurde das Gemüse, zum Beispiel Zucchini, das nicht verkauft und nicht mehr gebraucht wurde, am Ende des Tages in den Hinterhöfen der Wirtschaften weggeworfen, und heute verkauft man sie zu drei Dollar das Kilo. Die Sanktionen, die auf das Regime zielten, sind – wenn auch auf Verschulden des Regimes – zu Sanktionen gegen das syrische Volk geworden.

SR: Die internationalen Vermittler, darunter Russland, haben sich Ende Juni auf der Konferenz in Genf darauf geeinigt, dass in Syrien eine Übergangsregierung der nationalen Einheit gebildet werden soll. Wen möchte die Opposition in der Führung dieser Regierung sehen? In den letzten Tagen gab es da Gerüchte, es fiel sogar der Name des ehemaligen syrischen Generalstabschefs Hikmat al-Shihabi, ganz ungeachtet seines Alters.

MK: Was dessen Kandidatur angeht, so weiß ich davon nichts. Doch die Frage ist durchaus wichtig, und sie steht auf der Tagesordnung. Es gibt zum Beispiel den General Manaf Tlass, den Sohn des ehemaligen Verteidigungsministers, früher ein Mitstreiter Baschar al-Assads.

Es ist Ihnen bekannt, dass General Manaf Tlass Syrien vor kurzem verlassen hat. Wo er sich aufhält ist geheim, aber ich sage Ihnen, dass ich ihn seit langem gut kenne. Es ist uns bekannt, dass er mit Baschar al-Assad von Anfang an darüber differierte, wie die Krise in Syrien zu lösen sei. Tlass war bereit zu Reformen und schlug Wege vor, das Problem friedlich zu lösen, doch Assad entschied sich für die Gewalt als Mittel. Für uns ist dieser General, der sich nicht mit Schuld befleckt hat, eine der annehmbaren Figuren. General Manaf Tlass ist durchaus dazu geeignet, in Syrien eine führende Rolle in der bevorstehenden Phase zu übernehmen.

SR: In der letzten Frage geht es darum, dass am 20. Juli das dreimonatige Mandat der UN-Beobachtermission in Syrien zu Ende geht. Sollen sie bleiben?

MK: Die internationalen Beobachter müssen in Syrien bleiben. Dazu besteht Notwendigkeit. Ihre Zahl muss vergrößert werden, ihre Befugnisse gehören erweitert. Die Beobachter müssen überall dort vor Ort sein, wo es zu Gewalt kommt. Sie müssen auch das Recht bekommen, die Gewalt zu beenden, von wem auch immer diese ausgeht.