Gefechte in Tikrit, 13.06.2014

Es ist zwar nicht so, dass sich die derzeitige akute Lage im Irak nicht schon vor Monaten so in etwa abgezeichnet hatte, aber die Behendigkeit, mit der die Dschihadisten derzeit die Kontrolle im Norden des Landes übernehmen, ist doch ein wenig überraschend. Heute fielen der ISIS/ISIL zwei weitere Städte – Saadiyah und Jalawla – in die Hände. In den letzten Meldungen hieß es, Stoßtruppen der Dschihadisten stünden 50 Kilometer vor Bagdad.

Ein Fall Bagdads – falls es dazu kommt – hieße noch nicht, dass „der Irak“ dann komplett an die Dschihadisten gefallen ist. Südöstlich der Hauptstadt beginnen Gebiete mit mehrheitlich schiitischer Bevölkerung, und bei allen Erfolgen kann man noch nicht wirklich davon sprechen, dass die ISIS-Terrorgruppen dazu in der Lage wären, wirklich feindliche Städte zu übernehmen. Eine Eroberung Bagdads wäre freilich ein politisches Resultat; mit allen dort vorhandenen Strukturen würde die Ausrufung eines islamistischen Staatsgebildes dann auch mit gewissen Realitäten hinterlegt sein, die allein es gestatten würden, den momentan durchaus noch „Guerilla-Krieg“ zu nennenden Konflikt auf eine qualitativ höhere Ebene zu befördern – einschließlich einer politischen.

Im Prinzip sind die Taliban in Afghanistan seinerzeit nach genau demselben Schema an die Macht gekommen. Die ISIS/ISIL hat zwar weiter südlich/südöstlich wohl kaum eine reelle Chance, so dass es keine vollwertige Kopie der damaligen Vorgänge in Afghanistan geben wird, aber ein eigenes Emirat ist inzwischen mehr als nur theoretisch möglich - womit ein Zerfallen des Irak recht wahrscheinlich ist.

Im weiteren Verlauf müssten die Terrorbrigaden es irgendwie organisieren, ihr Territorium zu halten; es ist überhaupt nicht klar, ob und wie das funktionieren soll, allein schon, weil der Iran sich auf die eine oder andere Weise in die Sache einbringen wird – und es auch schon tut. Andernfalls haben die Saud mittelbar vor seinen Grenzen das Sagen. Der Iran hat dabei bereits alles nach derzeitigem Ermessen mögliche unternommen – es gab eine Teilmobilisation und eine Verlagerung von Truppen – sowohl reguläre Truppen als auch Revolutionsgarde und Anti-Terror-Einheiten – an die Grenze zum Irak, teils unter Preisgabe des permanent unruhigen Belutschistan. Aus dem Irak selbst kamen Meldungen, dass mobile iranische Einheiten in den Kämpfen um Tikrit beteiligt seien.

Wie immer es sich im weiteren Verlauf ergibt, es wurde einmal mehr bewiesen, dass ein Marionettenregime per definitionem instabil ist. Es reicht ein sanfter oder auch beherzter Schubser, und alles bricht zusammen, weil niemand große Lust hat, diese Marionetten mit seinem Leben zu verteidigen. Sicher ist auch unabhängig von den letztlichen Ergebnissen der derzeitigen Katastrophe, dass die noch Ende des vergangenen Jahres angekündigten ambitionierten Erdölförderpläne des Irak, denen zufolge das Land zum Ende des Jahrzehnts 6-8 Millionen Barrel pro Tag zu fördern gedachte (im Vergleich dazu heute – 3,3 Millionen), zerschlagen sind. Summarisch wollten Iran und Irak auf 12 Millionen Barrel pro Tag kommen – und wen das störte, braucht man nicht lange zu rätseln. Der „schiitische Pol“ im Nahost-Erdölgeschäft ist, wie es aussieht, vorerst zerschlagen.

Dieser Umstand allein rechtfertigt für Saudi-Arabien all seine Investitionen in den Krieg. Jetzt braucht es nur noch indirekt und recht entspannt dafür zu sorgen, dass die derzeitige instabile Lage möglichst lange anhält. Was mögliche US-Interventionen anbelangt, so braucht man auch nicht allzu viel Phantasie dazu, dass diese sich auch auf syrisches Territorium erstrecken würden. Ein Teil der syrischen Luftwaffe wurde Ende August 2013 in den Iran evakuiert. Dieses Kontingent wäre im Fall von US-Luftangriffen auf die ISIS/ISIL aus dem Spiel.